Hochschule in digitalen Zeiten – Forscher entwerfen das Studium der Zukunft

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ESSEN/BERLIN/HANNOVER. Nicht nur die Schule verändert sich heute immer schneller, auch an den Hochschulen scheint vieles nicht mehr, wie es einmal war. Ein Ende der Umwälzungen ist kaum abzusehen. Wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen folgend, werden sich die Studienwege in den kommenden Jahren noch einmal erheblich flexibilisieren, prognostiziert eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Wer vor mehr als 20 Jahren in Deutschland studiert und nicht gerade ein Staatsexamen abgelegt hat, wird seine Studienfächer heute kaum noch wiedererkennen. Der Bologna-Prozess hat zu einer enormen Dynamisierung geführt. Allein zwischen den Jahren 2000 und 2012 sind 13.000 neue Bachelor- und Masterstudiengänge entstanden.

Die Studienwelt der Zukunft ist nach Meinung der AHEAD-Autoren stärker am individuellen Lernen der Studierenden ausgerichtet. Foto: Joep Meindertsma / Pixabay (PL)

Im Kern erhalten geblieben ist allerdings das Modell eines drei bis fünfjährigen Studiums mit anschließender lebenslanger Arbeitstätigkeit. Angesichts des digitalen Wandels der Arbeitswelt wird dieses Modell jedoch zunehmend an Relevanz verlieren – davon sind zumindest Wissenschaftler des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FIBS) und des HIS-Instituts für Hochschulentwicklung aus Hannover überzeugt.

In der gemeinsamen Studie „AHEAD – Internationales Horizon-Scanning: Trendanalyse zu einer Hochschullandschaft in 2030“ haben die beiden Institute Einschätzungen von über 100 internationalen Experten zusammengetragen, wie die deutsche Hochschullandschaft im Jahr 2030 aussehen könnte, und zu einer Trendanalyse entwickelt. Einfluss hatten dabei vor allem drei Entwicklungen:

  • Wissens- und Kompetenzanforderungen aus der Wirtschaft sowie durch gesellschaftliche Veränderungen in einer zunehmend digitalisierten Welt,
  • neue Entwicklungen in der Didaktik, die auf Basis der fachdidaktischen Diskussion zu erwarten seien, sowie
  • digitale Technologien und neue Einsatzmöglichkeiten, die neue Lernformen und Lernumgebungen wahrscheinlich machen.
Das Ausgangsprodukt: Lego-Steine. Foto: Kenny Louie / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)
Beim Lernmodell Lego kombinieren Studierende Lerneinheiten verschiedener Bildungsanbieter. Foto: Kenny Louie / Wikimedia Commons (CC BY 2.0)

Vier neue Lernmodelle erwartet
An die Stelle des bisherigen Studienmodells werden nach Ansicht der Autoren flexiblere, oft lebenslange Studienformen treten, ohne das bisherige Konzept jedoch vollständig abzulösen. Zukünftig könnte es vier unterschiedliche Lernmodelle in der Hochschullandschaft geben, die der besseren Übersichtlichkeit wegen jeweils nach einem Spielzeug benannt wurden:

  • „Tamagotchi“ – das „klassische“ Modell des unmittelbaren Übergangs von der Schule an die Hochschule,
  • „Jenga“ – ein verkürztes Erststudium, das im weiteren Lebensverlauf durch neue Lernblöcke erweitert wird,
  • „Transformer“ – das Konzept des späteren Übergangs an die Hochschule, beispielsweise nach Ausbildungsabschluss und Erwerbstätigkeit, sowie
  • „Lego“ – individuell kombinierbare Bildungsbausteine. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Lernenden unterschiedliche Module und Lerneinheiten bei verschiedenen Bildungsanbietern nachfragen und diese individuell zu einem Studienabschluss kombiniert und zusammengesetzt werden.

Die Digitalisierung verändere nicht nur die Anforderungen an die Qualifikationen von Hochschulabsolventen, sondern habe voraussichtlich auch Auswirkungen auf das Lern- und Studierverhalten von Studierenden. Darauf müssten auch die Hochschulen in ihren Angeboten reagieren. „Sie werden verstärkt auf die individuell vorhandenen Kompetenzen oder Vorkenntnisse eingehen und ihre Angebote entsprechend ausrichten müssen“, fasst FIBS-Direktor Dieter Dohmen zusammen.

Bei den Modellen Jenga und Lego hätten die Hochschulen die Aufgabe, die bei anderen Anbietern in vorhergehenden Lerneinheiten erworbenen Kompetenzen zu zertifizieren und in einen regulären und vollwertigen Abschluss zu überführen. „Dieses Modell ist zwar nicht grundlegend neu“, so Dohmen, „aber es ist bisher noch eine seltene Ausnahme. Wir gehen davon aus, dass sich das in Zukunft deutlich verändern wird.“ Auch die Zertifizierung anderweitig – zum Beispiel online – erworbener Kompetenzen werde zunehmend wichtiger.

Folgen für die Finanzierung
Erhebliche Auswirkungen erwarten die Wissenschaftler auch auf die Steuerung und Finanzierung der Hochschulen, da das Studienverhalten und damit die Inanspruchnahme konkreter Hochschulleistungen, wie von Lehr- und Studienangeboten, variabler werde. Wenn daher die Hochschulen wie bisher fast ausschließlich pauschal finanziert würden, bilde das die tatsächliche Auslastung nicht ab und es komme zu einer Unter- oder Überfinanzierung. Ein neuer Finanzierungsansatz, der in diese Richtung geht, wäre den Wissenschaftlern zufolge etwa ein Studienkontenmodell, durch das die Hochschulen auf Basis der jeweiligen Creditpoints finanziert werden, die Studierende derzeit in ihrem Studium sammeln, bis die geforderte Gesamtpunktzahl ihres Studiengangs erreicht ist.

In diesem Sinne würde auch die Finanzierung der Hochschulen künftig stärker auf dem individuellen Lern- und Studierverhalten aufbauen. Vertiefungsberichte zur Studie zeigen analog, „dass mit einer graduellen Gewichtsverlagerung hin zu einer Lehre zu rechnen ist, die auf eine Stärkung des eigenverantwortlichen studentischen Lernens ausgerichtet ist“, hebt Klaus Wannemacher, Teilprojektleiter der Studie, hervor. „Darüber hinaus zeichnet sich allerdings ab, dass die Digitalisierung bis 2030 an Bedeutung verlieren dürfte. Je mehr digitale Elemente selbstverständlicher Bestandteil studentischer Kommunikations- und Lernprozesse werden, desto mehr wird sich der Gegensatz zwischen analogen und digitalen Lernszenarien auflösen.“ (zab, pm)

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