Genug Personal für die vielen Flüchtlingskinder? In Bayern kocht der Ärger von Lehrern erstmals hoch

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MÜNCHEN. Der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle ist mit sich zufrieden. In den meisten Bundesländern wurde der Personalbestand an den Schulen erhöht, auch in Bayern. Schließlich stellt die große Zahl von Flüchtlingen das Schulsystem in ganz Deutschland vor große Herausforderungen. Aber reicht das Stellenplus schon? Spaenle meint: ja. Er sieht die Schulen im Freistaat  gut gerüstet – im Gegensatz allerdings zum Lehrerverband BLLV und der Opposition.

Unter Druck: Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle. Foto: Sigismund von Dobschütz / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Unter Druck: Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle. Foto: Sigismund von Dobschütz / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Allein in Bayern sollen in diesem Jahr, so eine Prognose, 50.000 Flüchtlingskinder bis Jahresende in die Schulen kommen. Angesichts dieser Rekordzahl streiten Kultusministerium, Opposition und Lehrervertreter, ob die bayerischen Schulen für das kommende Woche beginnende Schuljahr ausreichend gerüstet sind. «Wir können am Dienstag gut starten», sagte Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) am Mittwoch in München und verwies auf viele zusätzliche Übergangs- und Förderklassen. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) beklagte dagegen eine unzureichende Personalausstattung der Schulen. Die Opposition forderte bis zu 1.000 zusätzliche Lehrer.

Die Schulen in Bayern sowie im übrigen Bundesgebiet stehen aktuell vor der Herausforderung, viele schulpflichtige Flüchtlinge aufzunehmen und zu unterrichten. Mit wie vielen zusätzlichen Schülern man bis zum Jahresende insgesamt rechnen müsse, konnte Spaenle zwar noch nicht sagen. Er sprach aber von einer Zahl «im Zehntausenderbereich». Darauf werde man flexibel reagieren.

Spaenle erläuterte, die Zahl der Übergangsklassen an Grund- und Mittelschulen, die den Kindern den Einstieg erleichtern sollen, werde von 300 zu Beginn des vergangenen Schuljahres auf nunmehr 470 erhöht. Darüber hinaus gebe es Deutschförderklassen und –förderkurse. Und an den Berufsschulen werde es 440 Berufsintegrationsklassen geben – vor einem Jahr waren es noch gut 180. Gegebenenfalls könnten aber auch zum Halbjahr noch weitere Klassen gebildet werden. Auch in den Verhandlungen über den Nachtragshaushalt 2016 dürfte die Schulpolitik angesichts der vielen Flüchtlinge eine ganz zentrale Rolle spielen.

Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ ist geplant, 2,6 Millionen Euro zusätzlich für den Unterricht von Flüchtlingskindern und jugendlichen Asylbewerbern ausgeben. Werde der Nachtragshaushalt für 2016 nach der Sommerpause in der jetzigen Form beschlossen, könne  Spaenle von Januar 2016 an etwa 50 zusätzliche Lehrer beschäftigen, so berichtet das Blatt. Zum Vergleich: Nordrhein-Westfalen will in einem Nachtragshaushalt jetzt rund 1.200 Lehrerstellen für die Eingliederung von Flüchtlingen zusätzlich schaffen.

BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann kritisierte dann auch, in Bayern reiche es für den regulären Unterricht zu Beginn des Schuljahres zwar, Zusatz- und Förderangebote werde es aber vielerorts nicht geben. «Zusätzliche Angebote wie Arbeitsgruppen, Förderstunden oder Differenzierungen sind an vielen Schulen nicht möglich», klagte sie. Viele Schulleitungen verfügten zudem über keinerlei Reserven, so dass es im Laufe des Schuljahres bei der Lehrerversorgung eng werden könne.

Ohnehin seien die Schulen nur unzureichend auf die große Zahl von Flüchtlingskindern vorbereitet. «Da mangelt es an allem, zum Beispiel an Dolmetschern, an Pädagogen, an Psychologen und an zusätzlich unterstützendem Personal.» Fleischmann forderte mehr Lehrerstellen und mehr Geld für die Schulen im Nachtragshaushalt. «Die vielfältigen Zusatzaufgaben in den Schulen können nicht mit den zugeteilten Lehrerstellen geleistet werden», erklärte die BLLV-Präsidentin. Dazu müsse deutlich mehr Geld in die Hand genommen werden. «Gute Schule steht und fällt mit einer guten Ausstattung. Wie sonst sollten die Herausforderungen im kommenden Schuljahr bewältigt werden?»

Auch die Opposition forderte dringend mehr Lehrer, um die wachsende Zahl von Flüchtlingskindern zu bewältigen. «Wir müssen dafür sorgen, dass diese Kinder möglichst schnell Deutsch lernen und in den Unterricht integriert werden. Das ist einer der Kernpunkte der gesamten Integration der Zuwandererfamilien», erklärte der SPD-Bildungsexperte Martin Güll. Seine Forderung: «Wir müssen jetzt zunächst einmal 200 bis 300 fertig ausgebildete hoch qualifizierte Lehrkräfte, die ohne Job sind, einstellen und sie zur Betreuung von oft traumatisierten Flüchtlingskindern weiterbilden.» Am ersten Schultag nächste Woche sei wahrscheinlich genug Personal vorhanden, aber die Zahl der Flüchtlinge wachse ja weiter, betonte Güll.

Die Freien Wähler forderten sogar 1.000 zusätzliche Lehrerstellen. Die entsprechenden finanziellen Mittel dafür müssten im Nachtragshaushalt bereitgestellt werden, sagte der bildungspolitische Sprecher Günther Felbinger. Er schlug zudem vor, die bisherigen Übergangsklassen in «Willkommensklassen» umzubenennen. Schulpflichtige Flüchtlinge und Asylbewerber sollen darin zügig die deutsche Sprache erlernen, damit sie bald in reguläre Klassen wechseln könnten. Zudem forderte Felbinger, mehr Schulpsychologen an bayerischen Schulen einzusetzen.

Die Grünen forderten die Einstellung 1.000 neuer Deutschlehrer, die bayernweit zur systematischen Sprachförderung in allen Schularten eingesetzt werden könnten. «Lange Diskussionen sind das letzte, was wir jetzt brauchen – schnell handeln und Geld in die Hand nehmen, das muss die Devise sein», betonte der Bildungsexperte Thomas Gehring. dpa

Zum Bericht: Politiker rechnen für 2015 mit bis zu 400.000 Flüchtlingskindern – 3.000 zusätzliche Lehrer sollen sie eingliedern

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