Streit um «Mein Kampf»: Philologen wollen eine kritische Ausgabe für jede weiterführende Schule

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JENA. Heute wird die vieldiskutierte kritische Ausgabe von mein „Mein Kampf“ vorgestellt. Die aus diesem Anlass ausgelöste Diskussion wie Schulen mit Hitlers Hetzschrift umgehen sollen geht weiter. Thüringens Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke) ewa ist gegen einen Einsatz im Unterricht und drängt auf eine auf eine einheitliche Haltung der Bundesländer. Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, hatte sich dagegen für die Nutzung des Werks im Unterricht ausgesprochen, wie jetzt auch der Didaktiker Uwe Hoßfeld.

Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, hat sogar alle Bundesländer aufgefordert, ihren weiterführenden Schulen je ein Exemplar der jüngst erschienenen, vom Institut für Zeitgeschichte in München ausführlich kommentierten Ausgabe von Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“ kostenlos zur Verfügung zu stellen.

„Die neue, umfassend kommentierte Ausgabe ist eine für die Vorbereitung des Geschichtsunterrichts eminent wichtige Informationsquelle für die Lehrkräfte, die die NS-Zeit im Unterricht zu behandeln haben. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Lehrerbibliotheken aller weiterführenden Schulen damit ausgestattet werden“, betonte derVerbandschef. Dafür, so Meidinger, müsste allerdings die Startauflage von 4000 Exemplaren deutlich aufgestockt werden.

Der Jenaer Didaktik-Professor Uwe Hoßfeld hat sich für die Verwendung der kommentierten Neuausgabe von Hitlers «Mein Kampf» im Schulunterricht ausgesprochen. «Das Buch ist ein Zeitdokument, dem wir uns stellen müssen», sagte Hoßfeld. Daher sei es notwendig, mit Auszügen daraus im Geschichts-, Ethik- aber auch im Biologieunterricht zu arbeiten – etwa um den Missbrauch der Genetik zu NS-Zeiten aufzuzeigen. Hoßfeld hat an der Kommentierung mitgearbeitet und dabei Themen wie Rassentheorie, Eugenik und Humangenetik bearbeitet.

Die kritischen Edition von „Mein Kampf“ sorgt für Diskussionen. Foto: Institut für Zeitgeschichte
Die kritischen Edition von „Mein Kampf“ sorgt für Diskussionen. Foto: Institut für Zeitgeschichte

Die historisch-kritische Ausgabe von Adolf Hitlers Hetzschrift erscheint in einer Auflage von 4000 Exemplaren. Sie wurde vom Münchner Institut für Zeitgeschichte erarbeitet. Anlass für das Erscheinen ist, dass die Urheberrechte Ende 2015 ausgelaufen sind. Sie lagen bisher beim Freistaat Bayern.

In Thüringen gibt es bisher noch keine klaren Festlegungen, wie mit dem Buch an Schulen umgegangen werden soll. Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke) hatte zu Wochenbeginn auf eine einheitliche Haltung der Länder gedrängt. Dem MDR sagte sie, ihr persönlicher, humanistischer Anspruch und der Respekt vor den Millionen Opfern der Nazidiktatur sagten allerdings «Nein» zu einer Verwendung.

Widerspruch kam dagegen von Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), der in der Neuausgabe eine Ergänzung für den Unterricht sieht. Dabei gehe es aber nicht darum, das Buch in Gänze zu behandeln, schrieb er auf freitag.de. Ob und wie die Schulen die Neuausgabe im Unterricht nutzen, sollte ihnen überlassen werden.

Auch länderübergreifend ist noch keine klare Haltung erkennbar. NRW-Schulministerin Löhrmann beispielsweise wies im WDR darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Unterricht fest in den Lehrplänen verankert sei und auch mit Originalquellen erfolge. Auszüge seien bereits in Schulbüchern abgedruckt. Auch der Lehrerverbandsvorsitzende  des VBE Udo Beckmann, erklärte, der Holocaust und die NS-Zeit seien ein fester Bestandteil des Lehrplans.  „Dazu kann es auch gehören, Auszüge aus Hitlers Hetzschrift im Unterricht als Quelle zu nutzen, ebenso wie auch aktuelle Veröffentlichungen von Neonazis.“

Die kritisch kommentierte Veröffentlichung biete auch mit Blick auf das Thema Rechtsradikalismus in Deutschland die Chance, Hitlers Machwerk zu entlarven. Es ist ein furchtbares rassistisches Machwerk, in dem der Holocaust bereits angedacht wurde. „Ein Pflichtlehrwerk in Schulen sollte es aber nicht sein, da setze ich auf die Profession der Lehrkräfte, die selbst in der Lage sind zu entscheiden, welche Literatur zu welchem Zeitpunkt für ihre Lerngruppe die richtige ist.“ Beckmann weiter: Bildungsliteratur im engeren Sinne ist das erscheinende Werk nicht. Im Internet sei das Buch seit langem verfügbar. Nicht zuletzt deshalb ist es sinnvoll, dass Schulen das Buch mit Jugendlichen kritisch besprechen, sagt Beckmann.

Wissenschaftler Hoßfeld ist überzeugt, dass durch die kommentierte Ausgabe das Buch entmystifiziert werde. Zugleich bekennt der Wissenschaftler, dass ihm das Lesen Kopfschmerzen bereitet habe. Viele Passagen seien in einer primitiven Sprache verfasst, die Hitlers Weltsicht wiedergebe und seine Demagogie aufzeige.

«Hitlers Aussagen enthalten in vielen Passagen einen Kern Wahrheit, manchmal Halbwahrheiten, die er dann entsprechend nach seinen Vorstellungen zugespitzt und überhöht hat», stellte Hoßfeld fest. Die Neuausgabe zeige zudem, dass er weite Teile beim Rassenideologen Hans Günther, der später zeitweise an der Universität Jena lehrte, abgeschrieben habe. (dpa)

• zum Bericht: Lehrerverbandspräsident Kraus für Einsatz von „Mein Kampf“ an deutschen Schulen
• zum Bericht: Hitlers „Mein Kampf“ darf im Unterricht verwendet werden

• Blog-Beitrag von Imanuel Hoff auf freitag.de

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