„Wissenschaftsprekariat“ – Gewerkschaft legt Gesetzentwurf gegen Zeitverträge vor

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BERLIN. Unterhalb der Professorenebene sieht es düster aus für die Wissenschaftlicher an den deutschen Hochschulen. Auf bis zu 90 Prozent schätzen Experten den Anteil derjenigen, die sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln. Mit ihrem Gesetzesvorschlag «Dauerstellen für Daueraufgaben» will die Gewerkschaft GEW Druck auf die Regierung ausüben, die Beschäftigungsbedingungen an den Unis zu verbessern, obwohl im Grundsatz Einigkeit besteht.

Immer mehr Zeitverträge mit immer kürzeren Laufzeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs – diesen Trend wollen die Gewerkschaft GEW und auch die Bundestagsparteien bald brechen. Mit ihrem Gesetzesvorschlag «Dauerstellen für Daueraufgaben» ging die Bildungsgewerkschaft nun in Vorlage: Sie will den Druck auf die große Koalition erhöhen, das seit 2007 geltende, zur Befristung von Dozentenverträgen einladende Gesetz zu reformieren.

Dozent vor Tafel
Grundsätzlich sind sich Gewerkschaft und Regierung einig: Die Lage der wissenschaftlich Hochschulbeschäftigten unterhalb der Professorenebene muss sich verbessern. (Foto: tyo/Flickr CC BY 2.0)

Schwarz-Rot hatte im Koalitionsvertrag von 2013 eine Novellierung des seit 2007 geltenden Wissenschaftszeitvertragsgesetzes angekündigt. Der Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse habe «in den letzten Jahren ein Maß erreicht, das Handlungsbedarf entstehen lässt», heißt es in der Vereinbarung von Union und SPD.

Die GEW setzt sich seit langem für stabile Beschäftigungsbedingungen in Hochschule und Forschung ein. Neben erheblichen Auswirkungen auf Berufschancen und Privatleben der betroffenen Hochschulmitarbeiter gefährde das Gesetz auch die Qualität von Forschung und Lehre. Er gehe unterhalb der Professoren-Ebene von 90 Prozent Befristungsanteil aus, sagte der stellvertretende GEW-Chef Andreas Keller. «Und über die Hälfte der Zeitverträge hat eine Laufzeit von unter einem Jahr.» Betroffen seien etwa 170 000 Wissenschaftler an Fachhochschulen und Unis sowie fast 30 000 an außeruniversitären Forschungseinrichtungen.

Trotz einiger Fortschritte sieht GEW-Vize Keller weiterhin starke «Beharrungskräfte» bei Unis und Forschungseinrichtungen. Einig sei man im Ziel, die Hochschulen finanziell zu stärken – beispielsweise durch zusätzliche Mittel der Länder nach der jüngsten Bafög-Reform.

Auch die Wissenschaftsexpertin der Unionsfraktion, Alexandra Dinges-Dierig (CDU), sieht die Bundesländer in der Pflicht. Sie hätten wegen der Entlastung von den Bafög-Kosten durch den Bund etwa 1,2 Milliarden Euro mehr in der Hand, von denen der Großteil an die Hochschulen gehen solle. «Für mehr Entfristungen braucht man Geld», die Länder könnten «richtig Gas geben», sagte die CDU-Politikerin. Der Bund könne beispielsweise über die Vergabe von Projektmitteln Druck ausüben, um zu mehr unbefristeten Dozentenstellen zu kommen.

Ob es noch 2015 etwas mit einer Reform wird, darauf mochte sich Dinges-Dierig nicht festlegen. Ihre SPD-Kollegin Simone Raatz will indes bis zum Sommer mit einem schwarz-roten Entwurf ins Parlament, in dem Mindeststandards für Vertragslaufzeiten stehen sollen. Grünen-Experte Kai Gehring sagte: «Wegen des Zauderns und Zankens der Koalition über bessere Arbeitsbedingungen im Wissenschaftssystem ist kein Ende für das Befristungsunwesen in Sicht.»

Die GEW fordert in ihrem Reformvorschlag unter anderem, den personellen Geltungsbereich des bisherigen Gesetzes einzugrenzen und «Beschäftigte, die überwiegend Lehraufgaben wahrnehmen», davon auszunehmen. Außerdem solle eine Tarifsperre aufgehoben werden, weil sie Uni-Beschäftigte bei Befristungsregelungen benachteilige.

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Horst Hippler, sieht die GEW-Pläne «sehr kritisch». Die Gewerkschaft beziehe sich «im wesentlichen auf eine fünf bis sechs Jahre alte Studie, die methodisch fehlerhaft war». Erhebungen der Universitätskanzler deuteten im Schnitt auf eine Quote von circa 20 bis 25 Prozent unbefristet beschäftigte Wissenschaftler neben der Professur hin. «Und man benötigt an den Hochschulen Flexibilität.» Hippler betonte, auch die Hochschulen arbeiteten an einem neuen Umgang mit Zeitverträgen. (Werner Herpell, dpa)

zum Bericht: GEW macht sich für bessere Beschäftigungsbedingungen in der Wissenschaft stark

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