Erdogan drängt zehntausende Lehrer aus den Schulen – GEW: In der Türkei werden Rechte ausgehebelt

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BERLIN. Horst Hippler, Präsident der der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), zeigt sich empört über die Reaktionen der türkischen Regierung  auf den Putschversuch vom vergangenen Wochenende. „Die deutschen Hochschulen sehen die aktuellen Entwicklungen an den türkischen Hochschulen mit Entsetzen. Die tiefen, offenbar skrupellosen Einschnitte in die akademischen Freiheiten durch die türkische Regierung machen uns alle fassungslos. Wir protestieren gegen dieses Vorgehen auf das Schärfste“, so der HRK-Präsident. Auch die GEW protestiert, und die Bundesregierung zeigt sich beunruhigt.

Hat "Säuberungen" angekündigt - und lässt Taten folgen: der türkische Staatspräsident Erdogan. Foto: Αντώνης Σαμαράς / flickr (CC BY-SA 2.0)
Hat „Säuberungen“ angekündigt – und lässt Taten folgen: der türkische Staatspräsident Erdogan. Foto: Αντώνης Σαμαράς / flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Bundesregierung beobachtet das Vorgehen der türkischen Regierung gegen mutmaßliche Sympathisanten der Putschisten mit wachsender Sorge. „Fast täglich kommen neue Maßnahmen hinzu, die einem rechtsstaatlichen Vorgehen widersprechen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin. Die Reaktionen auf den vereitelten Putsch seien unverhältnismäßig. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), sagte, „diese Maßnahmen geben uns Anlass zu größter Sorge“.

Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Nacht zum Samstag hat in der Türkei eine Verhaftungswelle begonnen. Tausende von Staatsdienern wurden vom Dienst suspendiert, darunter allein 15.200 Lehrer von staatlichen Schulen. Die Regierung will zudem 21.000 Lehrern an Privatschulen die Lehr-Genehmigung entziehen, wie die die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Ihnen allen werde vorgeworfen, Beziehungen zu dem in den USA lebenden Geistlichen Fetullah Gülen zu haben, den die Türkei als Planer des Putschversuchs ansieht. Die Regierung forderte zudem den Rücktritt von 1.577 Universitäts-Dekanen. Akademiker dürfen seit Mittwoch nicht mehr ausreisen.

„Die Nachrichten deuten darauf hin, dass es um systematische Einschüchterung und um die Vernichtung des freien Geistes geht: Entlassung von mehr als 1500 Dekanen, Suspendierungen, Ausreiseverbot für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Rückruf von im Ausland tätigen, Generalverdacht gegen Hochschulangehörige, Verhaftungen. Wir fühlen uns mit den betroffenen Hochschulangehörigen tief verbunden und versichern sie unserer Solidarität“, schreibt nun Hippler.

Weiter heißt es: „Traditionell verbinden die Türkei und Deutschland gute Wissenschaftsbeziehungen. Während der nationalsozialistischen Diktatur fanden zahlreiche deutsche Wissenschaftler Zuflucht in der Türkei. Heute zeichnen sich die Beziehungen durch eine enge Kooperation in der universitären Forschung sowie durch einen intensiven Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern aus.“ Schon  im Januar hatte Hippler die Repressionen der türkischen Regierung gegen Wissenschaftler an türkischen Hochschulen kritisiert. Gemeinsam mit internationalen Partnern unterzeichnete er zudem einen offenen Brief an den türkischen Staatspräsidenten, im dem der Schutz der akademischen Freiheiten eingefordert wurde. Offenbar vergeblich.

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) verurteilt die Freisetzung von Lehrkräften und Hochschuldekanen sowie das Reiseverbot für Wissenschaftler scharf. „Das ist ein Kahlschlag im Bildungsbereich und stellt das Menschenrecht auf Bildung in Frage. Die Rechte der im Bildungs- und Wissenschaftsbereich Beschäftigten werden ausgehebelt. Die türkische Regierung nutzt den Putsch offenbar, um rechtsstaatliche Grundsätze außer Kraft zu setzen und Stellen mit regierungstreuen Mitarbeitern zu besetzen. Wir fordern die Regierung in der Türkei auf, die Menschenrechte zu achten und die Rechtsstaatlichkeit im Land wieder herzustellen“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Donnerstag. Sie verlangte, alle Repressionen gegen die im Bildungs- und Wissenschaftsbereich Beschäftigten einzustellen sowie die akademische Freiheit zu respektieren und garantieren. News4teachers / mit Material der dpa

Zum Bericht: Bundesregierung verteidigt Karikatur im Schulbuch – und rät Erdogan zur Gelassenheit

 

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sofawolf
7 Jahre zuvor

Das finde ich wirkllich alles sehr bedenklich.

Wenn das wirklich alles Gülen-Leute wären, könnte man denken, dass damit ein noch stärkere Islamisierung des Landes vermieden wird – aber ich weiß echt nicht, was ich da noch glauben soll. Andererseits ist Erdogan nunmal von einer Mehrheit gewählt worden. Demokratie bedeutet, das zu akzeptieren.

Bin ein bisschen ratlos.

Bernd
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Nein, sofawolf, Demokratie bedeutet eben nicht Willkürherrschaft – auch nicht die der Mehrheit. Auch 51 oder 95 Prozent der Bevölkerung dürfen Recht und Gesetz nicht außer Kraft setzen. Die Menschenrechte, und zu denen gehört der Schutz von Minderheiten, sind nicht abstimmbar. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören zusammen. Erdogan zeigt hier deutlich seine Fratze als machtbesoffener Autokrat. Das müssen auch Demokraten nicht akzeptieren, nur weil eine Mehrheit der Türken hinter ihm steht.

m. n.
7 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Doch, das müssen Demokraten akzeptieren. In einer Demokratie ist nun mal das Volk der Souverän bzw. die Mehrheit des Volkes, ob Ihnen dessen Wünsche nun passen oder nicht.
Ist nun mal so. Aber Sie biegen sich die Wahrheiten immer wieder so zurecht, wie Sie sie haben wollen.

sofawolf
7 Jahre zuvor
Antwortet  m. n.

An dieser Stelle unterstütze ich Bernd mal. Ginge es immer nur nach Mehrheiten wären ihnen die Minderheiten ausgeliefert. Ich überlege selbst, was könnte die Einschränkung sein, um eine „Diktatur der Masse“ zu verhindern. Sowas wie das Grundgesetz, die Menschenrechte, der Rechtsstaat wahrscheinlich.

Bernd
7 Jahre zuvor
Antwortet  m. n.

Das ist Dummschwätzerei, m.n. – und ein geradezu vulgäres Verständnis von Demokratie. Natürlich sind auch gewählte Politiker Recht und Gesetz unterworfen, und in Deutschland gibt’s – wie in allen Demokratien – ein Verfassungsgericht, an dem weder „Mehrheit“ noch Regierung vorbeikommen. Sie können auch keinen Umsturz der staatlichen Ordnung per Volksabstimmung herbeiführen – auch wenn manche (Sie auch?) das hier offenbar gerne hätten.

Allen Ernstes: Sind Sie Lehrer? Gar Beamter, der auf diesen Staat vereidigt ist? Wenn ja, dann sollten die Länder mal dringend daran arbeiten, die Einstellungsvoraussetzungen zu verschärfen. Nicht nur Einwanderer brauchen Grundkenntnisse über unsere Zivilisation, sondern offenbar auch so mancher, der aus dem deutschen Sumpf gekrochen kommt.

Pälzer
7 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Ich widerspreche m.n. Nur in der alten griechischen Demokratie konnte das (stimmberechtigte) Volk jede Maßnahme beschließen. Bernd biegt sich gar nichts zurecht, sondern er erinnert an das Prinzip der Grundrechte, die in einer Verfassung niedergelegt sind. Gäbe es die nicht, so könnte die jeweilige Mehrheit die Minderheit nach Belieben politisch kaltstellen, enteignen und Schlimmeres tun, einfach indem sie mit ihrer Mehrheit Gesetze beschließt.
Nun weiß ich nicht, welche Grundrechte in der türkischen Verfassung verankert sind. Klar ist aber, dass es sie geben muss oder müsste, wenn die Türkei eine richtige Demokratie sein will.

sofawolf
7 Jahre zuvor

@ Bernd, sind Sie für die bundesweite Einführung von Volksentscheiden?

(Sie wissen, worauf ich hinaus will?)

Pälzer
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Wollen Sie wie Erdogan über die Todesstrafe abstimmen lassen?

Bernd
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Nein, bin ich nicht. Ich bin für die repräsentative Demokratie, weil direkte Demokratie (außer in Fragen sehr begrenzter Reichweite) in die Unregierbarkeit führt. Was heißt denn „das Volk entscheidet“? Meinungen ändern sich – mitunter sehr schnell. Wie oft soll das Volk denn dann entscheiden? Entscheiden wir dann jedes Jahr aufs Neue, ob Deutschland in der Nato sein soll, ob wir nicht doch lieber eine Staatswirtschaft statt einer Marktwirtschaft hätten, ob wir die ostdeutschen Länder nicht doch lieber wieder aus Deutschland rausschmeißen sollen (dafür gäb’s in Westdeutschland wahrscheinlich auch eine Mehrheit)? Entscheidet das Volk dann auch darüber, wie viele Lehrer wir einstellen oder ob’s Freibier für alle geben soll? Und wer trägt dann die Kosten, wenn’s der Staatshaushalt nicht hergibt?

Die repräsentative Demokratie bietet ja jedem die Möglichkeit mitzuwirken – und sich mit seinen politischen Vorstellungen und Ideen wählen zu lassen. Wem der Weg zu mühsam ist, der hat’s auch nicht verdient.

sofawolf
7 Jahre zuvor

@ Bernd, ich stimme Ihnen zu.

(Nur glaube ich nicht, dass es wirklich eine Mehrheit unter den Westdeutschen gäbe, dass die ostdeutschen Bundesländer wieder aus Deutschland „rausgeschmissen“ werden sollen. 😀 )

Bernd
7 Jahre zuvor

Lieber sofawolf,

das war nur so eine Vermutung – Sie haben vermutlich (hoffentlich) Recht.

Gruß
Bernd

stillmann
7 Jahre zuvor

Mein Kommentar von gestern Abend wurde von der Redaktion rasch gelöscht, was ich zuerst nicht verstand, bei genauerem Nachdenken aber nachvollziehen kann wegen eines Schmähbegriffs, den ich bezüglich der Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung, Frau Anetta Kahane, gebrauchte.
Darum auf ein Neues ohne Entgleisung:
In der Artikelüberschrift steht m. E. zu Recht, „Es geht um die Vernichtung des freien Geistes.“
Wenn ich auch nicht an eine Vernichtung denke, so denke ich doch an eine einseitige Behinderung oder Einschränkung des freien Geistes in unserem Land durch die Macht der privaten Amadeu Antonio Stiftung, die ein Lobbyverein ist, der hohe Summen an Steuergeldern bekommt durch staatliche Aufträge zur Durchforstung des Netzes nach Hass- und Hetzebeiträgen, nach Hatespeech also.
Ich sehe diese Verflechtung einer lobbyistischen Stiftung mit der Politik sehr kritisch wegen des nicht zu übersehenden Interessekonflikts zwischen dem, was unter die Meinungsfreiheit fällt und dem, was die Stiftung gemäß ihrer Interessen bereits als Hass und Hetze ansieht. Und da kommt mir Erdogan mit seinem Demokratieverständnis in den Sinn, auch wenn die Fälle so verschieden sind, dass ein Vergleich schief ist.
Ein ungewöhnlich aufschlussreicher, kritischer und mutiger Artikel über die Zusammenarbeit von Politik und Amadeu Antonio Stiftung ist in der FAZ zu lesen:

http://blogs.faz.net/deus/2016/07/17/wie-man-gegen-satirische-journalisten-stasi-opfer-und-die-polizei-hetzt-3517/

mehrnachdenken
7 Jahre zuvor
Antwortet  stillmann

@stillmann
Die Biographie von Anetta Kahane werden Sie sicher kennen. Es ist schon erstaunlich, was manche Leute bei uns für Karrieren „hinlegen“ können, grins.

NurEiner
7 Jahre zuvor

Die ganze Vorgehensweise Erdogans und nicht erst seit dem Putschversuch können wir großenteils in deutschen Geschichtsbücher nachlesen. Das ist sehr bedenklich. Willkürliche Entziehung von Rechten einzelner unbequemen Menschen. Kritik wird bestraft. Kritiker verprügelt und inhaftiert.

Auch von einer „Mehrheit“ gewählt und das bezweifle ich stark, MUSS er dennoch alle führen und anhören. Er muss Alle Interessen berücksichtigen und gute Kompromisse finden. Alles was Erdgan ausübt ist eine Diktatur unter dem Mantel einer nicht mehr existierenden Demokratie. Am Ende strebt er noch das neue Grossosmansicher Reich an…Grosser Fan davon ist er ja…..Ähnlich wie unser Kandidat sehr in das römische Imperium verliebt war…..

Aber auch die Türkei ist von Devisen abhängig. Tut Eures und reist nicht dahin. Kauft nichts, was Made in Türkei ist. Aber seit Nett dabei. Der Döner Mann um die Ecke gehört nicht dazu…

sofawolf
7 Jahre zuvor

Zitat: „Die ganze Vorgehensweise Erdogans und nicht erst seit dem Putschversuch können wir großenteils in deutschen Geschichtsbücher nachlesen. Das ist sehr bedenklich. Willkürliche Entziehung von Rechten einzelner unbequemen Menschen.“

Meinst du damit den sogenannten Radikalenerlass von 1972, nach dem auch im alten Westdeutschland unzuverlässige Personen aus dem Staatsdienst entfernt wurden (v.a. Kommunisten)? 😉

Nein, nein, ich weiß schon, was du meinst, aber – ohne Erdogan verteidigen zu wollen -, das machen ja offensichtlich auch westliche Demokratien so. Man denke auch nur an die „Evaluationen“ nach der Wende in der ehemaligen DDR, als auch tausende (zehntausende) Personen, die man für „zu rot“ fand (insbesondere die mit Stasi-Vergangenheit) aus dem Staatsdienst entfernte. Wie ich hörte, hatten ehemalige Pionierleiter und SED-Funktionäre damals keine Chance, Lehrer zu bleiben.

Ich will das hier gar nicht werten, es fiel mir nur eben so ein, als ich über die „Säuberungen“ im türkischen Staatsdienst und unsere Empörung darüber nachdachte. Man empört sich ja meistens nicht mehr, wenn welche betroffen sind, „die man auch nicht mag“. 😉

sofawolf
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Die „Säuberungen“ richten sich ja gegen die sogenannte Gülen-Bewegung. Ich weiß über die fast gar nichts. Ich hörte nur, sie vertreten / propagieren einen traditionellen Islam. Also noch konservativer als die Erdogan-AKP (Ich frage das!)? Und wenn ich mich nicht irre, will die Gülen-Bewegung Religion und Staat wieder miteinander „vermengen“, sage ich mal vorsichtig, während die Türkei seit Kemal Atatürk Staat und Religion strikt voneinander trennt. (Wie steht die AKP dazu?)

Auch wenn Erdogan den Putschversuch nur als Vorwand nutzt, um seinen Erzfeind Gülen und seine Leute auszuschalten, was muss man von der Gülen-Bewegung halten? Wäre sie ein Feind der Demokratie gewesen? Ich bin da noch im Prozess der Meinungsfindung.

sofawolf
7 Jahre zuvor

Man hat ja in der Ex-DDR auch „die Roten“ wegen vermeintlicher „Verfassungsuntreue“ (bzw. Unglaubwürdigkeit) aus dem Staatsdienst entfernt. Haben wir da also nicht das Gleiche getan, wie es jetzt die Türkei mit den Gülen-Leuten macht?