STUTTGART. Wie entstehen Lebensmittel? Viele Städter seien ziemlich ahnungslos, sagt ein FDP-Politiker. Er macht einen Vorschlag, um Schülern das Landleben näher zu bringen – und erntet dafür viel Widerspruch.
FDP-Agrarexperte Klaus Hoher – selbst Landwirt von Beruf – hat verpflichtende Schulpraktika auf dem Land vorgeschlagen und dafür umgehend Widerspruch vom Bauernverband und dem liberalen Nachwuchs kassiert. Hoher beklagte eine wachsende Entfremdung der Stadtbevölkerung von der Landwirtschaft. Er regte deshalb an, ein schulisches Kurzzeitpraktikum «in der ländlichen Urproduktion» einzuführen. «In früheren Generationen war es völlig normal, dass Schulklassen auch einmal bei der Kartoffelernte ausgeholfen haben.»
Eine Sprecherin des Landesbauernverbandes sagte zu dem Vorschlag: «Die Idee mag nicht schlecht sein, aber sie lässt sich nicht umsetzen.» Betriebe könnten die Nachfrage sicherlich nicht abdecken. 90 Prozent der Höfe würden von Familien betrieben. «Aber ein Praktikant kostet Zeit und Geld.»
Junge Liberale: Schüler sollen sich ihre Praktika selbst aussuchen dürfen
Auch der Landeschef der Jungen Liberalen, Valentin Abel, zeigte kein Verständnis für Hohers Vorschlag. Schüler sollten selber wählen können, in welchen Bereichen sie ein Praktikum machen wollten, teilte er mit. «Eine Bevormundung in Form von Pflichtpraktika schränkt die Lebensgestaltung junger Menschen hingegen unverhältnismäßig ein.»
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hält verpflichtende Praktika nach Angaben einer Sprecherin kaum für umsetzbar. Sie sagte jedoch: «Die früher selbstverständlichen Berührungspunkte zwischen Landwirtschaft und Bevölkerung werden heute immer seltener. Dieser Entfremdung müssen wir entgegenwirken.»
Sie verwies dafür auf schon bestehende Projekte wie den Schulbauernhof Niederstetten-Pfitzingen (Main-Tauber-Kreis). «Durch die Mitarbeit in Stall, Feld und Küche lernen dort jedes Jahr zahlreiche Schülerinnen und Schüler, woher unsere Nahrungsmittel kommen, erhalten Einblicke in das bäuerliche Leben und die landwirtschaftliche Produktion», sagte Eisenmann. Dem pflichtete Agrarminister Peter Hauk (CDU) bei. Jährlich besuchten bereits mehr als 30 000 Kinder und Jugendliche freiwillig Betriebe der Landwirtschaft und des Gartenbaus.
Eisenmann: Schüler wissen nur noch wenig über die Natur
Auch Kultusministerin Eisenmann stellt nach eigenen Worten fest, dass viele Kinder kaum noch verschiedene Pflanzen- und Baumarten voneinander unterscheiden könnten. Neben den Eltern müssten die Schulen noch mehr tun – nach dem Motto «Raus in die Natur».
Ähnlich sieht das der Bauernverband. Zielführender sei es, wenn jedes Schulkind zumindest ein Mal einen landwirtschaftlichen Betrieb besuche – «nicht verpflichtend, aber organisiert», sagte die Sprecherin. Demnach bieten mehr als 500 qualifizierte Landwirte landesweit den Schulen die Möglichkeit, den Bauernhof als Lernort zu nutzen. Jährlich werden dabei mehr als 1000 Schulbesuche durch das Land finanziell gefördert.
Der FDP-Agrarexperte Hoher sagte weiter, er verstehe, wenn Menschen eine nachhaltigere Form der Landwirtschaft unterstützten. «Aber der städtisch geprägte Zeitgeist marschiert inzwischen in eine Richtung, welche die Bewirtschaftung von Land und Gewässern über kurz oder lang gänzlich unmöglich macht», beklagte der Politiker, der selbst auf einem Bauernhof aufwuchs und im Nebenerwerb Landwirt ist.
Der Landtagsabgeordnete aus dem Bodenseekreis sagte, die Bewegung rund um die Volksbegehren «Rettet die Bienen» in Bayern und Baden-Württemberg erfülle ihn mit Sorge. Die Initiatoren im Südwesten fordern etwa die Halbierung von Pestiziden bis 2025 und ein Verbot von Pestiziden in Schutzgebieten. Doch selbst der Ökolandbau könne nicht ohne Pflanzenschutz auskommen, sagte Hoher.
Grüne empfehlen: Teilnahme an Fridays-for-Future-Demonstration
Er warf den Pestizid-Kritikern vor, keine Ahnung zu haben. «Wer als junger Mensch einmal eine Woche in einem Betrieb der Land-, Forst- oder Fischereiwirtschaft mitgelaufen ist, der bekommt zumindest ein Gespür für die grundlegenden Zusammenhänge und Arbeitsbedingungen der Land- und Gewässerbewirtschaftung.» Eine solche Erfahrung schütze nicht nur gegen «ideologische Schwarz-Weiß-Malerei», sondern sie steigere auch den Respekt vor Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen.
Der Agrarexperte der Grünen im Landtag, Reinhold Pix, spielte den Ball zurück an die Liberalen. «Es ist immer gut, Erfahrungen zu sammeln. So empfehle ich beispielsweise für die FDP eine Teilnahme an einer Fridays-for-Future-Demonstration», sagte er. «Wer einmal den jungen Leuten zugehört und mit ihnen diskutiert hat, der bekommt zumindest ein Gespür für grundlegende Zusammenhänge von Klimakrise, Artensterben und was Pestizideinsatz damit zu tun hat.» dpa
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