Physiker blicken gespannt nach Genf: Existiert das Gottesteilchen?

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GENF. Reicht die Datenmenge jetzt? Heute könnte endgültig die Existenz des Higgs-Teilchen bestätigt werden. Das wäre eine Sensation, nicht nur für Wissenschaftler.

Simulation des hypothetischen Zerfalls eines Higgs-Teilchens in Teilchen-Jets am CMS/CERN. Illustration: Cern / Wikimedia Commons
Simulation des hypothetischen Zerfalls eines Higgs-Teilchens in Teilchen-Jets im Teilchenbeschleuniger des Cern. Illustration: Cern / Wikimedia Commons

Es wäre wie eine Erlösung. Seit über 30 Jahren jagen Physiker dem mysteriösen Higgs-Teilchen hinterher. Endgültig nachgewiesen haben sie es bislang nicht. Doch heute möchten leitende Wissenschaftler des Cern in Genf auf einer Pressekonferenz neue Ergebnisse präsentieren. Einige Experten vermuten, dass sie die definitive Entdeckung des Higgs-Teilchen verkünden werden – ein historischer Moment. Sicher ist das aber nicht.

Mit dem Higgs-Teilchen – auch als Gottesteilchen bekannt – könnten die Forscher erklären, warum Materieteilchen eine Masse besitzen. Der Theorie nach wird Masse durch das Higgsfeld erzeugt; so soll also überhaupt die Masse ins All gekommen sein. «Man kann sich das vorstellen wie einen Sirup, durch den alle Teilchen fliegen. Durch die Wechselwirkung mit diesem Higgsfeld bekommen alle Teilchen Masse», sagt der Teilchentheoretiker Wilfried Buchmüller vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg. Er ist überzeugt, dass es das Higgsfeld tatsächlich gibt.

Letzteres kann man aber unglücklicherweise nicht direkt messen, sondern nur sein Nebenprodukt, das Higgs-Teilchen. «Wenn es das Higgs-Feld gibt, müssten wir das Higgs-Teilchen finden», sagt Buchmüller. Damit das klappt, werden am Cern, dem größten Teilchenbeschleuniger der Welt, Protonen mit hoher Geschwindigkeit aufeinander geschossen. Die Protonen zerbersten dabei in viele verschiedene Zerfallsprodukte.

Auf Spurensuche

Das Higgs-Teilchen wird aber nicht im eigentlichen Sinne «gefunden». Die Wissenschaftler messen viel mehr Spuren, die vom Higgs-Teilchen stammen könnten. «Wie sich das Higgs-Teilchen bemerkbar machen würde, ist exakt vorhergesagt», sagt Buchmüller. Treten Spuren, die vom Higgs-Teilchen stammen könnte, sehr häufig auf, ist das ein guter Hinweis. Damit aus dem Hinweis ein Beweis wird, müssen die Spuren des Higgs-Teilchens entsprechend oft gemessen werden. Bislang war das nicht möglich. Allerdings haben die Physiker nun mehr als doppelt so viele Daten gesammelt wie noch Ende 2011. Das könnte reichen, um das Higgs-Teilchen endgültig zu bestätigen.

Die Arbeit der Wissenschaftler wäre dann mitnichten beendet. «Im nächsten Schritt schauen wir, ob das Teilchen exakt in das berechnete Schema passt. Dafür muss man noch mehr Daten sammeln und das Higgs-Teilchen so genau wie möglich beschreiben» sagt der Teilchentheoretiker Buchmüller. Passe das Higgs-Teilchen nicht genau in die gegenwärtige Theorie, müsste diese entsprechend erweitert werden.

Der Wissenschaftsphilosoph Michael Stöltzner bewertet den möglichen Nachweis des Higgs-Teilchens aus einer weniger technischen Sicht: «Findet man das Higgs-Teilchen, ist eine wohl durchdachte Theorie sehr präzise bestätigt worden», sagt er. «Dass wäre aber nicht das Ende vom Lied.» Stöltzner glaubt nicht, dass das Teilchenmodell eine absolute Wahrheit ist. Keine Theorie sei endgültig. «Man findet immer neue Wahrheiten. Damit werden die alten aber nicht ungültig, sondern lediglich auf einen bestimmten Gültigkeitsbereich eingeschränkt.»

Für seinen Kollegen Holger Lyre, theoretischer Philosoph von der Universität Magdeburg, hätte die Entdeckung sogar einen faden Beigeschmack, falls in der Folgezeit keine weiteren Entdeckungen gemacht würden: «Wir hätten dann eine bizarre Situation. Niemand wüsste, wie es weiterginge. Denn nahezu alle Theoretikern sind sich einig, dass auch das bestätigte Standardmodell nicht das letzte Wort sein kann.»

Und wenn die Forscher herausbekommen, dass es das Higgs-Teilchen doch nicht gibt? Für den Philosophen Stöltzner wäre selbst das keine Katastrophe. «Das Standardmodell fällt nicht sofort mit dem Higgs-Teilchen. Diese Theorie kann man auch mit Hilfe weiterer Modelle umbauen. Sie bricht nicht sofort zusammen.» Man müsse dann eben kräftig weiterforschen. VALENTIN FRIMMER, dpa
(3.7.2012)

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