Dramatische Personalnot: Manche Kita muss mittlerweile tageweise dichtmachen

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BERLIN. In vielen Kitas fehlen Erzieherinnen und Erzieher. Mitunter ist die Not so groß, dass Einrichtungen die Betreuungszeiten herunterfahren oder tageweise schließen müssen – extrem schwierig für berufstätige Eltern.

Die Personalnot in den Kitas schlägt auf die Qualität und die Quantität des Betreuungsangebots durch. Foto: Shutterstock

Bundesweit haben Kindertagesstätten das gleiche große Problem: Es fehlt Personal. «Die Lage ist dramatisch schlecht», sagt Hauptvorstandsmitglied Björn Köhler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). «Eigentlich bräuchten wir 100.000 Leute sofort, um vernünftig zu arbeiten.» Das Bundesfamilienministerium hat die Not erkannt und ein Förderprogramm angekündigt: Ministerin Franziska Giffey (SPD) will die Länder von Sommer 2019 an bis 2022 mit rund 300 Millionen Euro unterstützen, um mehr Kita-Fachkräfte zu gewinnen. «Vor allem in städtischen Ballungsräumen sind teilweise gravierende Engpässe zu verzeichnen», sagt eine Ministeriumssprecherin.

Eltern bekommen den Mangel an Erzieherinnen und Erziehern deutlich zu spüren. Bundesweit fehlen Kita-Plätze, die Nachfrage nach einem Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren ist deutlich größer als das Angebot. Besonders krass: Nach GEW-Angaben können mancherorts Einrichtungen nicht loslegen, weil Personal fehlt.

Aber auch Eltern, die einen Betreuungsplatz für ihr Kind bekommen haben, spüren die Personalnot: Bundesweit kommt es vor, dass Kitas vorübergehend schließen müssen, weil es bei Krankheitsfällen nicht genug Kräfte gibt, die einspringen können.

In der niedersächsischen Kleinstadt Achim nahe Bremen zum Beispiel hatte eine städtische Einrichtung 2018 solche Personalnot, dass eine Kita-Gruppe für mehrere Monate nur bis 14 Uhr anstatt wie geplant bis 16 Uhr geöffnet war. «Zusätzlich gab es einzelne Schließungstage – immer dann, wenn ich den Betrieb nicht gewährleisten konnte, weil Kolleginnen krank waren», erzählt Kita-Leiterin Hannelore Lankenau.

Mehrfach habe es nur einen Notdienst gegeben. Grund für die Situation war, dass eine Erzieherin gekündigt hatte und die andere nach der Probezeit nicht übernommen wurde. Die Suche nach einer neuen Fachkraft blieb monatelang erfolglos. «Wir haben niemanden gefunden», sagt Lankenau.

Für die Eltern waren die plötzliche Kürzung der Betreuungszeit und die Schließungstage ein Schock, wie der damalige Vorsitzende des Elternbeirates, Oliver Matthes, erzählt. «Das war katastrophal. Es war ein Gefühl der Ohnmacht und Wut. Viele Eltern fühlten sich von der Stadt alleingelassen.» Als Notlösung übernahmen zunächst Eltern am Nachmittag die Betreuung für die Kinder in der Einrichtung. Später sprachen Mütter und Väter sich im Freundeskreis ab oder organisierten eine Betreuung durch Verwandte, die teils von weiter weg anreisten. Für Alleinerziehende oder sozial Schwächere sei die Situation besonders hart gewesen, sagt Matthes.

„Wir fischen alle im selben Teich“

Die Brisanz der Lage zeigen exemplarisch die Zahlen der niedersächsischen Stadt Achim zum Kita-Jahr 2017/2018: An 78 Tagen musste diese Kita mit mehreren Gruppen das Betreuungsangebot reduzieren oder schließen. «Wir wissen, wie schwer das für Eltern ist», sagt Wiltrud Ysker, die in Achim für den Fachbereich Bildung zuständig ist.

Erzieherinnen und Erzieher zu finden ist bundesweit schwierig, denn es gibt zu wenig Fachkräfte. Die Kommunen und Städte werben um das Personal und stehen dabei oft in Konkurrenz zueinander. «Wir fischen alle im selben Teich», sagt Achims Bürgermeister Rainer Ditzfeld (parteilos) mit Blick auf umliegende Städte wie Bremen.

Einen Grund für den drastischen Fachkräftemangel sieht die Gewerkschaft GEW in der bisherigen Ausbildungssituation. «Ein großes Problem ist nach wie vor die Bezahlung», sagt Köhler. Eine Erzieherin durchlaufe in der Regel eine vier- bis fünfjährige unbezahlte Ausbildung. In der Vergangenheit mussten viele Auszubildende sogar Schulgeld bezahlen. «Das drückt aus, wie unsere Gesellschaft mit diesen Berufen lange Jahre umgegangen ist.»

Das Bundesfamilienministerium setzt auf das Förderprogramm, das Mitte 2019 starten soll. «Es muss attraktiver werden, eine Ausbildung anzufangen, sie abzuschließen und danach im Beruf zu bleiben», sagte Ministerin Giffey jüngst. Mit finanzieller Hilfe des Bundes sollen die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen verbessert werden. Dazu gehört, dass mehr Auszubildende eine Vergütung erhalten.

Die Linkspartei hält weitere Maßnahmen zur Aufwertung der Erziehungsberufe für nötig, um den Personalmangel zu beheben. «Zu einer ernst gemeinten Aufwertung gehört die Anrechnung von Vor- und Nachbereitungszeiten, Fortbildung und Krankheit auf den Betreuungsschlüssel», sagte Parteichef Bernd Riexinger.

Aus Sicht der GEW drängt die Zeit: Die Gewerkschaft geht davon aus, dass Deutschland bis 2025 mindestens 300.000 zusätzliche Erzieherinnen und Erzieher braucht, um den jetzigen Standard zu halten. Wenn Deutschland die Qualität verbessern wolle, seien wahrscheinlich rund 500.000 zusätzliche Fachkräfte nötig, sagt Köhler, der darauf verweist, dass ein großer Teil der Frauen in den Kitas älter als 50 Jahre ist. Eine Studie für das Familienministerium geht davon aus, dass bis 2030 fast 200.000 Fachkräfte in Kindergärten und Grundschulen fehlen. Auch wenn die Zahlen von Gewerkschaft und Ministerium weit auseinander liegen: Der Ernst der Lage ist klar. Von Helen Hoffmann, dpa

Erziehermangel – VBE-Chef beklagt: Bildungsauftrag in den Kitas kaum erfüllbar

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Herr Mückenfuß
5 Jahre zuvor

Es gibt ein sehr einfaches Gegenkonzept (von den Lehrern abgeschaut): Gehaltserhöhung und alles wird wieder gut !