Kinder zu Weltbürgern erziehen? Ist eine Frage der Haltung, nicht des Geldes – ein Gastbeitrag

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WIEN. Der Anspruch, seine Kinder zu Weltbürgern zu erziehen, klingt gut – aber teuer. Ob für organisierten Schüleraustausch, internationale Praktika oder Auslandssemester: Eltern, die ihrem Nachwuchs internationale Erfahrungen ermöglichen möchten, müssen oft tief in die Tasche greifen. Mittlerweile aber, so meint unsere Gastautorin Nina Prodinger, ist eine internationale Erziehung keineswegs nur noch ein Privileg für Reiche. Denn es gibt einen einfachen (und kostengünstigen) Weg für Kinder, Auslandserfahrungen zu sammeln – auf Gegenseitigkeit nämlich. Prodinger muss es wissen: Sie ist Mitbegründerin des Netzwerks GobalNatives.org, das kosmopolitische Familien aus 61 Staaten miteinander in Kontakt bringt. Was dahinter steckt, erklärt sie im Folgenden.

Familien aus 61 Ländern weltweit kooperieren bei GlobalNatives.Org. Foto: Shutterstock

„Weltbürger willst Du sein? Mehrsprachig? Die Zukunft des Planeten ernst nehmen? Natürlich geht das. Damit bist Du nicht allein!“ Es kann tatsächlich so einfach sein. So einfach, wie dem Kind das Lesen und Schreiben, das Radfahren und Schwimmen beizubringen! Zwei Faktoren müssen sich dafür ändern: Das Preisschild und die persönliche Einstellung. Und beides ist leichter als man denkt.

Wie also soll das gehen? Weltbürger, das sind doch in der gängigen Volksmeinung Menschen aus wohlhabenden Familien, aus einflussreichen Politiker- und Wirtschaftskreisen. Es sind die Töchter und Söhne von Diplomaten, Spitzenjournalisten und Topmanagern, die schon als Kinder in teure internationale Schulen gehen. Stimmt irgendwie auch. Und stimmt doch nicht mehr. Denn: Heute ist Weltbürgerdenken eine Geisteshaltung. Eine, die allen offen steht.

Und so wie man Lesen und Schreiben, Radfahren und Schwimmen erst einmal lernen und üben muss, so will auch Weltbürgerdenken gelernt und trainiert werden. Mit Gleichgesinnten.

Zuerst mit vertrauten Menschen, die gerne über Grenzen hinaus denken – Eltern, Lehrer, Seelenverwandte – und dann mit Menschen in anderen Ländern. Menschen mit Fernweh, Neugier und Entdeckergeist. Es gibt sie millionenfach. Wie sie zueinander finden, dazu kommen wir gleich. Zuerst wollen wir den Begriff Weltbürger definieren.

Was macht den Weltbürger aus? Beim Begriff „Bürger“ denkt man gerne an Bürgerrechte; an Privilegien, die den Unterschied ausmachen zwischen „den anderen“ und uns. Bürgerlich heißt für viele auch „bieder“ und „konservativ“. Im Französischen aber kennt man den wunderbaren Begriff des „Citoyen“!

Jean-Jacques Rousseau sagt in seinem Werk „Le contrat social“: „Der Citoyen ist ein höchst politisches Wesen, das nicht sein individuelles Interesse, sondern das gemeinsame Interesse ausdrückt.“ Der Citoyen, die Citoyenne – sie stehen für den Geist der Aufklärung, für gesellschaftliche Verantwortung, für Gestaltungswille und Zukunftsfähigkeit. Dieser Geist unterscheidet beispielsweise den Populisten, der dem Volk nach dem Mund redet, vom Staatsmann mit Weitblick.

Dieses weltweite Gemeinsame war auch das Fundament der 1948 gegründeten Weltbürgerbewegung. Zu den Gründungsmitgliedern gehörte damals u. a. Albert Einstein.  Heute verbinden neue Wünsche und andere, sicher nicht weniger dringende Anliegen junge Menschen in aller Welt. Sie teilen ähnliche Sorgen und Hoffnungen und das nicht nur bei Freitagsdemos.  Das neue Weltbürgertum wird ihre Kommunikation leichter, Wissensaustausch einfacher und Zusammenarbeit unkomplizierter machen.

Es zählt das globale „WIR“

Neue Weltbürger wissen sehr gut, dass man ebenso wenig gegen die Globalisierung sein kann wie gegen das Wetter. Aber dass man sie gestalten kann und muss, ist ihnen klar. Mehr noch: Die Notwendigkeit der Mitsprache brennt ihnen unter den Nägeln!

Sie lieben die Vielfalt der Sprachen und Kulturen, der Menschen und der Natur und sie wollen weder Gleichmacherei noch Schwarz-Weiß-Malerei. Sie fühlen sich mitverantwortlich für die Welt, die sie übernehmen. Und ihnen ist bewusst: Bei den Nationalisten funktioniert der Schulterschluss gut. Daher brauchen sie eine gemeinsame Identität als „Internationalisten“, mit starken sprachlichen, gedanklichen, kulturellen und intellektuellen gemeinsamen Nennern.

Interdependence: Gegenseitigkeit funktioniert

Von US Architekt, Visionär, Philosoph und Schriftsteller Richard Buckminster Fuller (1895-1983) stammt die kluge Einsicht „You never change things by fighting the existing reality. To change something, build a new model that makes the existing model obsolete.“ Wir verbringen tatsächlich zu viel Zeit damit, gegen etwas anzukämpfen. Dabei ist es meist sinnvoller und einfacher, neue und bessere Wege zu finden, die die alten – die unerwünschten – durch ihren Erfolg ersetzen.

Ein gutes Beispiel sind die vielen erfolgreiche Modelle des Teilens. Vom landwirtschaftlichen Maschinenring über die Mitfahrgelegenheit, von Airbnb bis zum Bikesharing ist die Bandbreite riesig. Wir können abgelaufene Lebensmittel, Bohrmaschinen und Almhütten teilen, ja sogar Ballkleider und Anteile an Ackererträgen.  Teilen und Tauschen gehört zu unserem Alltag. Und genau das können neue Weltbürger auch: Teilen und Tauschen von Sprachen, Wissen und Chancen.

All das, was für gutes Geld zu haben ist – Sprachferien, Kultur- und Bildungsreisen, Auslandsjahre und Berufspraktika – kann auch getauscht werden. Von Familie zu Familie, in maßgeschneiderter Gegenseitigkeit. Am besten von Kindesbeinen an, in jenen prägenden Jahren, in denen Lernen tatsächlich ein Kinderspiel ist. Aus genau diesem Teilen und gegenseitigen Anbieten von Möglichkeiten, das mittlerweile für weit über eine Million Familien weltweit zum täglichen Leben gehört, kommt der Wunsch nach globaler Gemeinsamkeit als Weltbürger.

Wer so denkt, wer in rechtslastigem Nationalismus eine Sackgasse sieht und erkennt, dass globale Probleme nur mit globaler Zusammenarbeit lösbar werden, wünscht sich das:  Gesinnungsgenossen einfach finden und ansprechen zu können.  Vom Familienkultururlaub bis zum Schüleraustausch, vom Schulprojekt bis zum Umweltaktivismus, vom Couchsurfing bei Gleichgesinnten bis zur internationalen Forschungskooperation ist das Teilen von Wissen und Lebensinteressen der Schlüssel zum Weltbürgertum geworden.

Global Citizenship bedeutet keineswegs den blauäugigen Glauben an Friede, Freude, Eierkuchen! Im Gegenteil, das Ziel neuer Weltbürger ist realistischer Idealismus und kompetente Trittsicherheit in internationalen Belangen, damit der eigene Beitrag zu einer besseren Welt die nötige Qualität hat.

Nicht jedes Kind will Weltbürger werden. Aber jedes Kind sollte die Möglichkeit dazu haben. Und zwar unabhängig von Kontostand und Bekanntenkreis.

Hintergrund

Bei GlobalNatives.Org begann man im März 2009 als kleine Online-Community damit, Familien interessensgerecht zusammen zu bringen. Heute geben 1,3 Millionen Familien in 61 Ländern ihren Kindern eine gemeinsame Plattform, um in Familienpartnerschaften Freundsprachen zu lernen, Wissen und Können auszutauschen, Weltbürger zu werden. Nina Prodinger gehört zu den zwölf Gründungsmitgliedern (hier geht’s zur Entstehungsgeschichte) der Non-Profit-Organisation, sie ist für den deutschsprachigen Raum verantwortlich.

Mehrsprachigkeit und Auslandserfahrung sind keine Frage des Geldes (mehr) – GlobalNatives.Org hilft

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