Klimastreik: Die Schülerbewegung wird erwachsen – Eltern und Lehrer marschieren mit

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KÖLN. Es fing an mit einem schwedischen Mädchen, das die Schule schwänzte, um fürs Klima zu demonstrieren. Gut ein Jahr später sind Hunderttausende mit ihr zum globalen Klimastreik auf der Straße. Ein Tag, der Rekorde bricht – auch in Nordrhein-Westfalen.

Seit Monaten demonstrieren Schüler für mehr Klimaschutz. Foto: Shutterstock

Die Ampeln schalten wie immer von Rot auf Grün auf Rot, doch niemand schenkt ihnen Beachtung. In der Kölner Innenstadt haben Menschen eine Kreuzung für sich erobert, sie sitzen auf der Straße, halten bunte Schilder hoch und trommeln. Ein junger Autofahrer muss minutenlang warten, die Durchfahrt ist zeitweise verstopft. Bei heruntergekurbeltem Fenster klopft er mit den Fingern den Rhythmus der Trommelnden mit. Fridays for Future ist ansteckend.

Pädagogen for Future, Parents for Future, Scientists for Future…

Spätestens an diesem Freitag, der alle Rekorde bisheriger Klimademos bricht, ist Fridays for Future erwachsen geworden. Die Bewegung hat zum globalen Klimastreik aufgerufen – und Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Städte und viele andere Organisationen haben es ihr gleich getan. Es sind nicht mehr nur die Schule schwänzenden Kinder und Jugendlichen, die ihrer Empörung über die Klimapolitik der Regierung Ausdruck verleihen. Pädagogen for Future, Parents for Future, Grandparents for Future, Scientists for Future, Feminists for Future, Entrepreneurs for Future und sogar Yoga for Future – sie alle sind auf der Straße, während die Regierenden in Berlin verkünden, wie sie das Pariser Klimaziel noch erreichen wollen.

70.000 in Köln, 20.000 in Düsseldorf und Münster, 15.000 in Bonn, 12.000 in Dortmund, fast genauso viele in Bielefeld. Die Zahlen, die die Veranstalter der Demos in NRW im Laufe des Freitags bekannt geben, übertreffen alle Erwartungen und alles bisher Dagewesene. «Das ist schon sehr krass», sagt die Kölner Fridays for Future-Organisatorin Leonie Bremer. «Damit haben wir nicht gerechnet.» Neu ist auch, dass in vielen Kleinstädten eigene Aktionen stattfinden, rund 100 allein in NRW.

In Dortmund bildet sich eine Menschenkette aus Eltern, Jugendlichen und Kindern. Zwei Demogruppen, die sich durch das Stadtzentrum bewegen und sich dann wieder treffen – um Hand in Hand fürs Klima einzustehen. «Wir wollen eine coole Zukunft und wollen, dass unsere Nachfahren auch noch eine schöne Welt haben», sagt eine Elfjährige in Essen. «Wir machen einen Klassenausflug – mit Erlaubnis der Schulrätin», fügt eine Essener Lehrerin hinzu.

Viele Schulklassen nehmen geschlossen teil – als Projekttag

Auch in anderen Städten nehmen Schulklassen geschlossen teil und machen die Demo zum Projekttag. «Von unserer Schule wird das nicht so unterstützt. Aber das ist uns eigentlich egal», sagt die 14-jährige Emily aus Köln. Doch selbst die Kultusministerin hält sich an diesem Tag zurück und würdigt sogar das Engagement der Schüler. Das einst so hitzig diskutierte Thema Schule schwänzen rückt heute weit in den Hintergrund.

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«Die Straße ist die größte Opposition, die die Politik vor sich hertreibt. Wir müssen Druck ausüben», sagt der 70-jährige Paul Pfeiffer, der in Köln mit zwei älteren Freunden die jungen Aktivisten unterstützt. «Schließlich geht uns das alle an», meint sein Begleiter.

«It’s the final Countdown», schallt es aus den Boxen am Startpunkt der Kölner Demo. Ein paar Straßen weiter singt ein Klimachor und auch die Kölner Karnevalisten lassen es sich nicht nehmen, die Straßen mit klimafreundlichen Versionen ihres Repertoires zu beschallen. Fridays for Future hat es trotz der Brisanz der drohenden Klimakatastrophe geschafft, nicht mit moralischem Zeigefinger abzuschrecken, sondern mit Enthusiasmus einen Sog zu entfalten.

Der Schülerbewegung ist eine Signalwirkung nicht mehr abzusprechen

Überall Musik, Glitzerschminke, Kostüme, fremde Menschen, die sich anlachen. Das ausgelassene Treiben könnte fast auch ein Festival sein – ginge es nicht ausgerechnet um den Fortbestand der Erde. Nachdem erste Eckpunkte des von der Regierung beschlossenen Klimapakets bekannt werden, ist die Ernüchterung spürbar. Fridays for Future nennt die Maßnahmen auf Twitter schnell einen «Schlag ins Gesicht» aller, die am Freitag auf die Straße gegangen seien. Das 1,5 Grad-Ziel sei so auf keinen Fall zu erreichen.

«Die Dinos dachten auch, sie hätten noch Zeit», steht auf einem der vielen Schilder, die die Teilnehmer in NRW mit sich tragen. Doch auch wenn die Berliner Beschlüsse den Demonstrierenden nicht gefallen – eine immense Signalwirkung ist dem Klimastreik wohl nicht mehr abzusprechen. «Ich hoffe, dass wir wenigstens noch mehr Menschen anstiften, nachzudenken», sagt die Demonstrantin Monika Thönnessen. «Ob sie sich wirklich nochmal einen SUV kaufen oder sich langsam dafür schämen.» Von Larissa Schwedes, dpa

Lehrer fordern Straffreiheit für Streikende

Die Initiativen „Pädagogen For Future” und „Teachers For Future” haben sich in einem offenen Brief an Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und die Bildungsminister der Länder gewandt. Darin heißt es:

„Wenn Schüler*innen für Klimagerechtigkeit streiken, öffentlich protestieren, ist dies Teil gelungener Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Transformativer Bildung. Sie haben ein komplexes gesellschaftliches Problem verstanden, partizipieren bei der Lösungsfindung, nehmen demokratisch Einfluss, verstehen sich als aktiven Teil der Zivilgesellschaft, als mündige Bürger. Also zeigen Sie, dass sie wichtige Ziele der schulischen Ausbildung erreicht haben und die Bildung erfolgreich war. Schulstreiks als Form des Protests gegen politische Untätigkeit gegen die Klimakrise sind die logische Folge und auch Teil guter BNE. Daher besteht kein Widerspruch zwischen Protest und Unterricht, sondern ein logischer Zusammenhang. Protest gegen Ungerechtigkeit, hier für Klimagerechtigkeit, ist notwendiger Teil einer aktiven, demokratischen Gesellschaft Die Politik sollte Proteste als Signal der Gesellschaft verstehen, dass sie bereit für einen Wandel ist.

Die New Yorker Schulbehörde hat eine Erlaubnis für streikende Schüler*innen ausgesprochen. Viele Schulen in Deutschland ermöglichen ihren Schüler*innen die Teilnahme, wir wissen aber auch von Einschüchterungen gegenüber engagierten Lehrerinnen, die als Exkursion zur Demo gehen wollen und von Drohungen mit Sanktionen gegen engagierte Schüler*innen und Lehrer*innen. (…) Wir fordern daher die Bundesbildungsministerin und die Bildungsministerien der Länder auf, allen Schüler*innen und Lehrer*innen die Teilnahme an der Klima-Demo 20.9. sanktionslos zu ermöglichen. Wir und viele engagierte Schulleitungen und Kolleg*innen in den Schulen erwarten ein klares positives Signal dazu.“

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Vor dem “globalen Streik”: Kultusminister erhöht Druck auf junge Klima-Demonstranten

 

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