Bildung NRW: Für eine empirische Wende in der Schulpolitik!

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DÜSSELDORF. In Kürze wird in NRW eine neue Landesregierung gewählt – also auch die künftige Bildungspolitik. Und es sind enorm viele Baustellen, die im bevölkerungsreichsten Bundesland lauern. Der immense Lehrkräftemangel, besonders tragisch in den Grundschulen; eine stellenweise Unterrichtsqualität, die das Bundesland bei Vergleichsstudien weiterhin zu den Schlusslichtern zählen lässt; der Wildwuchs bei der Inklusion, immer noch nicht auf das Sinnvolle und Machbare beschränkt; bei der Lehrerfortbildung ein Chaos, das anscheinend niemand interessiert. Nicht zuletzt: Wer und was könnte unser Bildungswesen wirklich gerechter machen?

„Ein Schuss Evidenzbasierung täte der Schulpolitik dringend Not.“  Foto: Shutterstock

Schaut man sich in den verschiedenen Parteiprogrammen zur Landtagswahl um, so stößt man auf anheimelnde Visionen, auf Selbstverständlichkeiten wie Unmöglichkeiten, auch auf den ein oder anderen sinnvollen Vorschlag. Insgesamt fällt aber auf, dass sich die Bildungsvisionen anscheinend mehr an „klingt gut“ orientieren denn an „wirkt gut“. Dabei täte ein Schuss Evidenzbasierung in der Schulpolitik dringend Not.

Eine Trias aus Wissenschaft, Lehrerschaft und Elternschaft ist deshalb tätig geworden: Auf ihrer Info-Plattform stellen die Initiatoren Kriterien, Praxiserfahrungen und Forschungsbefunde bereit, an denen sich Stand und Entwicklung des Schulwesens in NRW messen lassen. Denn für die schulpolitische Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger ist unverzichtbar, den jetzigen Stand des Schulwesens sowie seine Entwicklung in den letzten Jahre vorurteilslos zu sichten – weder politisch schöngefärbt noch wahlkämpferisch verzerrt.

Zöge man nämlich relevante Stimmen aus Forschung und Wissenschaft zu Rat, so ließen sich eine Menge Probleme tatsächlich kurzfristig beheben bzw. reduzieren – wobei eben auch die ein oder andere Heilige Kuh zu opfern wäre.

  • Studium und Referendariat parallel und verzahnt organisieren
    Nicht erst eine aktuelle Erhebung (Dollase et al. 2022) zeigt, wie praxisirrelevant das Studium vom pädagogischen Nachwuchs empfunden wird. Dabei würde eine duale Lehrer(aus)bildung den Lehrermangel schlagartig beheben: Angehende Lehrkräfte würden alle drei Monate zwischen Universität und Unterrichtspraxis wechseln, dort wären sie verantwortlich in Förder- und Unterstützungsarbeit eingebunden – und würden dafür auch von Anfang an bezahlt.
  • Ehrlichere Leistungsgerechtigkeit
    Gegen alle Unkenrufe: Eine striktere Leistungsdifferenzierung senkt die Bildungsungerechtigkeit und beschert allen Schülern ein höheres Leistungsniveau (Esser & Seuring 2021). Warum also nicht die Grundschulempfehlung verbindlich machen, ggf. durch standardisierte Eignungstests ergänzen?
  • Lehrerweiterbildung rigoros ändern
    Die Qualitätsanalyse NRW hat sich als unbeliebt und wirkungsarm erwiesen (etwa Schlee 2014). Würde man sie abschaffen und durch freiwilliges kriteriengeleitetes Schulfeedback a la SH ersetzen, käme viel bisher dafür abgeordnetes Personal für den Unterrichtsbetrieb frei – bis zu 500 Stellen! Die Sicherung der Unterrichtsqualität könnte in die Verantwortung von Schulleitungen gelegt werden – sobald diese entsprechende Expertise erreicht haben.
  • Reformflausen reduzieren
    Angehenden Lehrkräften bliebe manche Enttäuschung erspart, wenn alle in der Lehrerausbildung Tätigen einmal wöchentlich in einer schwierigen Grundschul- oder Mittelstufenklasse hospitieren und unterrichten müssten – und Studenten wie Referendaren vor allem das weitergeben dürften, was sich in der Praxis bewährt.
  • Inklusion nur nach tatsächlichen Ressourcen
    Für Schüler mit Behinderungen zählt nicht eine möglichst hohe Inklusionsquote, sondern die Qualität ihrer Förderung. Gemeinsames Lernen, insbesondere zieldifferente Beschulung, dürfte zukünftig nur an Schulen zulässig sein, in denen tragfähige Qualitätskonzepte und genügend Personal tatsächlich vorhanden sind. Dann würden übrigens auch weniger Lehrer vorzeitig in Pension gehen.

Das Entwicklungswohl unserer Kinder ist ein kostbares Gut. Lassen wir uns nicht von wohlklingenden Politparolen blenden – und fühlen den Kandidaten für den nächsten Landtag nachhaltig auf den Zahn. Michael Felten

bildung-nrw-da-geht-doch-mehr.info

Dies ist eine Pressemitteilung der Initiative Bildung NRW.

Ein Dutzend Jahre Inklusionsprozess: Kein Paradies in Sicht. Ein Gastbeitrag

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2 Kommentare
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Carsten60
1 Jahr zuvor

„Wohlklingende Politparolen“
In der Tat sind die Programme der Parteien voll von Postulaten z.B. zur Bildungsgerechtigkeit, auch zur Digitalisierung, zu „guten Schulen“ mit einer „guten Bildung“, aber es steht nie konkret da, wie man das eigentlich erreichen will.
„Auf den Zahn fühlen“
Das geht nach meinen Erfahrungen nicht: Die Leute an den Wahlständen kurz vor der Wahl haben meist keine Ahnung von Bildungsthemen, oder sie beten halt das nach, was im Programm steht. Oder sie flüchten sich in Behauptungen der Art: „PISA hat gezeigt, dass unsere Politik die richtige ist.“

Carsten60
1 Jahr zuvor

Hier gibt jemand aus NRW Gründe für die Misere an:
https://schule.roentgen24.eu/2022/nie-mehr-schule-warum-lehrerinnen-den-beruf-wechseln/
Ob das so stimmt, kann ich nicht sagen, aber es erscheint mir glaubhaft: die übergeordneten Schulbürokraten haben versagt mit ihren vielen Vorschriften, die sich nicht an der Praxis, sondern an irgendwelchen „spinnerten“ Theorien orientieren. Das sagen inzwischen viele, und zwar unabhängig von der politischen Couleur der jeweiligen Schulministerin. In NRW hat von den letzten 50 Jahren etwa 40 Jahre lang die SPD regiert,die Schulbürokratie in NRW ist auf ihre Vorstellungen zugeschnitten, nicht auf die von Frau Gebauer.