Studie: Jedes fünfte Kind ist armutsgefährdet! Rufe nach Grundsicherung werden lauter

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GÜTERSLOH. Kinder und Jugendliche sind in Deutschland in erheblichem Ausmaß von Armut bedroht. Auch für junge Erwachsene verweist eine Studie auf dramatische Zahlen. Die Rufe nach einer Kindergrundsicherung werden energischer. Kanzler Scholz hatte sie gerade erneut zugesagt.

Die Armut in Deutschland wächst: Häuserzeile in Berlin. Foto: Shutterstock

Mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland sind einer Studie zufolge armutsgefährdet. Betroffen sind unter den Kindern vor allem Jungen und Mädchen in alleinerziehenden Familien oder in Mehrkindfamilien mit drei und mehr Heranwachsenden, wie aus einer aktuellen Analyse der Bertelsmann Stiftung hervorgeht. Kinder- und Jugendarmut bleibe ein ungelöstes Problem. Es gebe erhebliche regionale Unterschiede.

Fast 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren waren laut Stiftung 2021 bundesweit von Armut bedroht. Das entspricht einem Anteil von bundesweit 20,8 Prozent, wobei es in Westdeutschland demnach 20,6 Prozent und in Ostdeutschland 21,8 Prozent waren. Nach Bundesländern fiel die Armutsgefährdungsquote in Bremen am höchsten aus (41,1 Prozent), am niedrigsten in Bayern (13,4). Mit einem Anteil von 24,6 Prozent lag der Anteil im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen über dem deutschlandweiten Durchschnitt.

In der Gruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 bis unter 25 Jahren waren 1,55 Millionen Personen armutsgefährdet. Hier lag der Anteil bei 25,5 Prozent – und das sei unter allen Altersgruppen die höchste Armutsgefährdungsquote überhaupt. Auch hier sieht die Untersuchung junge Erwachsene in Bremen mit 44,5 Prozent am stärksten betroffen, in Bayern (18,1 Prozent) falle die Lage vergleichsweise am besten aus. NRW liege mit einer Quote von 27,6 Prozent über dem Durchschnitt für Westdeutschland (24,2 Prozent).

Die Stiftung in Gütersloh wies daraufhin, dass aktuelle Krisen und Preissteigerungen das Problem noch verschärften. Armut bedeute Mangel, Verzicht, Scham und auch schlechtere Zukunftschancen. Als armutsgefährdet gelten demnach Kinder und Jugendliche in Familien mit einem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens in Deutschland. Viele dieser jungen Menschen benötigten staatliche Hilfen, um über die Runden zu kommen. Die von der Bundesregierung angestrebte Kindergrundsicherung müsse schnell kommen.

«Wir brauchen jetzt eine signifikante Erhöhung der Transferleistungen, ohne die es bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland weitere Rückschläge geben wird»

Bundesfamilienminsterin Lisa Paus (Grüne) hatte dafür kürzlich die Eckpunkte vorgelegt und angekündigt, dass Familien und ihre Kinder von der Grundsicherung ab 2025 profitieren sollten. Staatliche Leistungen für Kinder – Kindergeld, Kinderzuschlag, Leistungen für Kinder im Bürgergeldbezug, Zuschüsse für Schul- und Freizeitaktivitäten oder steuerliche Kinderfreibeträge – sollen darin zusammengefasst und unbürokratisch ausgezahlt werden.

Erst am Mittwoch hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag die Kindergrundsicherung als ein «großes Vorhaben der Bundesregierung und aller sie tragenden Parteien» bezeichnet. «Wir sind dabei, die Diskussionen jetzt so voranzutreiben, dass wir sie rechtzeitig Gesetz werden lassen können.» Zugleich hatte er auf die Anhebung des Kindergeldes zum Jahresbeginn für das erste, zweite und dritte Kind auf 250 Euro hingewiesen, was eine «riesige Entlastung für Familien» bedeute. Die Bildungsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Nina Stahr, kündigte am Donnerstag an, die Ampel-Koalition wolle die Kindergrundsicherung «zudem mit weiteren Maßnahmen flankieren.»

In der Studie war auch der Bezug von SGB-II-Leistungen in den Blick genommen worden – auf Basis von Daten der Bundesagentur für Arbeit. Unter den von Armut bedrohten Kindern und Jugendlichen erhielten demnach im Sommer 2022 rund 1,9 Millionen junge Menschen unter 18 Jahren Grundsicherung nach Sozialgesetzbuch (SGB) II – eine deutschlandweite Quote von 13,9 Prozent. Bei jungen Erwachsenen waren es «nur» rund 432 000 Personen – eine Quote von 7,1 Prozent. Hier sind aber laut Stiftung andere Unterstützungen wie BaföG, Wohngeld oder Ausbildungsbeihilfen unberücksichtigt.

Die örtliche Spannbreite beim SGB-II-Bezug lag zwischen 2,7 Prozent im bayerischen Roth und 41,7 Prozent in Gelsenkirchen in NRW bei den unter 18-Jährigen. Klar überdurchschnittlich fiel die Armutsquote auch in anderen Ruhrgebietsstädten wie Essen, Dortmund, Hagen, Herne oder Duisburg mit rund 30 Prozent bei Kindern und Jugendlichen aus. Die Zahlen seien insgesamt erstmals seit fünf Jahren deutlich gestiegen, weil aus der Ukraine geflüchtete Minderjährige hinzukamen.

Das Deutsche Kinderhilfswerk forderte Bund, Länder und Kommunen zum raschen Handeln auf. Die Kindergrundsicherung sei zwingend notwendig, arme Kinder und ihre Familien könnten aber nicht bis 2025 warten. «Wir brauchen jetzt eine signifikante Erhöhung der Transferleistungen, ohne die es bei der Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland weitere Rückschläge geben wird.» Zahlreiche Verbände wie der Paritätische, die Diakonie, der Sozialverband SoVD, der AWO-Bundesverband oder der Familienbund der Katholiken mahnten zusätzliche Investitionen und Verbesserungen für Familien an – darunter auch mehr kostenlose Ganztags-Kinderbetreuung. News4teachers / mit Material der dpa

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3 Kommentare
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Gelbe Tulpe
1 Jahr zuvor

Das Problem ist ja leider, dass viele gutbezahlte Industrieberufe und auch damit verbundene Verwaltungsstellen etc. nach Asien, vor allem in die menschenverachtende Diktatur China verlagert wurden. Hinzu kommt noch die Erhöhung von un- und niedrigqualifizierten Menschen in einer Größenordnung von vielen Millionen in den letzten 30 Jahren. Das erhöht und manifestiert natürlich leider die Armut und auch die Politikverdrossenheit. Die Gier der Großunternehmer gefährdet letztlich die politische Stabilität und die Demokratie, wie schon in den 1920er und 1930er Jahren.

Alx
1 Jahr zuvor

Ein Problem bei dem Begriff „armutsgefährdet“ ist, dass er nicht trennscharf zwischen Armut und niedrigem Einkommen plus Transferleistungen unterscheidet.

Wenn man lediglich das Einkommen betrachtet zählen da z.B. auch alle Arbeitslosen dazu, die aber noch viele weitere Transferleistungen in Anspruch nehmen können.

Es sollte klarer aufgeschlüsselt werden, wer tatsächlich von Armut betroffen ist und diejenigen sollten dann intensivere Unterstützung erfahren, mit dem Ziel, ein ausreichendes Erwerbseinkommen zu generieren.

Ron
1 Jahr zuvor

Ich habe es an anderer Stelle schon mal geschrieben. Selbst im reichsten Land gäbe es nach dieser Statistik immer etwa gleich viel angeblich armutsgefährdete Menschen. Das bringt diese Art der Rechnung einfach mit sich. Übrigens: quasi alle Studenten zählen hierzulande zum Kreis der armutsgefährdete Personen.