Lernforschung: Feedback-Mechanismen im Gehirn funktionieren auch ohne Belohnung

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MAGDEBURG. Positives Feedback gilt als leistungsfähiges und effektives Werkzeug von Pädagoginnen und Pädagogen. Negatives Feedback zu vermeiden, gehört zu den meistgelesenen Empfehlungen populärwissenschaftlicher Ratgeber. Allerdings sollte man dabei nicht den Informationswert von negativem Feedback außer Acht lassen, zeigen Magdeburger Wissenschaftler in einem neurophysiologischen Experiment.

Es geht auch ohne. Foto: Shutterstock

Beim Lernen spielen Belohnungen oft eine Rolle, weil man glaubt, dadurch den Erfolg unterstützen zu können. Auch in der Schule wird stark mit Belohnungen gearbeitet. In wissenschaftlichen Lernexperimenten wird in der Regel mit Belohnungsreizen wie Geld gearbeitet. André Brechmann und Susann Wolff vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) Magdeburg haben nun herausgefunden: Auch ohne positives Feedback durch Belohnung erlernen Versuchspersonen durchaus schnell, Handlungsstrategien anzupassen und Fehler zu korrigieren.

In einem neurophysiologischen Magnetresonanztomografie-Experiment mussten die Probandinnen und Probanden richtige von falschen Tönen zu unterscheiden. Bei der richtigen Kombination von Toneigenschaften die korrekte Taste zu drücken, war die Aufgabe der Personen, die bei dem Experiment am LIN mitmachten. Dabei mussten sie bei den Tönen fünf Eigenschaften in zwei Ausprägungen voneinander unterscheiden: laut und leise, kurz und lang, auf und ab, hoch und tief sowie schnell und langsam. Studienleiter Brechmann erklärt: „Wir haben bei 55 Teilnehmenden untersucht, welche Strategien sie entwickeln, um die richtige Kombination zu finden, und ob sie ihre Strategie anpassen können, wenn wir die Tastenbelegung wechseln.“

Die beiden Neurowissenschaftler haben dabei mit Feedback-Mechanismen gearbeitet, die nichts mit Belohnungen zu tun haben. „In einer Vorarbeit konnten wir bereits zeigen, dass eine akustische Information ‚Taste wurde gedrückt‘ schon ausreicht, um das Belohnungssystem zu aktivieren“, so Wolff. Im aktuellen Experiment mussten die Probandinnen und Probanden durch Versuch und Irrtum mit akustischem Feedback herausfinden, welche Tonkombination richtig ist und welche nicht. Zuerst mussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer raten und anschießend eine Strategie entwickeln, um die Zielkategorie herauszufinden.

Die Aufgabe war so schwer, dass es einige nicht geschafft haben, andere haben nur eine der Toneigenschaften herausgefunden, und wieder andere hatten spätestens beim Tausch der Tastenbelegung Schwierigkeiten, umzulernen. „Es kam also für alle darauf an, aus negativen Rückmeldungen zu lernen, um die richtige Strategie zu finden. Mit Hilfe der Magnetresonanztomografie konnten wir sehen, wo im Gehirn diese negative, aber hilfreiche Erfahrung für eine zusätzliche Aktivierung sorgte“, berichtet Wolff.

Brechmann fügt hinzu: „Fehler sind nicht alle gleichbedeutend: Beim initialen Lernen sind sie gar nicht zu vermeiden, wohingegen sie beim Wechsel der Tastenbelegung unerwartet sind, bis man herausfindet, dass sich die Spielregeln geändert haben. Es geht darum, aus den Fehlern zu lernen und flexibel eine Strategie zu entwickeln. Und um komplexe Zusammenhänge zu begreifen, braucht das Hirn zwar die sogenannten Belohnungszentren, aber nicht unbedingt eine Belohnung.“

Insgesamt löste negatives Feedback in beiden Versuchsphasen eine stärkere Reaktion in einem weitverzweigten Netzwerk von Hirnarealen aus als positives Feedback, stellen die beiden Wissenschaftler fest. Während positives Feedback im Experiment nur die Information enthielt, dass die aktuell verfolgte Entscheidungsstrategie (sowie eine Reihe alternativer Strategien) richtig sein könnte, verwerfe negative Feedback-Information die aktuell verfolgte Strategie eindeutig als falsch. Folglich böten nur negative Rückmeldungen die Möglichkeit, die eigene Antwortstrategie anzupassen, um Fehler in zukünftigen Versuchen zu vermeiden.

In zukünftigen Studien wollen sich Brechmann und Wolff auf die Teilnehmenden konzentrieren, die Probleme beim Umlernen hatten und diese mit individuellem Feedback unterstützen. Außerdem wollen sie weitere Messwerte wie Puls, Hautleitwert, Atmung oder elektrische Hirnströme in die Auswertung einfließen lassen. (zab, pm)

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5 Kommentare
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Ron
1 Jahr zuvor

Dopamin – das angebliche Glückshormon – ist nur der Neurotransmitter der Belohnungserwartung. Es ist nicht die leckere Speise selbst, die uns den Dopamin-​Kick verpasst. Vielmehr kurbelt der Anblick des genüsslich kauenden Gegenübers das Dopaminsystem an und generiert ein tiefes Verlangen. Gibt man diesem nach, reagiert das mesocortikolimbische System. Es wird immer dann aktiv, wenn wir eine Belohnung erwarten. Es geht also nicht um die Freude des Essens selbst, sondern um die Antizipation dessen, was Freude bereiten könnte. Wir nutzen dieses System als Menschen auch sehr bewusst, indem wir z.B. lustvoll in die Geschichte eines Buches eintauchen. Wir stellen uns etwas vor und empfinden allein diese Imagination als befriedigend. Entsprechend ist es im Unterricht wichtig, den Schülern die virtuelle Karotte als Belohnung hinzuhalten. Wer geschickt ist, kann ein Stück mit diesem Prinzip arbeiten. Die Erwartung, es könnte ja wieder was Spannendes wie letzte Stunde passieren, reicht schon als Motivationsschub. – Und für die Erwachsenen: Das sich abzeichnende Sixpack unter dem T-Shirt oder eine leicht geöffnete Bluse sind immer erfüllender als der Besuch des Nudisten-Strandes.

Carla
1 Jahr zuvor

Jedem, der etwas Verstand und Realitätssinn hat, ist schon lange klar, dass die Devise, Kinder zwecks Steigerung ihres Lerneifers und Selbstbewusstseins stets zu loben und positive Feedbacks zu geben, falsch ist.
Erstens nutzen sich Dauerbestätigung und -lob schnell ab, wenn es daneben nicht auch Fehleranzeigen und Tadel gibt. Und zweitens sind Aufgaben keine reizvolle Herausforderung mehr, wenn sowieso alles gut oder anerkennenswert ist, was man macht.

Die Meinung, dass Kinder von negativen Rückmeldungen nur niedergedrückt, entmutigt und im Selbstbewusstsein angeknackst würden, ist so offensichtlich falsch, dass mich immer gewundert hat, wie sie überhaupt entstehen und verbreitet werden konnte.

Bei der Frage nach Berichts- oder Zensurenzeugnissen spielt diese Meinung auch eine große Rolle. Berichtszeugnisse sollen auch bei Minderleistungen möglichst positiv klingen und deswegen motivierende Rückmeldung sein, während Zensurenzeugnisse angeblich nur entmutigen.
Dass sich die meisten Kinder und Eltern jedoch Zensurenzeugnisse wünschen, wird von den „Kinderverstehern“ weitgehend ignoriert oder nur als Wunsch lernstarker Schüler und ehrgeiziger Eltern angesehen.

@Redaktion
Herzlichen Dank für den wichtigen Artikel! Leider steht er nur am Rande, so dass ich ihn fast übersehen hätte. Kann man diesbezüglich etwas machen?

ABC
1 Jahr zuvor
Antwortet  Carla

Vollkommen richtig, Carla! Ich habe mich auch seit vielen Jahren, immer wieder über eine „fortschrittliche“ Pädagogik gewundert, die vieles propagierte, was erfahrene Lehrkräfte nur als kontraproduktiven Blödsinn ansehen konnten.

GriasDi
1 Jahr zuvor

Ich hoffe, dass immer mehr Lehr- und Lernmythen auf den Prüfstand kommen. Eine schöne Quelle sind auch die Bücher:
Urban Myths About Learning and Education bzw.
More Urban Myths About Learning and Education.
(Leider nicht auf deutsch zu bekommen)
Hier wird mit allerlei anderen Mythen aufgeräumt, bzw. diesen auf den Grund gegangen.

Petra
1 Jahr zuvor

Sachlich formuliertes Feedback ist wohl am wirksamsten, nur Loben sogar kontraproduktiv, was auch in Studien belegt wurde.