Fünf Jahre danach: Weiße Rosen für die 15 Opfer des Amoklaufs

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WINNENDEN. Fünf Jahre sind vergangen, Entsetzen und Trauer bleiben. Winnenden erinnerte meist schweigend an die Opfer des Amoklaufs vom 11. März 2009. Weiße Rosen wurden für sie aufgestellt – 15 Stück.

Weiße Rosen wurden aufgestellt, um an die Opfer zu erinnern. Foto: srqpix / flickr (CC BY 2.0)
Weiße Rosen wurden aufgestellt, um an die Opfer zu erinnern. Foto: srqpix / flickr (CC BY 2.0)

Am fünften Jahrestag des Amoklaufs von Winnenden ist dort am Morgen der Opfer gedacht worden. Um 9.33 Uhr läuteten in der Kleinstadt nahe Stuttgart für fünf Minuten die Kirchenglocken. Zu dieser Zeit war am 11. März 2009 der erste Notruf bei der Polizei eingegangen. Der ehemalige Schüler Tim K. war in die Albertville-Realschule eingedrungen und hatte mit der Pistole seines Vaters während des Unterrichts acht Schülerinnen, einen Schüler und drei Lehrerinnen ermordet. Auf seiner Flucht nach Wendlingen erschoss der 17-Jährige drei weitere Menschen und sich selbst.

An einer neuen Gedenkstätte im Stadtgarten in Sichtweite der Schule verlas Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth (CDU) vor den Trauernden die Namen der Ermordeten und ihr Alter. Zum Großteil waren die Opfer gerade mal 15 oder 16 Jahre alt. Die Flaggen der Stadt trugen Trauerflor. 15 weiße Rosen standen auf dem Mahnmal «Gebrochener Ring», das seit vergangener Woche an die Bluttat erinnert. Im Inneren des Rings sind die Namen der Opfer und ein Gedicht zu lesen.

Die Schulgemeinschaft blieb an diesem Tag unter sich, erinnerte zur Tatzeit schweigend an die Opfer. Gespräche über Gewaltprävention und Gedenken waren geplant, wie Schulleiter Sven Kubick mitteilte. Noch rund 100 Schüler der Jahrgangsstufe 10 haben den Amoklauf damals miterlebt. Die Zahl der Lehrer im Kollegium, die noch da sind, schätzte Kubick auf rund 20.

Bei einem bewegenden Gottesdienst überbrachte der US-amerikanische Pastor Anthony Bennett Grüße von Hinterbliebenen des Amoklaufs von Newtown. Dort waren Ende 2012 an einer Grundschule 27 Menschen erschossen worden, darunter 20 Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren. «Wir stehen euch bei, ihr seid nicht allein», sagte Bennett. «Schmerz kennt keine geografischen Grenzen.»

Die globale Vernetzung sei für das Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden sehr wichtig, erläutert Gisela Mayer, die dem Vorstand der Organisation angehört. «Das Argument, es handele sich nur um Einzelfälle, zieht dann nicht mehr.» Man müsse Amokläufe vielmehr als gesellschaftliches Problem systematisch angehen. «Halbherzigkeit genügt uns nicht.» Allein in Deutschland sind bereits 15 Kommunen von Amokläufen betroffen, die das Aktionsbündnis zu vernetzen versucht.

Auch Schüler und Lehrer der Albertville-Realschule gestalteten den Gottesdienst. Immer wieder drehte es sich um die Frage, wie sich aus Trauer und Schmerz Zuversicht und Stärke ziehen lassen. Bis zum Abend sollte bei weiteren ökumenischen Gottesdiensten und auch an den Gräbern auf verschiedenen Friedhöfen an die Tat erinnert werden.

Tim K. hatte damals 285 Kugeln Munition dabei. Sein Vater hatte die Waffe unverschlossen im Kleiderschrank aufbewahrt, die Munition im Nachttisch. Der Unternehmer wurde wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu eineinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Sein Sohn war 2008 in psychiatrischer Behandlung und hatte von Hass und Tötungsfantasien gesprochen. Wie sich zeigte, war er süchtig nach Computer-Ballerspielen und ein Waffennarr.

Die Stadt Winnenden hat eine Klage gegen die Eltern angekündigt. Sie seien nicht bereit gewesen, sich «in irgendeiner Weise» an der Schadensregulierung zu beteiligen, hieß es. Die Versicherung und die Anwälte der Opfer und Angehörigen haben unterdessen eine Lösung gefunden. Aber auch der Vater von Tim K. selbst streitet zivilgerichtlich: Er will, dass das Zentrum für Psychiatrie in Weinsberg mögliche Schadenersatzforderungen übernimmt. Die Klinik habe ihn nicht von der Gefahr berichtet, die von seinem Sohn ausging.

Gibt es etwas Schlimmeres, als das eigene Kind zu verlieren? Wohl kaum. «Das ist der Moment», flüstert Gisela Mayer, als Punkt 9.33 Uhr die Glocken aller Kirchen in Winnenden zu läuten beginnen. Um genau diese Zeit vor fünf Jahren geschah in der Stadt nahe Stuttgart das Unfassbare, das ihr die damals 24-jährige Tochter nahm. Nina Mayer war Lehrerin an der Albertville-Realschule.

Gisela Mayer und ihr Vorstandskollege Hardy Schober, dessen Tochter Jana beim Amoklauf starb, stehen für diejenigen Angehörigen, die versuchen, Trauer in Stärke umwandeln. Auch wenn sie ihre Ziele, etwa ein Verbot von großkalibrigen Waffen in Privatbesitz und das Eindämmen gewaltverherrlichender PC-Spiele, nur zum kleinen Teil erreicht haben, geben sie nicht auf. Schober: «Ich habe das Schlimmste bereits hinter mir, das ist der Tod meiner Tochter. Ich kann nicht mehr enttäuscht werden.»

Ein Klassenzimmer, in dem sechs Schüler ihr Leben ließen, dient nun als Gedenkraum. An den Wänden sind von Schülern aufgemalte Sprüche aus der Erzählung «Der kleine Prinz» von Antoine de Saint-Exupéry erhalten geblieben: «Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.» Von Julia Giertz und Roland Böhm, dpa

Zum Bericht: Gewalt-Forscherin: Einige Amokläufe in Deutschland wurden verhindert

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