Inklusion: Beauftragte sehen Werkstätten für Menschen mit Behinderung als gescheitert an

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ERFURT. «Es gibt keinen einzigen Arbeitsplatz, der nicht von einem Menschen mit Behinderung gut ausgefüllt werden kann» – da sind sich die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern einig. Die Rahmenbedingungen dafür müssten aber noch deutlich besser werden. Das Konzept, besondere Werkstätten zu betreiben, wird als «weitestgehend gescheitert» betrachtet.

Inklusion auf dem Arbeitsmarkt? Weitgehend Fehlanzeige. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Menschen mit Behinderung sollen es künftig auf dem Arbeitsmarkt leichter haben. Die Behinderten-Beauftragten des Bundes und der Länder legten bei einer Tagung in Erfurt einen Forderungskatalog vor, der aus ihrer Sicht bis spätestens 2030 umgesetzt sein sollte. Es müsse konkrete Gesetze geben, mit denen mehr Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung geschafft werden könnten, hieß es in ihrer Erklärung vom Freitag.

Die Forderungen beziehen sich auf drei Bereiche: Auf Werkstätten für behinderte Menschen, Inklusionsbetriebe und ein inklusives Arbeits- und Sozialrecht. Es brauche neue Anstrengungen und Instrumente, um in den kommenden acht Jahren einen inklusiven Arbeitsmarkt zu erreichen, teilten der Bundesbeauftragte Jürgen Dusel und der Thüringer Beauftragte Joachim Leibiger mit.

«1,3 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigte Menschen mit Schwerbehinderung machen jeden Tag einen guten Job in Deutschland»

Nötig sei etwa ein besserer Übergang von der Schule in den Job oder zusätzliche Unternehmen, die behindertengerechte Arbeitsplätze schaffen. Ziel sei die Inklusion, also die Gleichberechtigung von Menschen mit und ohne Behinderung in der Arbeitswelt. So müsse etwa das Arbeitsrecht spätestens ab 2030 einheitlich für alle Beschäftigungsverhältnisse gelten.

«1,3 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigte Menschen mit Schwerbehinderung machen jeden Tag einen guten Job in Deutschland», sagte Dusel. Sie zeigten, dass es im Grunde keinen einzigen Arbeitsplatz gebe, der nicht sinnvoll mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden könne. Noch immer herrschten aber Vorurteile vor, die nachweislich alle falsch seien.

Bereits vor 10 Jahren hatten die Behindertenbeauftragten in einer Erklärung einen besseren Jobeinstieg für Menschen mit Behinderung gefordert. Damals formulierte Forderungen sind teils deckungsgleich mit den aktuellen Forderungen.

In Deutschland sind Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten dazu verpflichtet, fünf Prozent ihrer Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Firmen, die diese Quote nicht erfüllen, müssen Strafgelder zahlen. In 44.000 von insgesamt 165.000 Unternehmen, die darunter fielen, arbeite aktuell nicht ein einziger Mensch mit Schwerbehinderung, sagte Dusel. Im öffentlichen Dienst müsse die Neueinstellung von Personen mit Schwerbehinderung zudem mindestens eine Quote von sechs Prozent erreichen, forderten die Beauftragten.

In Thüringen liege die Quote im öffentlichen Dienst zwar über fünf Prozent, sagte der Thüringer Landesbeauftragte Joachim Leibiger. Er sah aber auch hier noch Ausbaubedarf.

Einen Grund dafür, dass Menschen mit Behinderung Schwierigkeiten hätten, einen Arbeitsplatz zu finden, sehen die Beauftragten in der Unübersichtlichkeit. In Deutschland herrsche ein «Dschungel von Zuständigkeiten» vor, sagte Dusel. «Wir sind der Meinung, wir müssen dieses Wirrwarr, diesen Dschungel auflösen.» Dafür brauche es etwa einen gemeinsamen Ansprechpartner für potenzielle Arbeitgeber, gerade kleine und mittelständische Unternehmen ginge sonst die Puste aus.

Seit Jahrzehnten gelingt weniger als ein Prozent der in besonderen Werkstätten tätigen Menschen der Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt

Die Beauftragten sehen die Werkstätten für Menschen mit Behinderung als «weitestgehend gescheitert» an. Seit Jahrzehnten gelinge weniger als ein Prozent der dort tätigen Menschen der Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Daher sei es gut, dass die Bundesregierung etwa das Entgeltsystem reformieren wolle. Bis 2025 brauche es aber ein Konzept zum schrittweisen Wandel der Werkstätten, sagte Leibiger. Den Inklusionsbetrieben könnte zukünftig eine zentralere Rolle zukommen. News4teachers / mit Material der dpa

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Chris
1 Jahr zuvor

„ «Es gibt keinen einzigen Arbeitsplatz, der nicht von einem Menschen mit Behinderung gut ausgefüllt werden kann» – da sind sich die Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern einig.“

Dem muß ich leider widersprechen. Wenn ich da z.B. an meine Azubis denke, muß ich gestehen, daß ein Farbenblinder nie Elektriker werden kann, weil er die Farben der einzelnen Adern nicht sicher unterscheiden kann und somit seine Kunden in Lebensgefahr bringt, so sehr er sich auch bemühen mag. Solche Leute muß ich dann spätestens in der IHK Prüfung durchfallen lassen. Da sehe ich mich in der Rolle des Gatekeepers, der die Gesellschaft vor solchen Leuten zu schützen hat. Schließlich dürfte er alleine tätig werden, würde er bei mir bestehen.
Gleiches gilt für Piloten von Verkehrsflugzeugen mit spastischer Lähmung. Ein Pilot muß das Flugzeug manuell landen können. Kann er dies nicht, darf die Behinderung keine Entschuldigung sein. Da darf es auch keine Erleichterungen oder Nachteilsausgleiche geben. Entweder der Pilot bekommt die Aufgaben im vollen Schwierigkeitsgrad zuverlässig hin, oder diese Person darf einfach nicht fliegen.

Sicherlich lassen sich noch viele Beispiele finden, weshalb der generellen zitierten Aussage zu widersprechen ist.

Robert Wagner
1 Jahr zuvor
Antwortet  Chris

Wenn da stünde: „Es gibt keinen einzigen Arbeitsplatz, der nicht von JEDEM Menschen mit Behinderung gut ausgefüllt werden kann.“ wäre Ihr Einwand berechtigt.

Cornelia
1 Jahr zuvor
Antwortet  Robert Wagner

So verstehe ich die Formulierung auch. Trotzdem fällt mir bei manchen Berufen keine Form der Behinderung ein, mit der man diese ausüben könnte. Zum Beispiel Berufe, die schwere körperliche Arbeit genauso voraussetzen wie sorgfältige Beachtung von Gefahren. Der Forstwirt? Arbeit auf dem Bau? Auch taub oder blind sollte man dabei nicht sein….

Ron
1 Jahr zuvor

Gerne dürfen es Behinderte auf dem Arbeitsmarkt leichter haben. Dazu würde aber auch gehören, dass ihre faktische Unkündbarkeit aufgehoben wird, damit es in der freien Wirtschaft überhaupt zu Jobangeboten kommt. Widersprechen möchte ich aber der hier getätigten Aussage, dass Werkstätten für Behinderte gescheitert seien. Aus eigenem Erleben weiß ich, dass Behinderte recht glücklich mit ihrer Arbeitsstelle und dem sozial angepassten Umfeld einer Behindertenwerkstatt sein können. Ich tippe eher darauf, dass hier nach der schulischen Inklusion das nächste Sparmodell vorbereitet werden soll. Behindertenwerkstätten kosten eben Geld und brauchen Betreuung. Könnte man die meisten Behinderten in normale Betriebe abgeben, spart man Finanzmittel. Ob dies im Sinne der meisten Betroffenen ist, darf bezweifelt werden. Der IT-Chef ist nämlich schlecht im Wickeln.

Indra Rupp
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Menschen mit geistiger Behinderung, allen voran Trisomie 21, sind immer fröhlich und scheinen mit allem zufrieden. Man denke an Schlafes Bruder (Film), wo der Lehrer den Schüler mit Trisomie 21 lächerlich macht, alle lachen und das Kind selber mitlacht und sich freut, dass alle fröhlich sind….
Die Leute bei den Werkstätten kennen nichts anderes, sehen den Zusammenhang zu sonstiger Ausgrenzung nicht. Und nur die allerwenigsten müssten gewickelt werden! Aber man kann natürlich erreichen, dass das gewünschte Ergebnis “ Behinderte WOLLEN ausgesondert werden“ zustande kommt. Man müsste sie nur auf dem Arbeitsmarkt auflaufen und sie die seit Jahrzehnten /Jahrhunderten durch aussondern gewachsenen Abneigungen, Unkenntnis und Vorurteile spüren lassen. Und dann heißt es :“SIEHSTE! DIE WOLLEN DOCH GARNICHT ZU UNS GEHÖREN! DIE WERDEN GERNE DISKRIMINIERT!“

Ron
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Sie suggerieren, dass ich Behinderte ausgrenzen möchte. Dies ist nicht so. Ich freue mich über jeden, der in der freien Wirtschaft eine Chance bekommt. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich auch bereits fast zwei Jahre während meines Zivildienstes in Behinderteneinrichtungen gearbeitet. Mit Blick auf die Erlebnisse der schulischen Inklusion mache ich mir aber so meine Gedanken, ob Behinderte in der stressigen und leistungsorientierten Marktwirtschaft eine angemessene soziale Betreuung erfahren, ob sie mitgenommen werden, ob sie Anschluss im Betrieb finden. Ich als (geistig) Behinderter würde vermutlich lieber in einer Behindertenwerkstatt arbeiten, in einem Cafe oder in einem betreuten Dorfladenprojekt mitarbeiten oder im Rahmen einer Behinderteninitiative in der Schulmensa tätig sein. Da gibt es Gleichgesinnte und Betreuer. Es ist ein fordernder aber beschützer Rahmen. Dass dies natürlich ausschließlich für geistige Behinderungen gilt, habe ich bei meinem obigen Beitrag vorausgesetzt.

Indra Rupp
1 Jahr zuvor

Die Werkstätten sind gewinnorientierte Unternehmen. Wer nur eine leichte geistige Einschränkung hat oder nur Rollifahrer und somit eine dort sehr starke Arbeitskraft ist, dem wird man mit allen Mitteln Steine in den Weg legen, damit er die Werkstätten bloß nicht wieder verlässt. Ist auch mit pflegeleichten Kindern an Förderschulen so.

Thomas Schulz
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Dem stimme ich voll und ganz zu!
Werkstätten beuten behinderte Menschen aus! 8 Mrd.€ Umsatz durch ca. 300.000 „Arbeiter“ bei einem Stundenlohn von unter 1,50€. Ich habe für meinen Sohn bei der Lebenshilfe, Diakonie und CSW versucht eine Beschäftigung neben seinem Hochleistungssport (www.Johannes-Hohl.de) zu finden. Keiner war bereit ihm zu helfen oder zu unterstützen, es steht nicht der behinderte Mensch mit seine Fähigkeiten im Vordergrund, die Arbeitskraft die man ausbeuten kann ist es!
Werkstatt ist nicht Inklusion, Werkstatt bedeutet Isolation, Diskriminierung (Worte der Frau Merkel 2021) und Ausbeutung (meine Auffassung). Es braucht jetzt niemand schreiben was die Lebenshilfen mit ihren Werkstätten etc. dieses Landes doch alles Gutes tun, es rechtfertigt nicht, dass behinderte Menschen in dieser „modernen Sklaverei“ leben.

Birkenstock
1 Jahr zuvor

„In Thüringen liege die Quote im öffentlichen Dienst zwar über fünf Prozent“
Wären es 4,99 %, wäre die Pflichtarbeitsplatzzahl als der Anzahl der Arbeitsplätze, die mit schwerbehinderten Menschen besetzt sein müssen (beträgt regelmäßig 5 % der ermittelten Arbeitsplätze) zumindest nicht erfüllt und möglicherweise Strafzahlungen fällig.

„die Bundesregierung etwa das Entgeltsystem reformieren wolle
WfB (Werkstatt für Behinderte) war gestern, heute sind es Inklusionsbetriebe – Unternehmen mit sozialem Auftrag

Zeichen setzen, ein neuer Anstrich muss für Behinderte bis 2030 her, aus HartzIV muss ja auch ein Bürgergeld werden.

Last edited 1 Jahr zuvor by Birkenstock
TaMu
1 Jahr zuvor

Die Aussage „Es gibt keinen einzigen Arbeitsplatz, der nicht von einem Menschen mit Behinderung gut ausgefüllt werden kann“ halte ich für absolut naiv. Mit oder ohne Behinderung ist nicht jede Person grundsätzlich für jeden Job körperlich, psychisch und mental geeignet.
Ich glaube allerdings auch, dass viel mehr behinderte Menschen einer Arbeit außerhalb von Werkstätten nachgehen könnten, vor allem, wenn sie sich in der Werkstatt nicht wohl fühlen und das Gefühl haben, in einem Betrieb auf dem freien Markt gute Arbeit leisten zu können.
Aber diese Aussage widerspricht jedem guten Menschenverstand und ich misstraue den Behindertenbeauftragten, die so einen Satz sagen. Das nutzt wirklich niemandem.

Robert Wagner
1 Jahr zuvor
Antwortet  TaMu

Da sagt der Satz ja auch nicht aus, sonst müsste da stehen: „….der nicht von JEDEM Menschen mit Behinderung gut ausgefüllt werden kann.“

OMG
1 Jahr zuvor

Ein Blick nach Großbritannien zeigt aber: Nach dem Schließen der Werkstätten wegen der Inklusion findet niemand mehr den Weg in den Arbeitsmarkt.
Wie sieht es mit Menschen aus, die erblindet sind? Z.B. in Tirol=

Können die Leute mal in der Relaität ankommen??
Das ist eine Gleichheitsträumerei, den den Betroffenen nichst bringt.

OMG
1 Jahr zuvor

„ «Es gibt keinen einzigen Arbeitsplatz, der nicht von einem Menschen mit Behinderung gut ausgefüllt werden kann»
Blinde und berufskraftfahrer
Herzchirurg
usw.
Plakative Rhetorik auf den einen Seite und Blödsinn auf der anderen

Robert Wagner
1 Jahr zuvor
Antwortet  OMG

Wenn da stünde: „Es gibt keinen einzigen Arbeitsplatz, der nicht von JEDEM Menschen mit Behinderung gut ausgefüllt werden kann.“ wäre Ihr Einwand berechtigt.

klm
1 Jahr zuvor

Ich habe immer wieder Schwierigkeiten mit den sogenannten „Beauftragten“. Nur selten scheinen sie mir Menschen mit Realitätssinn und Sachverstand. Dafür denken und handeln sie meinem Eindruck nach überwiegend ideologisch.