Interview zur ICIL-Studie: „Schulischer Medieneinsatz scheitert an der Komplexität“

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KÖLN. Wie die aktuelle „International Computer and Information Literacy Study“ (ICILS 2013) zeigt, hinken deutsche Schülerinnen und Schüler im Umgang mit digitalen Medien hinterher. Eine der wenigen Schulen in Deutschland, in der Computer eine große Rolle spielen, ist das Franz-Stock-Gymnasium Arnsberg von Schulleiter Andreas Pallack. Ein Interview.

N4T: Wie lässt sich Unterricht durch den Einsatz digitaler Medien verbessern?

Schülerinnen und Schüler sind umgeben von digitalen Medien. Unterricht kann durch solche Medien verbessert werden, wenn die Lernenden dadurch im Unterricht wichtige Inhalte und Kompetenzen effektiver oder nachhaltiger erwerben als mit tradierten Medien. Eine Verbesserung ergibt sich auch, wenn junge Menschen durch digitale Medien zu einem bewussteren Umgang mit den Medien geführt werden.
Ein Beispiel: Jedes Handy hat eine Kamera mit Videofunktion. Im Englischunterricht können Schüler in Partnerarbeit ihre Dialoge filmen. Das Material kann die Lehrkraft sichten, es kann präsentiert und sogar verteilt werden. So erfahren die Lernenden wie man das eigene Kommunikationsgerät als Werkzeug nutzt – mediale Kompetenzen aber auch Wissen über den Umgang mit Medien und Daten werden dabei notwendig ebenfalls vermittelt. Und die Schülerinnen und Schüler nutzen erfahrungsgemäß die Lernzeit effektiver, weil die Filmaufnahmen den Stellenwert der kooperativen Arbeit erhöhen. Es gibt hier meiner Einschätzung nach sehr gute Ansätze – unsere Schule arbeitet im Rahmen von SINUS-NRW, ein Projekt des Schulministeriums, solche best practice-Beispiele für den Mathematikunterricht aus.

Andreas Pallack ist engagiert. (Foto: privat)
Andreas Pallack ist engagiert. (Foto: privat)

N4T: Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, warnt vor einer „totalen Computerisierung“ der Schule. Er meint: Inhalte lassen sich immer noch am besten mit Büchern vermitteln – Bildschirme lenken die Kinder und Jugendlichen nur ab. Was meinen Sie dazu?

Alles was „total“ ist kann den komplexen Prozessen in Schulen nicht gerecht werden – das gilt sowohl für die totale Digitalisierung wie auch die totale Entdigitalisierung.
Zum Buch: Ich glaube nicht, dass man das Wort „Buch“ heute noch so klar wie vor 10 Jahren definieren kann. Schülerinnen und Schüler kaufen ihre Bücher sowohl in der lokalen Buchhandlung wie auch mit dem e-Bookreader online – selbst für mich ist das kein Unterschied mehr. Hauptsache ich habe den Inhalt.
Bei Schulbüchern muss man das Ganze nochmals differenzierter sehen, da die Rolle des Buchs im Unterricht eine deutlich andere ist als im Privatbereich. In einem Mathematikbuch in Papierform kann man bei der Bearbeitung von Aufgaben leicht hin und her schlagen, um zum Beispiel eine Formel nachzuschlagen – das geht beim digitalen Buch nur eingeschränkt. Dafür können im digitalen Buch Animationen gezeigt werden, die das Verständnis unterstützen und die Lehrkraft in der Unterrichtsvorbereitung entlasten. Meiner Einschätzung nach muss in jedem Einzelfall entschieden werden, ob die Papier oder die digitale Variante die bessere Wahl ist.
Allerdings ist Herrn Kraus zuzustimmen, dass Techniken die mehrere Funktionalitäten beinhalten wie Chatten, e-Mail, Telefonieren, Lesen und so weiter ein nicht zu vernachlässigendes Ablenkungspotenzial haben. Meine Erfahrungen aus Tablet-Kursen zeigen, dass man diese Gefahr notwendig mitdenken muss, um die zur Verfügung stehende Lernzeit effektiv zu nutzen.

N4T: Experten kritisieren, dass zu wenig in den Schulen mit digitalen Medien gearbeitet wird. Warum scheitert der Einsatz in der Praxis so oft?

Dazu habe ich als Schulleiter eine klare Meinung: Weil die Einbindung der digitalen Medien häufig zu komplex ist. Das fängt dabei an, dass in Computerräumen von Schülern Tasten vertauscht werden oder der Raum schlicht belegt ist und endet bei der Installation von Plug-Ins die für ein Update auf Serverinstallationen notwendig sind, um eine bestimmte Internetseite nutzen zu können. Das alles kostet Energie und im schlimmsten Fall wertvolle Lernzeit. Die klassische Kreidetafel funktioniert im Kontrast dazu immer zuverlässig.
Am Franz-Stock-Gymnasium Arnsberg sind wir deswegen in Kooperation mit dem Schulträger einen eigenen Weg nach dem Motto „vereinfache die Medienwelt“ gegangen. In jedem Klassen- und Kursraum steht eine Infrastruktur zur Nutzung digitaler Medien bereit – weitgehend wartungsfreie Geräte können ausgeliehen werden oder man nutzt eben die Geräte der Schülerinnen und Schüler.
Wir sind am FSG im letzten Jahr erste Schritte eines langen Weges gegangen – aber auch das erste Teilstück dieses Weges, das Schaffen der Voraussetzungen, hat viele personelle Ressourcen gekostet. Ohne Lehrkräfte, die sich bestens mit digitalen Medien auskennen und sich außerordentlich für digitale Medien einsetzen, wäre das alles nicht möglich. Vielleicht ist auch das ein Grund: Lehrkräfte mit solchen Kompetenzen und Engagement gibt es vielleicht nicht an jeder Schule.

N4T: Häufig wird über eine mangelhafte technische Ausstattung von Schulen gesprochen. Wie sieht es denn überhaupt mit den Inhalten aus? Gibt es online nach Ihrer Erfahrung genügend Lernprogramme und Bildungsangebote, die für Schulen nutzbar sind?

Lehr- und Lernprogramme gibt es im Überfluss. Die Schwierigkeit ist die Auswahl und die Einbindung der Inhalte – denn auch hier gibt es Licht und Schatten. Manchmal stellen sich auf den ersten Blick kostenfreie Angebote als Werbefallen heraus – andere Angebote müssen vor ihrem Einsatz intensiv getestet werden, um das didaktische Potenzial beurteilen zu können. Ein positives Beispiel ist LEIFI-Physik, das an unserer Schule in Selbstlernphasen regelmäßig eingesetzt wird.
Im schulischen Alltag können intensive Erprobungen von der einzelnen Lehrkraft nicht geleistet werden. Besser ist es deswegen auf guten Erfahrungen aufzubauen. Lehrkräfte könnten sich dazu in professionellen Lerngemeinschaften zusammenschließen und austauschen. Die Schulen sollen ihren Schülern Medienkompetenz vermitteln – wie sieht es denn nach Ihrer Erfahrung mit der Medienkompetenz von Lehrkräften aus? Reicht die in der Regel aus?

N4T: Da muss ich rückfragen: Ausreichend wofür? Ausreichend, um die Medienwelt der Kinder und Jugendlichen zu verstehen oder ausreichend, um den eigenen Unterricht mit Hilfe digitaler Medien planen und durchführen zu können?

Der Begriff Medienkompetenz mit Blick auf Unterricht beinhaltet, dass Lehrkräfte sowohl in der Lage wie auch bereit sind zeitgemäße Medien zur Verbesserung des Lernens der Schülerinnen und Schüler einzusetzen. Aus meiner Erfahrung können Lehrkräfte mit positiver Einstellung gegenüber digitalen Medien fehlende technische Fertigkeiten gut kompensieren, wenn eine entsprechende Infrastruktur zur Verfügung steht. Wir arbeiten hier zum Beispiel mit Schüler-Medienscouts, die Lehrkräfte bei Bedarf in technischen Fragen unterstützen.
Was Lehrkräfte in der Breite meiner Einschätzung nach nicht leisten können ist es technisch immer „auf der Höhe der Zeit“ zu sein. Der Wandel vollzieht sich hier sehr schnell. Die Herausforderungen durch soziale Netzwerke, Messenger oder Zufalls-Chats sind in den Schulen jedoch heute real und wichtig. Deswegen braucht es hier Experten und zwar sowohl unter Lehrkräften wie auch unter Schülerinnen und Schülern. Gemeinsam kann man die Herausforderung „zeitgemäße Medienkompetenz“ sicher besser meistern als alleine. nin

Die N4T-Berichterstattung zu ICILS und die Ergebnisse der ICIL-Studie finden Sie hier

Andreas Pallack  ist Referent auf dem Deutschen Schulleiterkongress

Andreas Pallack studierte Mathematik, Physik und Informatik an der Universität Essen und promovierte im Fachbereich Mathematik. Er arbeitete als Lehrer, in Instituten und Behörden und veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche und auch praxisnahe Publikationen. Heute ist er Schulleiter in Arnsberg. „Die Rolle digitaler Medien in der Schulentwicklung“, lautet der Titel seines Vortrags, den er am 14. März 2015 im Rahmen des Deutschen Schulleiterkongresses 2015 (DSLK) im Kongresszentrum CCD Süd in Düsseldorf halten wird. Gemeinsam mit dem Informationsdienstleister Wolters Kluwer Deutschland und dem Verband Bildung und Erziehung erklärt er, wie digitale Medien in der Schule effektiv eingesetzt werden können, und woran deren Einsatz oft scheitert.

Weitere Informationen zum Deutschen Schulleiter-Kongress erhalten Sie hier

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