Russischunterricht bleibt gefragt – Berlin mit Sonderstellung

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BERLIN/MARBURG. Wo es ihn gibt, verzeichnet der Russischunterricht an Schulen derzeit eine deutlich verstärkte Präsenz, nicht zuletzt durch die Flüchtlingssituation. Langfristig rechnen Experten überwiegend mit abnehmendem Interesse.

Der Krieg in der Ukraine hält viele Menschen bislang nicht davon ab, weiter Russisch zu lernen. «Alle meine Teilnehmer verurteilen den schrecklichen Angriffskrieg auf die Ukraine. Sie kommen aber weiterhin in die Russischkurse, weil sie an der Sprache interessiert sind, an der Kultur, vor allem der Literatur», sagt Elke Saniter, Volkshochschullehrerin in Berlin.

Kotelnicheskaya-Damm-Gebäude in Moskau
Russisch ist nach wie vor eine der meistgesprochenen Sprachen der Welt, war aber auch schon vor Februar 2022 nicht die populärste Fremdsprache in Deutschland. Foto: josef.stuefer / flickr (CC BY 2.0)

«Natürlich wird das Interesse an der russischen Sprache abnehmen, aber es wird sicher nicht verschwinden», ist ihre Kollegin Ekaterina Kharitonova überzeugt. «Ja, wir werden weniger Arbeit haben. Darüber kann ich mich nicht beschweren. Ich verstehe, warum das so ist», so die Lehrerin.

Der Vorsitzende des Deutschen Russischlehrerverbands in Marburg, Wilhelm Lückel, geht auch davon aus, dass der Krieg sich künftig auf die Zahl der Russischlernenden in Schulen auswirken könnte. «Russisch wird sicherlich weiter zum Kanon der Fächer gehören. Die Politik der Russischen Föderation wird die Wahl aber natürlich negativ beeinflussen», sagt er.

Öffentlichkeitsarbeit für die Sprache sei derzeit jedenfalls nicht gefragt. «Bei Kultusministerien ist eine gewisse Vorsicht gegenüber dem Fach zu beobachten», so Lückel. Sein Verband sei inoffiziell gebeten worden, vorerst keine Russisch-Olympiaden mehr durchzuführen.

Die Zahl der Schüler, die an allgemeinbildenden Schulen Russisch als Fremdsprache lernen, ist in den vergangenen Jahrzehnten stetig zurückgegangen. Im Schuljahr 2020/2021 waren es laut Statistischem Bundesamt noch rund 94 000 Schüler – ein Rückgang um 83 Prozent gegenüber 1992/1993, als erstmals bundesweite Daten vorlagen. Damals hatten noch rund 565 100 Schüler Russisch als Fremdsprache gelernt.

In der DDR wurde Russisch obligatorisch als erste Fremdsprache gelehrt. Noch heute wird die Sprache vor allem in Ostdeutschland einschließlich Berlin gelernt. 70 Prozent der Schüler mit Russisch als Fremdsprache gingen 2020/2021 dort zur Schule.

Berlin nehme durch den relativ hohen Bevölkerungsanteil russischsprachiger Menschen eine Sonderstellung ein, so Lückel. Laut der Migrantenorganisation «Dialog» lebten bereits vor dem Krieg rund 250 000 Russischsprachige in Berlin. Nun kommen zahlreiche ukrainische Flüchtlinge hinzu, die ebenfalls Russisch sprechen.

Laut Berliner Bildungsverwaltung haben in der Stadt in den vergangenen drei Jahren im Schnitt rund 5600 Schüler an allgemeinbildenden Schulen Russisch gelernt. 2020/21 boten demnach 61 Schulen die Sprache an. Der Berliner Russischlehrerverband sieht an den Schulen in der Hauptstadt derzeit noch keinen Nachfragerückgang. «Ein Knick bei den Anmeldungen für Russischkurse könnte im nächsten Jahr kommen», sagt die Vorsitzende Jacqueline Kohn. In Berlin seien es vor allem russischstämmige Kinder und Jugendliche, die die Sprache lernen. «Es gibt nur noch sehr wenige Kinder, die Russisch wirklich als Fremdsprache lernen.»

In Waldorfschulen, wo Russisch teilweise bereits ab der ersten Klasse unterrichtet wird, habe die Sprache plötzlich eine viel stärkere Präsenz, berichtet Julian Scholl von der Landesarbeitsgemeinschaft der Waldorfschulen Berlin-Brandenburg. Die Schulen hätten relativ viele geflüchtete Kinder aus der Ukraine aufgenommen. «Deshalb gibt es jetzt viel mehr lebendiges Russisch im Schulumfeld und auf den Schulhöfen», so Scholl. Davon könnten auch die Schüler profitieren, die Russisch als Fremdsprache lernen. Die Situation sei aber schwierig, auch wegen des nun nicht mehr möglichen engen Austauschs mit Partnerschulen in Russland. «Russischlehrer sind verzweifelt», so Scholl.

Erwachsene können Russischkurse in Berlin unter anderem an sechs Volkshochschulen belegen. Unter den Teilnehmern seien auch Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, bereits Russischvorkenntnisse haben und diese auffrischen wollen, oder auch Lernende mit persönlichen Kontakten zu russischsprachigen Menschen, berichtet Stephanie Vonscheidt, Leiterin des Servicezentrums der Berliner Volkshochschulen. «Es besteht im Augenblick kein Wunsch, nach Russland zu fahren. Allerdings ist ihnen wichtig, Kontakt zu den Menschen zu halten, die dort unter der politischen Lage leiden», berichtet Sprachlehrerin Elke Saniter über ihre Schüler.

Manche Volkshochschulen verzeichnen laut Vonscheidt in der Hauptstadt sogar mehr Lernwillige als im Vorjahr. In Pankow sei beispielsweise ein Zuwachs von 23 Prozent der Unterrichtseinheiten im Vergleich zu 2021 zu verzeichnen. In Friedrichshain-Kreuzberg sei das Beratungs-/Einstufungsangebot für Russisch im September noch besser angenommen worden als beispielsweise für Italienisch, Französisch, Türkisch oder Arabisch. (Anja Sokolow, dpa)

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Salentin
1 Jahr zuvor

Natürlich darf man Sprache und Kultur des russischen Volkes, die „größer und älter“ sind als Putin und SEIN Krieg, jetzt nicht ins Abseits drängen oder verächtlich machen. Leider geschieht das mancherorts wie seinerzeit als die deutsche Sprache im Ausland behindert und verboten wurde, als Hitler die Welt mit SEINEM Krieg überzog. In Lettland ist nun der Russischunterricht an den Schulen abgeschafft worden. Immer wiederholen sich die gleichen Fehler.

Quacksalber
1 Jahr zuvor
Antwortet  Salentin

Naja, viel anders als in Lettland ist es aber auch nicht, wenn russischsprachige Künstler oder Sportler ausgeladen werden, nur weil sie Russen sind bzw. russische Bürger (da gibt es ja hunderte Nationalitäten, sogar immer noch Russlanddeutsche in Sibirien u.a.). Ist das nicht eine Art Sippenhaft?

Leseratte
1 Jahr zuvor

In diesem Kontext bezüglich russischer Sprache und Kultur fand ich diesen Artikel. Zum Nachdenken.

„[…] Die Stadtverwaltung von Kiew hat im Internet Vorschläge für neue Straßennamen gesammelt. Sie hat angekündigt, dass 467 Objekte – darunter Straßen, Plätze und U-Bahn-Stationen, die die Namen von TolstoiDostojewskiTschechowPuschkin, Turgenjew, Bulgakow und Achmatowa und anderen russischen Schriftstellern trugen – in Kiewumbenannt werden sollen, um »den Prozess der Entrussifizierung« abzuschließen. Außerdem wird beschlossen, die Denkmäler von Puschkin und Bulgakow abzureißen.Dieser Vorschlag hat in Kiew selbst eine große Kontroverse ausgelöst. Einige Kiewer sagen, es sei nicht nötig, den Dichter Puschkin zu bestrafen – er sei nicht Lenin. Und der Schriftsteller Bulgakow ist Ukrainer, denn er wurde in Kiew geboren und lebte die Hälfte seines Lebens dort. Und längst verstorbene Klassiker sind nicht dafür verantwortlich, was Putins Regime jetzt tut. […]
Doch fast alle großen russischen Schriftsteller waren Humanisten und Demokraten, sie haben das Regime heftig bekämpft und waren seine Opfer. Brodsky wurde ins Exil geschickt, […] Tolstoi war eine wichtige Figur der intellektuellen Opposition seiner Zeit, er war gegen alle Kriege, an denen Russland beteiligt war, und wurde exkommuniziert. Das gilt für die meisten der wirklich großen russischen Schriftsteller und Kulturschaffenden. […]
Das ukrainische Kulturministerium forderte neulich, kulturelle Sanktionen gegen Russland zu verhängen: »In diesem praktisch totalitären Land erfüllt die Kultur eine Dienstleistungsfunktion und dient der politischen Propaganda«, sagt der ukrainische Kulturminister Oleksandr Tkachenko. Daher fordert das Ministerium, Russlands Teilnahme an internationalen Festivals, Ausstellungen, Foren und Kunstveranstaltungen auszusetzen (wie es bereits die Teilnahme an der Eurovision): die Biennale von Venedig, Art Basel, Documenta, Cannes, Berlin, Venedig und andere Filmfestivals; die Buchmessen in Salzburg, Avignon, Arena di Verona, Frankfurt und London. Außerdem fordert das Ministerium, dass »die Berichterstattung über die russische Kultur in den Medien eingestellt werden sollte«.
Doch: Bei allen genannten Veranstaltungen treten die Künstler und Interpreten als Privatpersonen auf. Wir sind hier nicht bei der Eurovision […] Die meisten kulturellen Persönlichkeiten Russlands stehen in Opposition zu Putins Regime. Hunderte von Schriftstellern, Künstlern, Musikern und Kulturschaffenden aus Russland haben sich gegen den Angriff auf die Ukraine ausgesprochen – und dann Russland verlassen, weil sie sich nicht mit dem Krieg solidarisieren wollten. Sie können nicht mehr in Russland leben und arbeiten. […]
Das erste symbolische Opfer wird natürlich Kirill Serebrennikow sein, einer der berühmtesten Filmemacher Russlands. […]
Vor drei Jahren wurde er unter einem offensichtlich erfundenen und politisch motivierten Vorwand verhaftet. Dies wurde damals als demonstrativer Akt der Einschüchterung gegen die gesamte unabhängige russische Kunst angesehen. Serebrennikow stand mehr als ein Jahr lang unter Hausarrest. Wegen der Strafverfolgung konnte er nicht an den Premieren zweier seiner Filme teilnehmen, […] In diesem Jahr wird er zum ersten Mal die Gelegenheit haben, seinen Film in Cannes zu sehen – aber ukrainische Filmemacher haben bereits angekündigt, dass sie protestieren und die Vorführung seines Films blockieren werden […] Einige Theater, Ausstellungen, Wettbewerbe und Universitäten haben begonnen, ihre eigenen Sanktionen zu verhängen, ohne auf Anrufe aus der Ukraine zu warten – und niemand achtet auf politische Ansichten oder Biografien der Sanktionierten! […]
Der Kulturkampf schwächt Putin nicht, er stärkt ihn nur. Immer mehr junge Russen sind davon überzeugt, dass der Westen voreingenommen und ungerecht ist; dass er Russland und alle Russen hasst – nicht allein Putin.[…]
https://www.spiegel.de/ausland/russland-ukraine-krieg-und-die-kultur-was-kann-pushkin-denn-dafuer-kolumne-a-8d4d683a-94cc-4c40-aced-a0807022f9ee