DRESDEN. Beim Streit um die Frage, wie verbindlich die „Grundschulempfehlung“ für die Wahl der weiterführenden Schule sein soll, gilt Sachsen als Vorbild – zumindest für diejenigen, die das Elternwahlrecht gerne einschränken möchten. Aktuelle Zahlen des Kultusministeriums in Dresden zeigen allerdings, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde. Denn so streng, wie die Regelungen zu sein scheinen, sind sie offenbar gar nicht: Fast die Hälfte der Viertklässler bekam dort im vergangenen Jahr eine Empfehlung fürs Gymnasium.
Beim Streit um die Grundschulempfehlung gilt Sachsen für diejenigen, die das Votum der Grundschule gerne verbindlich machen möchten, als Vorbild. Zum einen liegt der Freistaat im Bundesländervergleich von Schülerleistungen stets mit vorne, zum anderen gilt in Sachsen ein strenges Reglement beim Übergang zum Gymnasium – auf den ersten Blick jedenfalls.
“Lern- und Arbeitsverhalten des Schülers” ist ebenfalls maßgeblich
Nur Schüler mit einer entsprechenden „Bildungsempfehlung“ dürfen ohne Weiteres aufs Gymnasium. Und die wird nur dann erteilt, wenn der Durchschnitt der Noten in den Fächern Deutsch, Mathematik und Sachunterricht im Halbjahreszeugnis der Klasse vier 2,0 oder besser ist und keines dieser Fächer mit der Note “ausreichend” oder schlechter benotet wurde. „Zudem muss das Lern- und Arbeitsverhalten des Schülers, die Art und Ausprägung seiner schulischen Leistungen und seine bisherige Entwicklung erwarten lassen, dass er den Anforderungen des Gymnasiums in vollem Umfang entsprechen wird“, so heißt es beim sächsischen Kultusministerium.
Eine Ausnahme gibt es allerdings: Wenn Eltern ihr Kind, das keine Gymnasialempfehlung hat, trotzdem aufs Gymnasium schicken wollen, dann können sie es für eine „schriftliche Leistungserhebung“ anmelden. „Die Aufgaben werden zentral erstellt und berücksichtigen zu gleichen Teilen die Fächer Deutsch, Mathematik und Sachunterrich“, so informiert das Kultusministerium.
Immerhin sechs Prozent des Jahrgangs gelangte vergangenes Jahr auf diesem Weg dann doch noch aufs Gymnasium. Alles in allem entspricht die Regelung genau dem, was sich die Philologen in Baden-Württemberg wünschen. Dort liegt es im Ermessen der Eltern, ob sie der – eben unverbindlichen – Grundschulempfehlung folgen möchten.
Für die organisierten Gymnasiallehrer in Baden-Württemberg ist die 2013 dort erfolgte Abschaffung der Verbindlichkeit ein Problem. „Wir sind der Überzeugung, dass das gesunkene Leistungsniveau und die vielen überforderten Schüler zumindest teilweise auf darauf zurückzuführen sind“, erklärt Philologen-Landeschef Ralf Scholl. Nach einer Erhebung des Verbands vom vergangenen Oktober galten im zurückliegenden Schuljahr 2018/2019 rund 7,2 Prozent der Schülerinnen und Schüler in den Klassenstufen 5 bis 8 an den Gymnasien Baden-Württembergs als überfordert (News4teachers berichtete).
Eisenmann will Grundschulempfehlung nachsteuern
Kultusministerium Susanne Eisenmann, die als Spitzenkandidatin der CDU gegen den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann antritt, hat bereits angekündigt, bei der Grundschulempfehlung nachsteuern zu wollen – Eltern sollen künftig zumindest die Zeugnisse vorlegen müssen (News4teachers berichtete).
In Sachsen soll der Übergang – angeblich – besser sein. Die Philologen verweisen auf das starke Abschneiden von Sachsen (sowie Bayern und Thüringen) im jüngsten IQB-Bildungstrend (News4teachers berichtete). “Sachsen, Bayern und Thüringen sind die einzigen drei Bundesländer, in denen die Grundschulempfehlung nach Klasse 4 noch verbindlich ist. Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung eine Förderung in homogeneren Klassen ermöglicht und so für alle Kinder – auch die leistungsschwächeren – einen größeren Lernfortschritt mit sich bringt.“
Erstaunlich: Der Anteil der Gymnasiasten in Sachsen ist gleich hoch
Ist das so? Erstaunlich: In Sachsen ist der Anteil der Schüler, die von der Grundschule aufs Gymnasium wechseln, gar nicht kleiner als in Baden-Württemberg – die Übergangsquoten lagen hier wie dort bei rund 43 Prozent. In Sachsen hätte sie leicht sogar höher ausfallen können: Im vergangenen Jahr haben an öffentlichen Grundschulen im Freistaat nämlich sogar fast die Hälfte der Schüler (48 Prozent) eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium erhalten, wie das Kultusministerium aktuell mitteilt. Allerdings entschieden sich stattliche 16 Prozent der Eltern, deren Kinder eine Gymnasial-Empfehlung erhalten hatten, für die Oberschule. Daraus lässt sich wohl schließen: Verbindlichkeit hin oder her – die Empfehlung fürs Gymnasium wird in Sachsen großzügig erteilt. Agentur für Bildungsjournalismus
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers kommentiert.
Zu viele überforderte Schüler: Realschulen wollen Hauptschulabschluss loswerden
Wie erreicht man bessere Übertrittsquoten trotz erforderlichen Notenschnitt?
Indem man die Leistungserwartungen bei der Notengebung herunterschraubt, also das Niveau senkt. Das muss nicht einmal bewusst geschehen. Man merkt, dass man bestimmte Aufgaben gar nicht mehr stellen kann.
Zudem hat man durch die Kompetenzorientierung eine breitere Palette, wie man Aufgaben stellen und einordnen kann. Das ist breiter gefächert und muss nicht unbedingt kognitiv anspruchsvoller sein.
Im Vergleich zu vor 15 Jahren sind die Anforderungen an Proben in der Grundschule auch in Bayern schleichend gesunken.
Meine Rede. An den weiterführenden Schulen in NRW kamen die zentral gestellten Prüfungen noch dazu, die zumindest im Falle des Abiturs von Lehrern konzipiert und vom Dezernat dann final ausgewählt werden.
Zum Artikel: Man müsste die Gründe herausfinden, weshalb sich so viele Eltern gegen das Gymnasium entscheiden. In Sachsen kann ich mir die Länge des Schulweges als durchaus plausibel vorstellen. Außer Leipzig, Dresden und Chemnitz gibt es da vor Allem plattes Land.