Schuldenkrise statt Bildung: Die Kanzlerin versetzt die KMK

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(Mit Kommentar) BERLIN. Drei Jahre nach dem Gipfel von Dresden, auf dem sie die „Bildungsrepublik Deutschland“ ausrief, wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Thema erneut auf die Agenda heben.

Was als großer symbolischer Akt geplant war, geriet dann allerdings zu einem kleinen Auftritt: Merkel wollte die Kultusministerkonferenz (KMK) besuchen – was eine Premiere gewesen wäre: Kein Kanzler vor ihr erwies der Bundesländervereinigung die Ehre. Dann aber sagte die Regierungschefin das Treffen kurzfristig ab. Die Schuldenkrise hatte ihr offenbar die Terminplanung durcheinander gebracht. Eine Stippvisite der von vielen Migrantenkindern besuchten Erika-Mann-Grundschule in Berlin-Wedding fand dagegen wie geplant statt; KMK-Präsident Bernd Althusmann (CDU) und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), begleiteten die Kanzlerin dabei.

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Angela Merkel wollte die Kultusministerkonferenz besuchen. Die Schuldenkrise kam offenbar dazwischen. Foto: Aleph / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)

In Dresden hatten sich 2008 die Regierungschefs von Bund und Ländern unter anderem darauf verständigt, die Ausgaben für Forschung und Bildung in Deutschland gemeinsam bis 2015 auf zehn Prozent des Brutto-Inlandsproduktes zu steigern. Darüber hinaus wurde eine Halbierung der Quote der Schulabgänger ohne Abschluss von damals acht auf vier Prozent in Aussicht gestellt. Die Bundesregierung sieht sich auf einem guten Weg: „Die Bildungsausgaben sind in Deutschland überdurchschnittlich stark gestiegen“, vermeldete die Staatssekretärin im Bundesbildungsministerium, Cornelia Quennet-Thielen, vor wenigen Wochen anlässlich der Veröffentlichung des OECD-Berichts „Bildung auf einen Blick“. Die Bildungsausgaben der öffentlichen Hand lagen Quennet-Thielen zufolge 2008 bereits auf dem Niveau von Frankreich und Großbritannien. „Seither haben wir in Deutschland die öffentlichen Investitionen für Bildung nochmals um mehr als zehn Prozent gesteigert. 2010 lagen die Haushaltsansätze für Bildung erstmals über 100 Milliarden Euro. Einen wesentlichen Beitrag zu dieser enormen Steigerung haben die Beschlüsse des Bildungsgipfels 2008 in Dresden geleistet“, sagte die Staatssekretärin.

Darüber hinaus habe sich die Hochschulabsolventenquote seit 1995 verdoppelt (von 14 auf 28 Prozent), Deutschland verzeichne mit 9,5 Prozent eine der niedrigsten Jugendarbeitslosenquoten in der OECD, und auch die Studienfächer Mathematik, Ingenieur, Natur- und Technikwissenschaften, die sogenannten MINT-Fächer, seien im Aufwind. Fazit der Staatssekretärin aus dem Haus von Bundesbildungsministerin Annette Schavan: „Wir sind auf dem richtigen Weg – in die Bildungsrepublik.“

DGB ließ Ergebnisse des Bildungsgipfels begutachten

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) macht allerdings eine andere Rechnung auf. Er hat bei dem Essener Bildungsforscher Prof. Klaus Klemm ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Ergebnisse drei Jahre nach dem Bildungsgipfel beleuchten soll.“Dem gesetzten Ziel der Steigerung der öffentlich und privat getragenen Bildungsausgaben auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts scheint Deutschland im Jahr 2009 auf den ersten Blick nahe gekommen zu sein“, schreibt Klemm. „Berücksichtigt man allerdings die Tatsache, dass die Bezugsgröße, das Bruttoinlandsprodukt, durch die Wirtschaftskrise des Jahres 2009 deutlich geschrumpft ist und dass zugleich im damaligen Konjunkturpaket II Bildungsausgaben zeitlich befristet gesteigert wurden, so bleibt von 2008 nach 2009 nur noch eine Steigerung des Anteils der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 8,6 auf 8,7 Prozent. Das Zehn-Prozent-Ziel bleibt in weiter Ferne.“

Auch eine deutliche Senkung der Zahl der jungen Menschen ohne Schulabschluss lässt auf sich warten.“Die angestrebte Halbierung der Quote der Absolventen allgemein bildender Schulen ohne Hauptschulabschluss ist nicht einmal ansatzweise erkennbar. In den Jahren von 2000 bis 2009 ist diese Quote um gerade einmal 2,4 Prozentpunkte gesunken – von 9,4 auf 7,0 Prozent“, urteilt Klemm. „Bund und Länder setzen ihre Bildungsgipfelversprechen nur schleppend um. Gleichzeitig greifen viele Bundesländer bei Kitas, Schulen und Hochschulen zum Rotstift. Die Bildungsrepublik wird so zur Fata Morgana“, erklärte Ingrid Sehrbrock, stellvertretende DGB-Vorsitzende, angesichts dieser Bilanz.

Die Kanzlerin ficht das nicht an. Bei ihrem Schulbesuch machte sich Merkel laut Pressemitteilung „ein Bild von der Integration vieler dort lernender Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache“. Nach Angaben  der Bundesregierung wollte die Kanzlerin dann im Anschluss mit der Kultusministerkonferenz vor allem über Integration und Bildung von Migrantenkindern sprechen. Deren Perspektiven zu verbessern, das hatte sich der Bildungsgipfel gleichfalls vorgenommen. Gutachter Klemm sieht hier tatsächlich dringenden Handlungsbedarf; er attestiert Deutschland nach wie vor „ein schwer erträgliches Maß an Ungleichheit“, unter dem Kinder aus Einwandererfamilien zu leiden hätten.  (red)

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