Erste Hilfe für Internetsüchtige: Neue Ambulanz in Bochum

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BOCHUM. Was tun, wenn (junge) Menschen in eine virtuelle Welt abgleiten, abhängig werden von Online-Spielen, Cybersex und Sozialen Netzwerken. Immerhin eine halbe Million Betroffene gibt es hierzulande. Doch Hilfe gibt es bisher kaum. Im Ruhrgebiet soll eine neue Medienambulanz helfen, die Lücke zu schließen.

Viele Jugendliche spielen das Online-Spiel "World of Warcraft" - manche verlieren sich darin. Illustration: Screenshot
Viele Jugendliche spielen das Online-Spiel „World of Warcraft“ – manche verlieren sich darin. Illustration: Screenshot

Als sein Vater das Internetkabel zog, rastete der junge Mann völlig aus und würgte ihn. Der 17-Jährige musste in psychiatrische Behandlung für eine Krankheit, die medizinisch noch nicht als solche anerkannt ist: Internetabhängigkeit.

In welcher Not sich Menschen dennoch befinden können, wenn sie die Kontrolle über ihre Internetnutzung verloren haben, weiß Bert te Wildt aus langjähriger Erfahrung als Facharzt auf dem Gebiet der Medienabhängigkeit. «Für Patienten ist es ein schwerer Abschied aus der virtuellen Welt» – ein Weg bei dem abhängige Computerspielzocker und Cybersexsüchtige im Ruhrgebiet jetzt Hilfe bekommen sollen: An der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum leitet te Wildt die am Montag eröffnete Spezialambulanz für Medienabhängigkeit.

«Wer sich mal beim Tetris-Daddeln verliert, ist nicht internetabhängig», stellt er klar. Wenn sich das Leben jedoch so sehr um Online-Spiele oder Internet-Sex dreht, dass das reale Leben auf der Strecke bleibt, könne ein Leidensdruck entstehen, der vergleichbar ist mit Glücksspielsucht. In sich selbst und die Computerwelt zurückgezogen vernachlässigen Betroffene den Kontakt zu Familie und Freunden, gehen nicht mehr zur Schule oder zur Arbeit.

Symptome: Aggression oder Depression

Häufig habe das exzessive Zocken und Surfen erhebliche Folgen für Seele und Körper, sagt der Fachmann: Gesteigerte Aggression oder Depression zählen ebenso zu den Symptomen wie Übergewicht und Beschwerden durch das ständige Sitzen und etwaigen Schlafmangel, so te Wildt. In Deutschland leiden mehr als eine halbe Million Menschen unter Internetabhängigkeit – eine Verhaltenssucht, auf deren Anerkennung als medizinische Krankheit Experten wie te Wildt drängen. Nur so könnten notwendige Therapiemodelle flächendeckender angeboten werden als bisher. Am LWL-Universitätsklinikum in Bochum ist man daher froh, mit der Medienambulanz einen ersten Schritt in diese Richtung zu gehen.

In Sprechstunden und Gruppentherapien sollen Betroffene künftig gemeinsam mit Psychotherapeuten Wege aus der virtuellen Welt zurück in ein Leben mit kontrollierter Internetnutzung finden. Teil der Therapie bei Computerspielsüchtigen etwa sei es, dass sich Abhängige Online-Rollenspieler von ihrem Avatar verabschieden müssen, dem künstlichen Online-Ich, das in Spielen wie «World of Warcraft» gefährliche Abenteuer meistert.

„Richtig Trauerarbeit leisten“

«Als Therapeuten müssen wir richtig Trauerarbeit leisten. Da entsteht eine unglaubliche Leerstelle», sagt te Wildt. Um diese zu füllen, sollen die Therapieteilnehmer ermuntert werden, gemeinsam wieder in die reale Welt aufzubrechen: «Wer seit Jahren vor dem Computer hängt, für den kann ein Kneipenbesuch eine echte Herausforderung sein.»

Die Gruppentherapie sei bei alledem nur ein Anfang: Um dauerhaft einen kontrollierten Umgang mit dem Internet zu erlernen, bedürfe es meist langjähriger psychologischer Begleitung, weiß der Suchtmediziner. Die Erfolgsquoten dabei sind ernüchternd. Nach Erfahrungen der ähnlich arbeitenden Internet-Ambulanz aus Mainz erreichen gerade einmal 50 Prozent der Teilnehmer die Rückkehr zu einem normalen Umgang mit dem Rechner – Rückfallquoten ähnlich wie bei Alkoholikern. FLORENTINE DAME, dpa
(1.10.2012)

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