„Lehrer sind nicht auf Sprachförderung vorbereitet“

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HANNOVER. 62 Prozent der Lehrkräfte sind sich darüber bewusst, dass die deutsche Sprache eine Hürde für viele Schüler ist. 80 Prozent wissen aber nicht damit umzugehen.

Bilder helfen, Texte zu verstehen, sagt Professorin Engin auf der Didacta-Messe(Foto: Nina Braun)
Bilder helfen, Texte zu verstehen, sagt Professorin Engin auf der "didacta"(Foto: Nina Braun)

Lehrer seien während ihrer Ausbildung nicht darauf vorbereitet worden, sagt Professorin Havva Engin während ihres Vortrags auf der Bildungsmesse „didacta“. Das könne nicht so bleiben, sagt die Leiterin des interkulturellen Kompetenzzentrums an der Hochschule Heidelberg. Sie fordert, dass die Vermittlung von Sprachkompetenz im Fachunterricht selbstverständlich werden müsse, denn „Kinder lernen im Fachunterricht pro Stunde mehr neue Begriffe als im Sprachunterricht.“ Als wir uns zum Interview setzen, ist die Professorin kaum zu bremsen. Sie hat viel zu erzählen.

N4T: Frau Professorin Havva Engin, ob jemand aus Italien, Russland oder der Türkei kommt, hat doch bestimmt Einfluss darauf, wie diejenigen Deutsch lernen. Was sagt die Forschung: Haben die Schüler, abhängig von ihrem sprachlichen Hintergrund, unterschiedliche Probleme mit dem Deutschen?

Engin: Ja klar. Menschen können nach der Geburt 37 unterschiedliche Laute hören, die meisten davon verlernen wir aber schnell, weil jede Sprache nur wenige und ganz bestimmte Laute verwendet. Deshalb haben türkischstämmige Kinder im Deutschen ein Problem mit den ch-Lauten. Sie hören etwa den Unterschied zwischen Kirche und Kirsche nicht.

Türken ebenso wie Italiener sind sprachlich eine Vokalharmonie gewohnt, im Deutschen gibt es das nicht. Irritiert sind sie deshalb von Wörtern wie „Blume“, bei ihnen klingt das dann häufig wie „Belume“. Russen dagegen kommen schlecht mit der Lautsprache der Buchstaben V, W und F klar. Sie hören nicht den Unterschied der Aussprache in Wörtern wie Vogel, Wasser oder Faser.

N4T: Gibt es etwas, womit alle Probleme haben?

Engin: Das Verb! Das wandert in der deutschen Sprache permanent.

N4T: Woran scheitern die Schüler konkret im Unterricht?

Engin: Sie haben beispielsweise einen zu geringen Wortschatz oder es fehlen Vorkenntnisse des Textthemas. Die Folge ist etwa im Mathematikunterricht, dass sie Aufgabenstellungen nicht verstehen. Es kann deshalb sinnvoll sein, Schüler Aufgaben selber formulieren zu lassen. Vor kurzem habe ich von einer Schule in Berlin gehört, die bisher eigentlich gute Ergebnisse in Mathematik vorweisen konnte, in den Vergleichsarbeiten aber plötzlich schlecht abschnitten. Auf Nachfrage berichteten die Schüler, dass sie die Textaufgaben einfach nicht verstanden hätten.

N4T: Es gibt viele Sprachförderprogramme wie etwa Delfin4 für Vierjährige in Nordrhein-Westfalen, deren Wirksamkeit umstritten ist. Wie könnten diese verbessert werden?

Engin: Die Kinder haben häufig ein sehr heterogenes Sprachniveau. Die Tests fokussieren aber nur auf Deutschkompetenzen. Aus Untersuchungen mit Vierjährigen wissen wir, dass Migrantenkinder, deren Erstsprache altersangemessen entwickelt ist, rund neun Monate brauchen, um Deutsch zu lernen. Ist aber die Familiensprache nicht altersangemessen entwickelt, hakt es schon an der Stelle.

N4T: Kann denn der sogenannte muttersprachliche Unterricht diesen Kindern helfen?

Engin: Wenn die Familiensprache nicht altersgemäß entwickelt ist, kann es auch daran liegen, dass etwa ein Hörproblem vorliegt. Muttersprachlicher Unterricht ist für Kinder geeignet und sinnvoll, die zweisprachig aufwachsen. Die lernen dann auch besser Deutsch, weil sie dann etwa neue Fachbegriffe übersetzen können.

N4T: Nach den von Ihnen zitierten Umfragen wollen Fachlehrer gerne mehr sprachliche Förderung machen, wissen aber nicht wie. Was raten Sie?

Engin: Lehrer können Teams bilden, um sich auszutauschen und auf ihren eigenen Umgang mit der Sprache zu achten. Generell sollten etwa Texte um Bilder und Diagramme ergänzt werden, von langen Texten sollten Zusammenfassungen vorliegen und die Arbeit mit dem Wörterbuch sollte selbstverständlich sein. NINA BRAUN führte das Gespräch.

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