Nach islamistischen Morden an Lehrern: Macron würdigt die Schule als „Bollwerk“

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PARIS. Nach dem islamistischen Mordanschlag auf den Lehrer Dominique Bernard im nordfranzösischen Arras haben die Schulen in Frankreich am Montag eine Schweigeminute abgehalten. Es war zugleich der dritte Jahrestag des Anschlags auf den Lehrer Samuel Paty, der ebenfalls von einem Islamisten getötet worden war. Die Schule müsse ein „Bollwerk gegen Obskurantismus“ bleiben, schrieb Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in einer Botschaft an Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler im Onlinedienst X (früher Twitter).

Richtet emotionale Worte an die Lehrerschaft: Frankreichs Staatspräsident Macron. Foto: Shutterstock / Victor Velter

In Frankreich gilt vor dem Hintergrund der tödlichen Messerattacke und der aktuellen Lage im Nahen Osten die höchste Terrorwarnstufe. Bis zu 7.000 Soldaten der Antiterror-Einheit „Sentinelle“ sollen landesweit und bis auf weiteres zum Einsatz kommen, wie der Radiosender RTL unter Berufung auf den Elysée-Palast berichtete. Am Freitag hatte ein islamistisch radikalisierter junger Mann in einem Gymnasium in Arras in Nordfrankreich den Lehrer Dominique Bernard mit einem Messer getötet und drei weitere Menschen schwer verletzt.

À vous, professeurs, chefs d’établissement, personnels de l’Éducation nationale et des collectivités territoriales,

À vous élèves de France,

Ce matin, Dominique Bernard aurait dû retrouver la cité scolaire Gambetta d’Arras. Exercer le beau métier…

— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) October 16, 2023

Der 20 Jahre alte Täter stammt aus Tschetschenien und soll während seines Angriffs auf Arabisch „Gott ist groß“ gerufen haben. Die Polizei konnte den Angreifer mit einem Taser außer Gefecht setzen und festnehmen. Auch mehrere Familienmitglieder des Angreifers, darunter seine Schwester, seine Mutter, sein Onkel und zwei seiner Brüder wurden Medienberichten zufolge in Polizeigewahrsam genommen.

Wie die Zeitung „Le Parisien“ unter Verweis auf die Behörden berichtete, wurde der ältere Bruder des Angreifers bereits 2019 wegen der Vorbereitung eines Anschlags auf den französischen Präsidentenpalast festgenommen und als Mitglied einer terroristischen Organisation zu einer Haftstrafe verurteilt.

„Wir handeln und wir werden weiterhin handeln, um sicherzustellen, dass unsere Schule ein Zufluchtsort für unsere Schüler und alle, die dort arbeiten, bleibt“

Die Attacke fand fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem tödlichen Angriff auf den Geschichtslehrer Samuel Paty statt. Der 47-Jährige war am 16. Oktober 2020 in einem Pariser Vorort von einem Angreifer getötet und dann enthauptet worden. Am Jahrestag der Tat, dem Samstag, fanden mehrere Gedenkveranstaltungen im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine statt, wo Paty an der örtlichen Mittelschule unterrichtet hatte.

Landesweit sollen sich Schulen, etwa in speziell gestalteten Unterrichtsstunden, mit dem Thema befassen, erklärte Frankreichs Bildungsminister Jean-Michel Blanquer. Am Schulgebäude werde eine Statue des Lehrers enthüllt, dazu sollen Kollegen und Schüler Patys sprechen. Im Ort finde ein Gedenkmarsch statt. Ebenso werde der Samuel-Paty-Platz gegenüber der Pariser Sorbonne offiziell eingeweiht.

Der Geschichtslehrer Paty war am Nachmittag des 16. Oktober 2020 in seinem Heimatort Conflans-Sainte-Honorine auf offener Straße enthauptet worden. Der 18-jährige Täter wurde beim Versuch der Festnahme im Anschluss von der Polizei erschossen.

Déclaration depuis Arras. https://t.co/ZSEQLDpOF1

— Emmanuel Macron (@EmmanuelMacron) October 13, 2023

Auch diese Tat war mutmaßlich islamistisch motiviert; Paty soll zuvor im Unterricht umstrittene Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt haben, anhand derer er das Thema Meinungsfreiheit mit den Schülern behandelt habe. Der Vater einer Schülerin soll sich daraufhin im Internet öffentlich über den Lehrer beschwert und damit den späteren Attentäter möglicherweise zu seiner Tat motiviert haben.

„Wenn ich zu Ihnen spreche, möchte ich Ihnen allen versichern, dass wir an Ihrer Seite stehen, dass die Nation, die der Bildung so viel zu verdanken hat, für Sie da ist“, schrieb Macron nun auf X mit Blick auf die Lehrkräfte in Frankreich. Dominique Bernard sei ermordet worden, weil er heldenhaft versucht habe, seine Schülerinnen und Schüler zu schützen. Die Terroristen wüssten, dass es die Republik ohne die Schule, ohne kritisches Denken und ohne die in der Schule vermittelten Werte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Säkularismus nicht gebe. „Wir handeln und wir werden weiterhin handeln, um sicherzustellen, dass unsere Schule ein Zufluchtsort für unsere Schüler und alle, die dort arbeiten, bleibt. Die Schule muss ein Bollwerk gegen Obskurantismus bleiben.“ News4teachers / mit Material der dpa

Messerangriff in französischem Gymnasium: Lehrkraft getötet, weitere verletzt

 

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Realist
6 Monate zuvor

Vorbildlich, wie sich er französische Präsident an die französischen Lehrkräfte wendet. Liegt vielleicht daran, dass seine Frau eine Ex-Lehrerin ist, vielleicht aber auch daran, dass die Politik in Frankreich Respekt vor der Arbeit von Lehrkräften hat.

Fakten sind Hate
6 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Ich vermute: Bald sind wieder Wahlen.

Ich kann mich noch erinnern, wie ein franz. Lehrer geköpft, eine Außenstelle einer Zeitung inkl. Mitarbeiter in die Luft gejagt wurde. Kann sein, dass die Details leicht anders aussehen, jedoch gab es keine Konsequenzen außer die übliche Beileidsbekunden und solche Aussagen, wie es der Präsi gerade tat.

Lisa
6 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Es ist zu traurig. Ich habe sehr wegen den französischen Kollegen geweint. Sie machen alles richtig, wollen die Schüler zu kritischen Bürgern erziehen, und dann werden sie von zu tiefst fanatisierten und skrupellosen Individuen getötet bzw verletzt. Und trotzdem sehen viele auch hier in Religion etwas Gutes. Doch was taugt Religion, die nicht einmal den Respekt vor dem Leben lehrt?

unverzagte
6 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Es ist allerdings auch traurig, wenn eine jahrtausendalte Religion aufgrund von fanatisierten Skrupellosen aus dieser Epoche, auf ihren generellen Nutzen hin kurzerhand und generell in Frage gestellt wird.

Wäre dann z.B. die Bibel auch Schuld an den Kreuzzügen, Hexenverbrennungen etc. oder sind es Menschen, die sie in ihrer Absicht missbrauchten !?

Lisa
6 Monate zuvor
Antwortet  unverzagte

Die Bibel ist ein Buch, das von vielen Autoren über einen sehr langen Zeitraum geschrieben wurde. Daher findet sich Erschreckendes und Anwendbares gleichermaßen. Sie zur alleinigen Richtschnur seiner Handlungen zu machen wie die Evangelikalen beispielsweise halte ich durchaus für gefährlich. Genauso gefährlich wie das Gleiche mit dem Koran zu tun. Es ist weniger Missbrauch, sondern der sklavische Gebrauch eines antiken bzw mittelalterlichen Textes. Das etwas jahrtausendealt ist, ist für mich natürlich historisch interessant, doch es ist kein Qualitätsmerkmal.

unverzagte
6 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Eine sog. heilige Schrift ansich, unabhängig ob jetzt aus dem Koran oder Bibel, kann aus meiner Sicht nicht verantwortlich gemacht werden für den „sklavischen Gebrauch“ von Fanatisten, die diese für ihren (Un-)Sinn – ich bleibe dabei – missbrauchen. Wo sehen Sie eine mögliche Differenz zwischen sklavischen Ge- und Missbrauch?

Ihre persönliche Lesart, die Qualität dieser uralten Texte interessiert anzuzweifeln, erscheint mir durchaus nachvollziehbar. Der historisch und philosophische Wert dieser religiösen Fundamente wird von all diesen „unseren“ Deutungen weiterhin bestehen bleiben.

polly
6 Monate zuvor
Antwortet  unverzagte

Religion wurde schon vor über 200 Jahren von der philosophischen Aufklärung infrage gestellt, man kam auf die Idee, die Leute sollten lieber selber ihren Verstand gebrauchen (sapere aude) als sich nach uralten religiösen Schriften und nicht legitimierten Autoritäten (Religionsführern) zu richten.
Auch heute gilt doch wohl für die Regierungen in aller Welt: je religiöser, desto reaktionärer (zumindest hinsichtlich Menschenrechten, Frauenemanzipation, queer und Regenbogen usw.).

unverzagte
6 Monate zuvor
Antwortet  polly

Ja, das ist mir von diesem „man“ durchaus bekannt. Verstand ist ein sehr großes Wort. Ein Herr namens Piaget meinte einst: Verstehen heißt erfinden 🙂

Ihre Sicht auf den stets reaktionären Gebrauch „aller Regierungen“ von immerhin fünf Weltreligionen teile ich nur bedingt.

polly
6 Monate zuvor
Antwortet  unverzagte

Das Wort „Weltreligion“ besagt eigentlich gar nichts. Was ist denn der prinzipielle Unterschied zu Sekten neben der reinen Quantität der Anhängerschaft und einer quasi-staatlichen Organisiertheit? Die Achtung der Menschenrechte ist offenbar kein Kriterium.

Achin
6 Monate zuvor

Eine klare Botschaft, verständlich vor dem Hintergrund der französischen Geschichte. Den Schulen dort kommt eine größere Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeitzu als jenen hierzulande.

Im Mittelpunkt steht das Lernen für die Realität, keine Weltflucht wie dies große Teile der sogenannten „Reformpädagogik“ in Deutschland anstrebten und anstreben. In Frankreich spielen auch legendenumwobene Gründergestalten wie Rudolf Steiner oder Maria Montessori eine viel kleinere Rolle.

447
6 Monate zuvor
Antwortet  Achin

Ja, die Lage mag in der Hinsicht für Lehrer besser sein.
Auch höre ich (reines Hötensagen), dass Zustände wie an deutschen Schulen wohl angeblich mehr oder weniger undenkbar sind, was Respektlosigkeiten gg. LuL betrifft. Ob es stimmt weiß ich nicht.

Wie allerdings diverse Angriffe gezeigt haben, wurde auch in Frankreich der entscheidende Grund so lange totgeschwiegen, bis sich selbst Parteien jenseits des rechten Spektrums etablieren und populistisch-rechte Kräfte so weit anwachsen konnten, dass zeitweise die Möglichkeit einer Le-Pen-Präsidentschaft im Raum stand.

447
6 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Natürlich hat Frankreich ein koloniales Erbe. Nix neues.
Das ist ja wesentliche Ursache für so manches Banlieu, das weiß man doch nach 10 Sekunden googeln – oder halt nach Algerien und Co., etc. pp., Mali & Zugang zum Uranabbaugebiet in der Grenzregion dort und und und.

Was daran „rechtspopulistisch“ sein soll, offensichtliche Tatsachen (egal welche Emotionen man mit diesen Tatsachen verbindet) anzusprechen – das bleibt wohl ihr „linkspopulistisches“ Geheimnis. (SCNR, ich wollte Ihren Stil auch mal kopieren)

447
6 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Weder die AfD noch sonst wer setzt mir eine Gedankenschere in Kopf, mit der ich mich vorab selbst zensiere.

unverzagte
6 Monate zuvor
Antwortet  Achin

„Die“ Realität verweist auf eine weltweite, auch in Frankreich weitläufige nationale Celestin Frenet Bewegung. Schade, dass Sie ausgerechnet ihn unerwähnt lassen in Ihrem Pamphlet.

https://de.wikipedia.org/wiki/Freinet-P%C3%A4dagogik

Lisa
6 Monate zuvor
Antwortet  unverzagte

Gerade Freinet ist wie Montessori auch absolut anwendbar. Ich habe in Bogotá mit Freinet Alphabetisierung mit Erwachsenen gearbeitet. Also die Reformpädagogik ist bestimmt nicht Schuld an dem, was hakt.

Unverzagte
6 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Dank für Ihren Beitrag, freut mich sehr.

Achin
6 Monate zuvor
Antwortet  unverzagte

Bitte genau lesen: Ich schrieb „kleinere Rolle“, nicht „keine Rolle“.
Sie können gerne die Anzahl der Privatschulen mit sogenannter oder selbsternannter „reformpädagogischen Ausrichtung“ vergleichend recherchieren, die sich explizit auf eine legendenumwobene Gründergestalt berufen, vielleicht aber nicht nur über Wikipedia.

Bei dieser Gelegenheit könnten Sie sich zudem erneut mit dem Begriff „Pamphlet“ auseinandersetzen.

Unverzagte
6 Monate zuvor
Antwortet  Achin

Apropos Pamphlet: Sie verbinden Reformpädagogik mit „Weltflucht“. Möchten Sie diese verunglückte Wortwahl im Nachhinein als wertschätzend darstellen?

Sie können also doch selbst recherchieren.

Achin
6 Monate zuvor
Antwortet  Unverzagte

Gerne würde ich Ihnen antworten, mir erschließt sich jedoch nicht Ihre Intention. Wie meinen Sie das, fragend oder auffordernd?

unverzagte
6 Monate zuvor
Antwortet  Achin

Ob auffordernde Frage oder fragende Aufforderung dürfen Sie sich gern aussuchen.

polly
6 Monate zuvor
Antwortet  Achin

Ein „Bollwerk“ gegen religiöse Ansprüche gibt es in Europa eigentlich seit über 200 Jahren: die Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem „Reichsdeputations-hauptschluss“. In Frankreich hat man Ernst gemacht damit, in Deutschland aber nicht. Da werden noch heute manche Bischöfe vom Staat besoldet, und Bischöfe werden zu Staatsfeierlichkeiten eingeladen und sitzen dann neben Vertretern der Islamverbände, so als seien sie im Range von Ministern.

polly
6 Monate zuvor

„Die Werte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Säkularismus“.
Genau den letzten Wert „Säkularismus“ erkennen viele, viele Leute nicht an und meinen wohl, ihn dem Land Frankreich sozusagen „austreiben“ zu sollen. An diese Stelle sollen dann Götter gesetzt werden, die ihre Befehle in sog. heiligen Schriften kundgetan haben. Und das scheint der Kern des Problems zu sein.

Clara
6 Monate zuvor

Fallen die Lehrkräfte dann „auf dem Feld der Ehre“?