Expertentagung: Acht Bereiche, in denen sich Hochschulen in den nächsten 20 Jahren radikaler verändern werden, als jemals zuvor

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Berlin, 15. Dezember 2016. Das gesamte System der Hochschulbildung steht am Anfang eines gewaltigen Veränderungsprozesses. Auf der einen Seite wollen immer mehr Menschen studieren und Zugang zu höherer Bildung, einem selbstbestimmteren Leben und besseren Gehaltsaussichten, auf der anderen Seite verändert sich der Bedarf der Wirtschaft. Neben diesen Vorzeichen bedingt die Globalisierung eine weltweite Öffnung und eine stärkere Definierung der Hochschulbildung als „Markt“. Die radikalste Umwandlung kommt aber durch die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung. Das ist das Fazit, das die Teilnehmer des internationalen Seminars „Opening higher education: what the future might bring“ der Laureate International Universities und des OECD Centre for Educational Research and Innovation (CERI) ziehen.

Die Erneuerungen der Hochschulbildung in den kommenden 20 Jahren lassen sich auf acht Schlagworte verdichten: Internationalität, neue Formate, höhere Zugänglichkeit, Fortsetzungsfähigkeit, Arbeitsmarktfähigkeit, akademische Freiheit, Kompatibilität und neue Businessmodelle.

Internationalität:
Durch das Zugpferd der Globalisierung wird nicht nur der Arbeitsmarkt für Fach- und Managementpositionen zunehmend international. Der Bildungsmarkt zieht hier unmittelbar nach, um den neuen Bedarf an Personal mit internationalen Kompetenzen zu decken. Internationalität ist heute eines der wichtigsten Kriterien für die Auswahl einer Hochschule oder Studiengangs. Wenn ein Studiengang auf dem internationalen Parkett funktionieren soll – mit weltweit zu rekrutierenden Lehrenden und international verankerten Inhalten – dann stehen die Institutionen künftig vor einem ganzen Berg an inhaltlichen, regulatorischen, logistischen und finanziellen Herausforderungen.

Neue Formate: Neue digitale und interaktive pädagogische Formaten sind auf dem Vormarsch. Die 24/7-Universität ist keine Illusion mehr. Weltweit gibt es bereits einige Universitäten und akademische Projekte, die dies erfolgreich praktizieren. Die Rolle des Professors verändert sich immer mehr vom Produzenten und Vermittler von Wissen zu einem Kurator von Wissen und Inhalten. Präsenzzeiten und direkte 1:1-Formate mit Seminarleitern oder Professoren sind nach wie vor sinnvoll, werden aber – je nach Studienfach – in völlig unterschiedlicher Weise angeboten. Weltweit operierende digitale Universitäten werden notwendige Präsenzzeiten mit Hilfe von einem Netzwerk von Kooperationspartnern anbieten, insbesondere in Studiengängen, in denen Praxisarbeiten und -übungen eine wichtige Rolle spielen. Grundsätzlich entwickelt sich der Trend aber zu E-Labs, E-Bibliotheken und damit verbunden E-Learning. Letzteres bedeutet Vorlesungen müssen nicht mehr vor Ort verfolgt werden, Lehrer und Professoren sind nicht mehr einzelne Personen, sondern ein Kollektiv an Lehrenden.

Intenationalisierung und Digitaliserung sind die Motoren der Väernduerng an den Hochsculen, finden die Experten der Tagung. (Foto: Laureate OECD/ foto di matti)
Intenationalisierung und Digitalisierung sind die Motoren der Veränduerng an den Hochschulen, finden die Experten der Tagung, die Anfang Dezember 2016 in Berlin stattfand. (Foto: Laureate OECD/ foto di matti)

Zugänglichkeit: Der Wandel, insbesondere durch die Möglichkeiten der Digitalisierung, setzt sich mit der Bildung einer breiteren Zugänglichkeit und damit einer zunehmenden Demokratisierung und Öffnung höherer Bildung für alle sozialen Schichten und Altersgruppen fort. Dabei müssen die Hürden für nicht so einkommensstarke Schichten gesenkt werden. Nicht nur die Hindernisse zum Eintritt in ein Studium – etwa durch die Minimierung der Studienkosten – sondern auch die Faktoren, die den Immatrikulierten davon abhalten, ein Studium erfolgreich abzuschließen. Gefordert sind höhere Flexibilität in Bezug auf Arbeits- oder Familienzeiten, aber auch eine höhere Flexibilität des Curriculums, um verschiedene Tempi während des Studiums zu ermöglichen. Ein weiterer ganz wichtiger Punkt ist die flächendeckende Zurverfügungstellung von höherer Bildung durch digitale und vernetzte Angebote. Nur so können gerade in Flächenländern wie China und Indien neue Gruppen von Studierenden Zugang zu akademischer Bildung erhalten.

Fortsetzungsfähigkeit: Die Idee des „lebenslangen Lernens“ ist schon alt, jedoch stehen ihr mit der Digitalisierung und Globalisierung von Bildung nicht nur neue Möglichkeiten offen, ihre Umsetzung ist sogar zwingend geworden. Das Wissen und die Ansprüche der Arbeitswelt wandeln sich unter den neuen Voraussetzungen so schnell, dass Arbeitnehmer nur durch fortwährende Weiterbildung für den Arbeitsmarkt attraktiv bleiben. Damit die jeweils ältere Generation nicht von der jüngeren abgehängt wird, werden spezielle Angebote für diese Zielgruppen immer wichtiger. Der Lehrplan muss nach Erreichung eines akademischen Abschlusses auf Wunsch um praxisnahe Inhalte erweiterbar sein und weitere akademische Perspektiven bieten. Digitale Formate der Wissensvermittlung sind hier die ideale Grundlage.

Arbeitsmarktfähigkeit: Die Wissensvermittlung zur Entwicklung von Kompetenzen wird sich im Wesentlichen auf den Bezug zur Wirtschaft und damit auf „Employability“ ausrichten. Schon heute sind bestimmte Studiengänge im Hinblick auf die hohe Arbeitsmarktfähigkeit ihrer Absolventen populärer als andere. Im Zuge der breiteren Verfügbarkeit von Studiengängen weltweit wird ein stärkerer Wettbewerb unter den Anbietern von Hochschulbildung einsetzen. Im Konkurrenzkampf um Studierende wird die Vermittelbarkeit der späteren Absolventen zu einem Key-Asset werden. Die noch stärkere Ausrichtung auf den Bedarf der Wirtschaft bei gleichzeitig stärkerer Einbindung von Praxisexperten in die Lehre (Projekte und freie Dozenten) ist eine logische Schlussfolgerung.

Freiheit: Der Lehrplan eines Studienganges, der sich erfolgreich im Markt positionieren möchte, wird sich flexibler und mehr auf die Bedürfnisse des jeweiligen Studierenden ausrichten. Denn eine Dynamik des Lehrplans wird hinsichtlich der sich stetig ändernden neuen technologischen Möglichkeiten, aber auch der sich wandelnden Bedürfnisse der Wirtschaft Voraussetzung sein. Auch die akademische Freiheit eines jeden Studierenden wird sich deutlich erweitern, denn durch die digitalen und weltweiten Möglichkeiten des Studiums explodieren die Angebote an attraktiven Inhalten. Dem müssen moderne Studienangebote Rechnung tragen. Wenn Lehre zu sehr von oben diktiert wird, folgt sie nicht den neuen Marktgegebenheiten. Es müssen daher Rahmenbedingungen zur Qualitätssicherung festgelegt werden, in welchen Studierende ihre akademischen Interessen einerseits möglichst frei wählen dürfen, aber andererseits sicher sein können damit einen anerkannten akademischen Abschluss zu erreichen.

Kompatibilität: Die weltweite Vernetzung, die zunehmende Mobilität der Studierenden, die Öffnung und die zunehmende akademische Freiheit bedingt im Weiteren eine grundlegende Reform der akademischen Abschlüsse und ihrer Anerkennung weltweit. Hier geht es um Qualitätsmanagement. Ein Student, der heute bei Anbieter A sein Studium im Vollzeit- und Präsenzmodus beginnt, wird vielleicht bei Anbieter B digital und berufsbegleitend weiterstudieren, um schließlich in einem anderen Land nach einer Familienpause bei Anbieter C seinen Abschluss zu machen. Semesterarbeiten, abgeschlossene Praxisprojekte und Klausuren – letztendlich jede Art von Ergebnissen innerhalb eines Studiums – müssen erfassbar und international vergleichbar sein und eine Durchlässigkeit in Bezug auf unterschiedliche Anbieter und Studiengänge ermöglichen. Lebensläufe werden aufgrund zunehmender Komplexität in Zukunft weniger gradlinig und kalkulierbar sein. Die Anbieter höherer Bildung werden sich darauf einstellen müssen.

Neue Businessmodelle: Der Wandel der höheren Bildung wird auch vor den Institutionen – auch vor den traditionsreichsten und höchst angesehensten Universitäten – nicht Halt machen. Nicht nur die Lehrformate, die Rolle der Lehrenden, die Inhalte und die Curricula der Fakultäten, die Qualifizierung der Studierenden über neue Arten von Abschlüssen werden sich verändern. Die Businessmodelle der Institutionen werden grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt. Wenn sich das Produkt ändert, ändert sich zwangsläufig auch die Darreichung und der Vertrieb und damit das Erlösmodell. Wer weltweit vernetzt anbietet, seine Lehre für Inhalte öffnet und Studenten oft nur für eine bestimmte Phase eines Studiums bedient, wird umdenken und sich reformieren müssen. Schon jetzt treten neue Anbieter in den Markt ein – eine Entwicklung, die sich beschleunigen wird und disruptiv wirken kann.

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