WIESBADEN. Der Streit über den islamischen Religionsunterricht in Hessen dauert bereits Jahre. Auch nach dem VGH-Urteil ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
Das Land Hessen hat den islamischen Religionsunterricht, der mit dem Partner Ditib erteilt wurde, rechtswidrig ausgesetzt. Das hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) des Landes in dieser Woche entschieden. Doch was heißt das nun genau, und wie geht es weiter? Hier dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.
Seit wann wurde der islamische Religionsunterricht mit dem türkischen Moscheeverband Ditib als Partner angeboten?
Der Unterricht war im Schuljahr 2013/2014 an mehreren Grundschulen eingeführt worden, Schritt für Schritt kamen immer mehr Schulen dazu. Im Schuljahr 2019/2020 wurde er an 62 Grund- und weiterführenden Schulen in Hessen erteilt. Eine Voraussetzung ist, dass immer mindestens acht Schülerinnen und Schüler an dem Unterrichtsfach teilnehmen wollen.
Warum hatte das Land Hessen den Unterricht ausgesetzt?
Das Kultusministerium hatte Zweifel bekommen, ob der türkische Moscheeverband Ditib wirklich unabhängig genug vom türkischen Staat ist – auch von den Strukturen her. Das ist aber für das Land eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass Ditib Kooperationspartner beim bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht ist. Das Land ließ Gutachten dazu erstellen, deren Ergebnisse im Frühjahr 2020 vorlagen. Demnach sind die Zweifel an der Unabhängigkeit nicht ausgeräumt, die Land setzte daher den islamischen Religionsunterricht mit Ditib zum Schuljahr 2020/2021 aus.
Was bedeutet das für die Kinder, die diesen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht besucht haben?
Nach dem Ende der Zusammenarbeit mit Ditib nahm das Land den islamischen Religionsunterricht in die eigene Hand: Das Fach Islamunterricht wurde, anders als der konfessionsgebundene Religionsunterricht, ohne explizites Bekenntnis zum Glauben eingeführt. Der Islamunterricht unter alleiniger staatlicher Verantwortung richtet sich an Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 1 bis 9, die unabhängig von ihrer jeweiligen Konfession mehr über den Islam erfahren wollen.
Was sagt nun das bereits rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichtshofs?
Ditib hatte gegen die Entscheidung geklagt. Grundlage für die Zusammenarbeit war ein Bescheid, ein Verwaltungsakt sozusagen. Das Gericht stellte nun fest, dass dieser Bescheid nicht einfach ausgesetzt werden kann – dafür gebe es keine rechtliche Grundlage.
Kommt der islamische Religionsunterricht mit Ditib nun zurück?
Das ist eine der Möglichkeiten – das wäre dann bereits zum kommenden Schuljahr 2022/2023 der Fall. Die Landesregierung kann sich aber auch dafür entscheiden, den Bescheid aufzuheben – damit wäre die Zusammenarbeit zu Ende. Die Zeit drängt also etwas für die Landesregierung um den neuen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU).
Was sagt Ditib?
Der türkische Moscheeverband Ditib geht davon aus, dass der vereinbarte Unterricht wieder starten kann. «Der bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht in Hessen ist
fortzusetzen», erklärte er nach dem Urteil. Der Unterricht sei sieben Jahre lang beanstandungs- und störungsfrei angeboten worden.
Wer genau ist eigentlich Ditib?
Die Türkisch-Islamische Union Ditib zählt zu den größten islamischen Organisationen in Deutschland. Sie ist ein Dachverband der türkisch-islamischen Vereine und wurde 1984 gegründet. In Hessen zählt die anerkannte Religionsgemeinschaft nach eigenen Angaben rund 60 000 Mitglieder in etwa 90 Gemeinden.
Was sagt die Wissenschaft?
Harry Harun Behr, der als Professor für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Islam an der Frankfurter Goethe-Universität Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausbildet, hofft, dass Ditib und das Land aufeinander zugehen und die Zusammenarbeit fortsetzen. Beide Seiten sollten «diese Chance nicht durch Dickköpfigkeit verspielen». Ditib sei «nicht der verlangerte Arm Erdogans», sondern verstehe sich als Religionsgemeinschaft und nehme keine politische Position ein. Alternative Kooperationspartner gebe es nicht – die muslimische Religionsgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat findet Behr weltanschaulich «problematischer» als Ditib. Daneben gebe es nur sehr kleine Organisationen.
Was ist eigentlich ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht?
Ein sogenannter bekenntnisorientierter Religionsunterricht bedeutet, dass eine staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft als Partner mit ins Boot geholt wird, der Staat aber die Verantwortung für das Unterrichtsfach behält, was etwa Lehrpläne angeht und den Einsatz von Lehrkräften. Im Prinzip ist das ein ganz normales Unterrichtsfach.
Andere Partner für den bekenntnisorientierten Religionsunterricht sind etwa die katholische und evangelische Kirche oder die muslimische Religionsgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat. Alternativ bieten die Schulen in Hessen einen glaubensneutralen Ethikunterricht an. Zudem könnte der vom Kultusministerium als Schulversuch eingeführte Islamunterricht regulär weitergeführt werden. Das Land könnte sich aber auch noch andere Partner suchen für einen Islamunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler mit türkischem Familienhintergrund. (Bernd Glebe, Jan Brinkhus und Sandra Trauner, dpa)
Gericht gibt Ditib recht: Hessen darf islamischen Religionsunterricht nicht aussetzen
Dieser Streit zeigt nur, dass das ganze Konzept des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts von vorne bis hinten fragwürdig ist. Egal um welche Religion es geht: man kann nie ausschließen, dass fragwürdige Organisationen mit fragwürdigen Funktionären in Schulen irgendwie mitreden und die Köpfe der Kinder mit fragwürdigen Dingen vollstopfen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Solange nur die beiden großen Kirchen beteiligt waren, fiel das nicht weiter auf, zumal diese Kirchen auch einigermaßen reformbereit und verfassungskonform waren. Aber was passiert, wenn jetzt zahlreiche größere Sekten aus aller Welt ankommen und auch mitreden wollen?
Und dass die Eltern bis zum 14. Lebensjahr über die Teilnahme am Religionsunterricht entscheiden, ist wieder mal kein Beitrag für eine Entkoppelung von Bildung und Herkunft, was ansonsten immer so eifrig postuliert wird.
Es wäre völlig ausreichend, wahlweise christlichen Religionsunterricht (ev./kath. gemischt) und Ethik als Alternative anzubieten. Wo will man sonst die Grenze setzen?
Mich erinnert die Diskussion um den Religionsunterricht ein wenig an die Diskussion über die Waffengesetze in den USA.
Beides in der Verfassung/Grundgesetz festgeschrieben, also unantastbar(?). Beides durch starke Lobbyarbeit unterstützt, Kirchen/NRA, die in diesem Punkt gar nicht die Mehrheit der Bevölkerung vertreten.
Beide haben politische Unterstützer, CDU…./Republikaner,.
Bei beiden wird ausgeblendet, dass sich die Gesellschaft wandelt. Längst sind nicht mehr die Überwiegende Mehrheit in D Christen, egal welcher Couleur!
Und was ist mit der heiligen Kuh Inklusion? Der RU macht das Gegenteil.
Bei uns im Norden wird es der Lehrermangel allerdings bald regeln. Die letzte LK für Kath. Religion betreut die wenigen kath. Kinder an etwa 8 Schulen, Es gibt kaum noch LK für evangelische Religion, fast alle ü60. Die SL darf auch eine LK nicht anweisen Religion fachfremd zu unterrichten, auch wenn die Landeskirche bei fehlender Voccatio beide Augen fest zudrückt. Da immer mehr ev. Kirchen schließen müssen, haben die Pastor*innen auch keine Möglichkeiten mehr, RU in den Schulen zu erteilen. Nur sehr wenige Muslime fühlen sich von der DITIP vertreten, so dass kein islamischer Religionsunterricht verlangt wird.
Immer mehr Eltern melden ihre Kinder für Ethik/Philosophie an.
Die ersten Grundschulen mussten den RU schon streichen, weil es kein Personal dafür gibt.
Die 2 Religionsstunden gibt es fast nirgends mehr. Fast überall gibt es, wenn überhaupt, nur noch 1 Stunde Religion und eine Stunde Klassenrat.
Auch unsere GS wird den Religionsunterricht bald komplett streichen müssen. Schon jetzt fällt er aufgrund des hohen Krankenstandes oft aus. Im nächsten Schuljahr wird es schon schwierig, da mindestens 2 LK, die noch bereit waren Religion fachfremd zu unterrichten, in Pension gehen.
Und man sollte doch wünschen, dass am besten alle Kinder zum einen etwas über alle Religionen lernen und zum anderen etwas über gemeinsame Werte lernen. Warum trennen wir hier, wo wir eigentlich verbinden sollten? Ethik und Philosophie sind hier wesentlich sinnvoller, um das zu vertreten und zu lernen, was wir uns gesellschaftlich wünschen. Nämlich kultur- und religionsübergreifend und unabhängig Werte für alle zu entwickeln.