Ägyptologie, Judaistik: Rechnungshof kritisiert selten belegte Master-Studiengänge

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STUTTGART. Ägyptologie oder Judaistik: In Baden-Württemberg gibt es aus Sicht des Rechnungshofs zu viele Masterstudiengänge, die nur wenige Menschen studieren möchten. Die Prüfer fordern das Land zum Handeln auf.

Ägyptologie beschäftigt sich mit dem alten Ägypten: Tutanchamuns Totenmaske. Foto: Shutterstock

Der Rechnungshof kritisiert das Land für zu viele Masterstudiengänge, die niemand absolvieren möchte. Nach Angaben der Finanzkontrolleure kam bei einer Überprüfung von mehr als 700 Masterstudiengängen an Universitäten und Hochschulen heraus, dass es im Südwesten mehr als 120 Studiengänge gibt, für die sich jährlich weniger als 10 Personen einschreiben.

Es sei wirtschaftlich nicht vertretbar, diese Studiengänge dauerhaft anzubieten, kritisieren die Prüfer. «Die dafür vorgehaltenen Ressourcen erzeugen nur wenig Nutzen und fehlen an anderer Stelle, vor allem in den dauerhaft überausgelasteten Bereichen», heißt es in dem Bericht.

Einige der wenig nachgefragten Studiengänge gebe es landesweit gleich mehrfach in gleicher oder ähnlicher Form, teilte der Rechnungshof mit. Besonders betroffen seien geisteswissenschaftliche Fächer an den Unis in Tübingen, Freiburg und Heidelberg. Dem Bericht zufolge geht es um die Bereiche Geschichte, Sprache und Kultur sowie Religion. Als Beispiel führen die Prüfer zwei Masterstudiengänge im Bereich Ägyptologie an, die im Schnitt von weniger als einem Studienanfänger pro Jahr begonnen werden. Ähnlich sieht es bei zwei Masterstudiengängen der Judaistik aus.

«Gesetzgeber und Landesregierung sollten nach unserer Auffassung sicherstellen, dass die Hochschulen auf die schwache Nachfrage durch Verzicht auf diese Studiengänge, ihre Aufhebung oder die Konzentration von Fächern an einzelnen Hochschulstandorten reagieren», sagte die Präsidentin des Rechnungshofs, Cornelia Ruppert. Die Kontrolleure schlagen vor, dafür im Landeshochschulgesetz festzuschreiben, dass Unis auf schwache Nachfrage künftig zwingend reagieren müssen.

Welche Studiengänge angeboten würden, sei eine Entscheidung der Hochschulen, teilte das Wissenschaftsministerium mit. «Wirtschaftliche Aspekte spielen dabei ebenso eine Rolle wie wissenschafts- und forschungspolitische», hieß es. Man dürfe nicht einzige die Auslastung als entscheidendes Indiz für die Wirtschaftlichkeit und Bedeutung eines Studiengangs heranziehen. «Viele Studiengänge sind nicht allein zu betrachten, sondern es bestehen teils umfängliche Verknüpfungen mit dem Lehrangebot anderer Angebote. Zudem sind Studiengänge regelmäßig an Forschungskapazitäten geknüpft und dienen der Profilbildung des gesamten Studienangebots.» Von einem gesetzlichen Automatismus distanziere man sich deswegen deutlich. News4teachers / mit Material der dpa

Papyrologie, Koptologie oder Umformungstechnik – was bringt das Studium eines Orchideenfachs?

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Ralph Lübbe
10 Monate zuvor

Tatsächlich ein enges Dozenten Studenten Verhältnis, wo gibt es das noch. Und dann höchste intellektuelle Expertise durch ein kulturell anspruchsvolles Fach, dessen Wissensinhalte verloren zu gehen drohen. M.E. dürfen Fächer wie Ägyptologie, Altorientalistik, Vorderasiatische Archäologie nicht untergehen, da sie auch verantwortlich sind für das kulturelle Gedächtnis der Menschheit und nicht neu “erfunden” werden können.

Dr. Specht
10 Monate zuvor
Antwortet  Ralph Lübbe

Sie sprechen ein wichtiges Thema an, gerade an der Universität sollte es nicht nur um die unmittelbare Verwertbarkeit von Bildungsinhalten gehen.

Der Landesrechnungshof hat jedoch keineswegs zur Streichung bestimmter Masterstudiengänge aufgerufen, sondern vielmehr zu einem verantwortungsvollen Umgang mit öffenlichen Geldern und zu einer besseren Planung.

Auch die Universitätsleitungen von Heidelberg, Freiburg und Tübingen leben nicht auf einem anderen Planeten, sondern in einem Bundesland, in dem viele Talente verlorengehen, weil zahlreiche Kinder und Jugendliche in Familien aufwachsen, die unter der Armutsgrenze leben. Hier wäre eine Studie hilfreich: Aus welchen gesellschaftlichen Schichten stammen die Masterstudierenden der im Bericht gemeinten Studiengänge? Da werden nur wenige Bildungsaufsteiger darunter sein, die werden eher Lehrerin oder Lehrer.

PaPo
10 Monate zuvor
Antwortet  Ralph Lübbe

Danke!

Auch die alleinige Mehrung von Wissen um Wissen zu mehren, ist hinreichender (kultureller) Nutzen, ist hinreichende Legitimation auch der Förderung und des Erhalts von sog. Orchideenfächern. Einerseits Bildung und andererseits wirtschaftliche Erwägungen bzgl. der Förderung und des Erhalts von “Orchideenfächern” und letztlich auch der ökonomischen Nutz- bzw. Auswertbarkeit der Studienresultate und -absolventen derart gegeneinander zuungunsten der Bildung abzuwägen, dieser Stellvertreterkampf von Geiseswissenschaften gg. MINT, ist unwürdig und protegiert kultureller Stille und Dunkelheit. Und dem Wissenschaftsministerium ist hier zuzustimmen.

Sepp
10 Monate zuvor

Ich fände es einerseits schade, wenn man solche Fächer komplett wegfallen lassen würde, andererseits scheint es finanziell auch absurd, einen Studiengang anzubieten, bei dem nichtmal jedes Jahr ein neuer Studienanfänger beginnt.

Da erscheint es mir sinnvoller, vielleicht einige Ägyptologen, Papyrologen, Judaistiker usw. an eine Uni zu holen, wo sie gemeinsam arbeiten und forschen, aber auch unterrichten könnten.

Vielleicht bieten dann bspw. statt 11 deutsche Universitäten nur 4 Unis Ägyptologie als Master-Studium an. Aber dafür hätte man an den Standorten auch die richtigen Experten konzentriert. Vielleicht belegten dann auch andere Altphilologen entsprechende Veranstaltungen, weil sie wüssten, dass sie von echten Koryphäen auf dem Gebiet unterrichtet werden…

Eine Alternative wäre es, einfach einen Masterstudiengang in ein anderes Studium aufzunehmen. Dann würde man meinetwegen in einem Master “Ur- und Frühgeschichte” einfach den Schwerpunkt Ägyptologie anbieten, ohne dass es dafür einen eigenen Studiengang braucht.

Lisa
10 Monate zuvor
Antwortet  Sepp

Ur- und Frühgeschichte und Ägyptologie sind sehr unterschiedlich. Archäologen müssen anfangs je einen Kurs belegen, um einen Blick für das Große und Ganze zu bekommen, auch wenn sie eine ganz andere Richtung studieren.
Eine Zusammenfassung entspräche eher einem Fach ” Naturwissenschaften”, wie es das an Schulen gibt, in dem Physik, Chemie und Biologie zusammengefasst werden. Einer leidet immer, und hier meine ich mich zu erinnern, dass Kollegen die Tiefe des Erlernten monieren.

Unfassbar
10 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Mein Lieblingsbeispiel in dem Zusammenhang ist der Physiker, der Kindesmissbrauch unterrichten muss…