Nach dem Urteil in Sachsen – Auch Thüringens Privatschulen wollen klagen

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BAD LOBENSTEIN/GERA. Seit einigen Jahren tobt ein Streit zwischen den Trägern freier Schulen und dem Kultusministerium. Der Grund: Der Freistaat hat seine Förderung gekürzt. Nun geht die Sache, wie im Nachbarland Sachsen, vor Gericht.

Das Wochenende steht vor der Tür, doch die Schüler der Michaelisschule in Bad Lobenstein sind noch voll bei der Sache. In einer Klasse geht es an diesem Freitag um Wetterkunde, in einer anderen wird ein Englisch-Test geschrieben. Behinderte und nicht-behinderte Kinder lernen ganz selbstverständlich zusammen.

«Wir versuchen den Stoff für jeden auf sein Niveau herunterzubrechen», erklärt Schulleiterin Anne Wildt. Doch Träger freier Schulen wie das Michaelisstift Gefell fühlen sich mit dem Rücken zur Wand, seit das Land Zuschüsse gekürzt hat. Der Streit kommt nun vor Gericht – sieben Klagen will das Verwaltungsgericht Gera am Mittwoch entscheiden. Wohl im kommenden Frühjahr verhandelt der Verfassungsgerichtshof eine Normenkontrollklage der Grünen-Fraktion gegen das Gesetz.

Ende 2010 hatte der Landtag beschlossen, die Förderung freier Schulen von 85 auf 80 Prozent pro Schüler einer vergleichbaren staatlichen Schule zu senken. «Pro Schule kann das zusätzliche Minus je nach Schülerzahl zu einer sechsstelligen Summe anwachsen. Wo soll die denn herkommen?», fragt der Vorstandschef des Michaelisstifts, Klaus Scholtissek.

Die gemeinnützige Stiftung ist einer der Kläger, die gegen das Gesetz am Verwaltungsgericht Gera vorgehen. Die Folge sei, dass schrittweise bei Personal, Qualität und Instandhaltung der Schulen gespart werden müsse. «Das Gesetz zielt darauf ab, die freien Träger auszubluten und staatliche Schulen zu privilegieren.»

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Die Privatschulen in Thüringen haben nach dem Urteil in Sachsen vermutlich gute Chancen vor Gericht. Foto: dierk schaefer / flickr (CC BY 2.0)

Neben den staatlichen Zuschüssen können freie Schulen Beiträge von den Eltern erheben. Doch mancher Träger sieht ein Problem, wenn diese immer weiter steigen. «Uns wäre es lieber, wir müssten gar kein Schulgeld erheben», betont Andreas Kieselbach vom Landesarbeitskreis der freien Alternativschulen. Zu dem Verband gehören vier Schulen in Erfurt, Altenburg, Greiz und Silkerode (Eichsfeld). «Wenn das Schulgeld weiter und weiter steigt, wird es irgendwann Eltern geben, die sich das nicht mehr leisten können.» Momentan kämen 35 der 78 Schüler der Erfurter Regenbogen-Schule aus sozial schwachen Familien.

Freie Schulen gehen oft auf Elterninitiativen zurück und verfolgen häufig spezielle pädagogische Konzepte. Bei der Regenbogenschule etwa gibt es keine Schulklassen, sondern altersgemischte Lerngruppen. «Die Lernschritte bestimmen die Kinder weitgehend selbst», erläutert Kieselbach. In der Michaelisgrundschule in Bad Lobenstein lernen jeweils die Kinder der Klassen 1 und 2 sowie 3 und 4 gemeinsam. Die Lehrer orientieren sich an den Methoden der Reformpädagogin Maria Montessori. Dazu gehört sogenannte Freiarbeit, bei der die Schüler aus einem vorgegebenen Angebot auswählen können, was sie lernen.

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Zwar habe seit der Gesetzesänderung noch keine freie Schule in Thüringen schließen müssen, erklärt Marco Eberl, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft freier Schulen und Vorstandschef der Evangelischen Schulstiftung in Mitteldeutschland. «Aber die Zahl der echten Neugründungen ist deutlich zurückgegangen.»

Und selbst bei großen Trägern wie der Evangelischen Schulstiftung mit insgesamt 20 Schulen in Thüringen und Sachsen-Anhalt kämen einzelne Schulen in Existenznot. Dabei sei das Schulgeld schon auf breiter Front erhöht worden. Eberl: «Ich sehe das plurale Schulwesen und die in der Verfassung festgeschriebene Bildungsvielfalt in Gefahr.»

Die Vorwürfe der freien Träger lässt das Kultusministerium so nicht stehen. Insgesamt seien die Ausgaben des Landes für die nunmehr 163 freien Schulen in den vergangenen Jahren leicht gestiegen auf 129 Millionen Euro, erläutert Sprecher Stefan Schuhmacher. Anders als freie Schulen müsse das staatliche Schulsystem zusätzliche Aufgaben erbringen, etwa Lehrpläne entwickeln, Prüfungsaufgaben erarbeiten und Lehrer ausbilden.

Hinzu komme ein momentaner Überhang an Lehrern. Um dies zu berücksichtigen, sei die direkte Koppelung an die Entwicklung der Ausgaben staatlicher Schulen aufgehoben worden. Die Finanzierung freier Schulen orientiere sich nun am «tatsächlich notwendigen» Personalbedarf und sei «auskömmlich». Deswegen habe es gar keinen Anlass gegeben, die Elternbeiträge zu erhöhen.

«Diese Berechnung ist völlig intransparent und öffnet der Willkür Tor und Tür», moniert Scholtissek. «Wir können jedes Jahr neu darauf warten, welcher Wert festgelegt wird. Das ganze Verfahren wird am Parlament vorbei vollzogen und ist daher manipulationsanfällig.» Um die Lücken zu schließen, verzichten mitunter auch die Lehrer auf einen Teil ihres Gehalts. Allerdings könnte es dadurch künftig viel schwerer werden, Fachkräfte zu gewinnen, betont Scholtissek.

Ohnehin sind ehrenamtliche Helfer bei vielen freien Schulen längst unverzichtbar. Während die Schüler der Michaelisschule noch Mittag essen, auf dem Schulhof spielen oder in der Schul-Disco toben, bereiten Lehrer und Ehrenamtliche das Programm für den Nachmittag vor. Zum Wochenausklang stehen mehr als ein Dutzend Angebote auf dem Plan: Vom Töpfern über Trommeln und Theater bis hin zu Kegeln. Wildt: «Mit meinem Personal könnte ich das gar nicht alles abdecken.»

Trotz gestiegenem Schulgeld sind die Plätze in der Michaelisschule begehrt. «Wir haben dieses Jahr 36 Anfragen, können aber nur 25 Schüler aufnehmen», berichtet die Schulleiterin. Eigentlich wollte sich die Einrichtung gar zu einer Gemeinschaftsschule erweitern, doch angesichts der veränderten Bedingungen lägen diese Pläne auf Eis. Andreas Hummel/dpa

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