Wegen Lehrermangels: Eisenmann will den Englisch-Unterricht in den Klassen eins und zwei streichen – GEW ist empört

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STUTTGART. Englisch oder Französisch lernen in den ersten beiden Klassen der Grundschule – in einigen Bundesländern ist das bislang möglich. Doch die Kultusministerin von Baden-Württemberg sieht sich nun gezwungen, den Beginn des Fremdsprachen-Unterrichts in den Grundschulen des Landes auf die Klasse drei zu verlegen. Nun gäbe es durchaus pädagogische Gründe dafür, den Stoff für die Schulanfänger auf die Grundlagen zurückzuführen. Eisenmann macht dafür allerdings den zunehmenden Lehrermangel verantwortlich.

Verbot - oder kein Verbot? Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Foto: Kultusministerium Baden-Württemberg
Setzt den Rotstift an: Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). Foto: Kultusministerium Baden-Württemberg

Baden-Württembergs Kultusministerin und KMK-Präsidentin Susanne Eisenmann (CDU) will den Lehrermangel unter anderem mit einem späteren Start der ersten Fremdsprache an den Grundschulen bekämpfen. «Ich kann mir vorstellen, dass wir die Fremdsprachen in der Grundschule erst ab Klasse 3 beginnen lassen und dadurch rund 630 Deputate gewinnen», sagte sie im Gespräch in Stuttgart. Diese sollen in den Grundschulen als «Poolstunden» zur Stärkung von Lesen, Schreiben und Rechnen belassen werden. Bislang beginnen die Schüler im Ländle in der ersten Klasse, Englisch und entlang des Rheins Französisch zu lernen.

Baden-Württemberg hatte 2003 als erstes Bundesland für alle Erstklässler den Englischunterricht und nahe der Grenze zu Frankreich den Französischunterricht eingeführt. Nach Angaben des Goethe-Instituts wird Englisch ab Klasse eins in Rheinland-Pfalz seit 2005/2006 und in Nordrhein-Westfalen seit 2008/2009 unterrichtet. In den anderen Ländern gibt es regionale Initiativen für den Beginn ab Klasse eins oder Schulversuche in einzelnen Grundschulen.

GEW-Landeschefin Doro Moritz reagierte verärgert auf Eisenmanns Initiative. Es könne nicht sein, dass der klar vorhandene Lehrerbedarf an Grundschulen nur über Streichungen des Unterrichtsangebots gedeckt werden könne. Es müssten zusätzliche Stellen her. Moritz erinnerte daran, dass es die damalige CDU-Landeskultusministerin Annette Schavan war, die den Fremdsprachenunterricht an Grundschulen einführte. «Das Argument war, dass Kinder sehr früh sehr unbefangen mit der Fremdsprache umgehen.»

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Der SPD-Schulexperte im Landtag, Daniel Born, kritisierte: «Anstatt den Fremdsprachenerwerb pädagogisch weiterzuentwickeln, haut die Kultusministerin mit der Sparaxt dazwischen.» Born fürchtete «weitere aktionistische Umschichtungen» von Stellen. Der Ministerin stehe bei der Unterrichtsversorgung das Wasser bis zum Hals.

Der FDP-Bildungsexperte im Landtag, Timm Kern, stellte sich hingegen auf die Seite der CDU-Ministerin. Zwar habe seine Partei den Fremdsprachenunterricht in der Grundschule stets befürwortet und damals die Einführung mitgetragen. Aber sowohl der Lehrermangel als auch die Schwerpunktsetzung im Bereich Deutsch und Mathe an den Grundschulen seien gewichtige Gründe für Eisenmanns Entscheidung.

„Mehr Effizienz“

Der Arbeitgeberverband sprach von einem «richtigen Schritt in Richtung mehr Effizienz». Die Einführung von Englisch in der Grundschule habe nicht alle Erwartungen erfüllt. Auch der Verband Bildung und Erziehung trägt Eisenmanns Plan mit – unter der Voraussetzung, dass die frei werdenden Deputate den Grundschulen wirklich zur Stärkung von Lesen, Schreiben und Rechnen erhalten bleiben.

Der grüne Koalitionspartner signalisierte Beratungsbedarf. «An den Grundschulen werden die Grundlagen für den Bildungserfolg gelegt. Dafür brauchen die Grundschulen selbst eine solide Grundlage: gut ausgebildete und hoch motivierte Lehrer in ausreichender Zahl», sagte Bildungsexpertin Sandra Boser. Die Grünen erwarteten von Eisenmann einen Maßnahmenplan zur Absicherung der Unterrichtsversorgung so rechtzeitig vor der Sommerpause, dass die Fraktionen darüber gemeinsam mit ihr beraten und geeignete Maßnahmen definieren könnten.

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In jüngsten Studien waren Qualitätsprobleme beim Unterricht in Baden-Württemberg offenkundig geworden. Zudem droht infolge einer Pensionierungswelle eine Lücke bei den Lehrern. «Wir sind bei der Versorgung mit Pflichtunterricht auf Kante genäht», räumte Eisenmann ein. Der Landeselternbeirat spricht von den schlimmsten Ausfällen von Unterricht seit zehn Jahren. Eisenmann erklärte, sie verstehe die Sorgen der Eltern, wenn punktuell Unterricht ausfalle. «Man muss da aber auch keine überzogenen Horrorszenarien an die Wand malen.» Zwar sei zum laufenden Schuljahr mit 6600 die höchste Zahl von Stellen zu besetzen gewesen, doch es mangele an Bewerbern.

Betroffen sind die kleinen Grundschulen auf dem Land, die Fächer Mathematik und Physik sowie die Sonderpädagogik. Derzeit fehlten 1700 Lehrer. «Das heißt aber nicht, dass 1700 Klassen ohne Lehrer dastehen.» Die Lücke werde etwa durch Mehrarbeit, Vertretungen und aus der Elternzeit vorzeitig zurückkehrende Pädagogen geschlossen.

Von einer Zusammenlegung kleiner Grundschulen will Eisenmann die Finger lassen. Wenn Kommunen damit liebäugelten, sollten sie beraten werden. An den 2400 Grundschulen im Land werde das Prinzip «Kurze Beine, kurze Wege» bestehenbleiben. Die Verhandlungen für den Landesetat 2018/19 will Eisenmann nutzen, um den geplanten Abbau von Lehrerstellen bis 2020 zu diskutieren. Nach Ministeriumsangaben werden von diesem Jahr bis 2020 rund 1300 Stellen gestrichen. Von Julia Giertz und Bettina Grachtrup, dpa

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sofawolf
6 Jahre zuvor

Ich finde das vernünftig.

Da die Kinder in Lesen, Schreiben, Rechnen immer schlechter werden, sollte man sich (wenigstens) in Klasse 1 und 2 genau darauf konzentrieren.

Alles andere später!

alexander
6 Jahre zuvor

Wenn man sich mit Fachleuten – also nicht mit Politikern oder Verbandsvertretern – unterhält, erfährt man regelmäßig, dass Fremdsprachenunterricht in der Grundschule sinnlos und ineffektiv ist.

ysnp
6 Jahre zuvor
Antwortet  alexander

Welche Fachleute? Es gibt durchaus Englischfachleute, die frühes Fremdsprachenlernen befürworten. Wir sind mit EnglischkollegInnen des Gymnasiums im Austausch. Sie schätzen unsere Arbeit an der Grundschule. Das frühe Fremdsprachenlernen ist dem geschuldet, dass man sagt, je jünger die Kinder sind, desto intuitiver lernen sie. Da ist durchaus etwas dran. Rein schulisch reicht mir die Variante mit dem Beginn im 3. Schuljahr.

GriasDi
6 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Wenn sie jünger sind, lernen sie aber nur dann besser, wenn „sie in der Sprache baden“, wenn also in der häuslichen Umgebung der Schüler diese Sprache gesprochen wird. Ansonsten gilt scheinbar, je besser man seine Muttersprache beherrscht, desto besser lernt man eine Fremdsprache.

GriasDi
6 Jahre zuvor
Antwortet  GriasDi
sofawolf
6 Jahre zuvor

@ ysnp,

ZITAT: „Das frühe Fremdsprachenlernen ist dem geschuldet, dass man sagt, je jünger die Kinder sind, desto intuitiver lernen sie. Da ist durchaus etwas dran.“

Wenn Kinder eine Sprache besser lernen, je früher sie damit beginnen, warum ist dann ihr Deutsch so schlecht (Rechtschreibung, Grammatik. Ausdruck)? Das haben sie doch auch von Klasse 1 an?!?