Kinder grob angefasst, angebrüllt, zum Essen gezwungen? Erzieherinnen unter Verdacht

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NEURUPPIN. Haben Erzieherinnen und Erzieher Kita-Kinder grob angefasst, angebrüllt, sie zum Essen gezwungen? Wieder gehen die Behörden einem Verdacht nach. Für die Staatsanwaltschaft im brandenburgischen Neuruppin ist es nicht der erste Kita-Fall.

Gewalt in der Kita – ein immer öfter auftretendes Phänomen? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Das brandenburger Bildungsministerium untersucht Vorwürfe der Kindeswohlgefährdung gegen sechs Erzieherinnen und Erzieher einer städtischen Kindertagesstätte in Hennigsdorf. Die Staatsanwaltschaft Neuruppin leitete inzwischen ein Ermittlungsverfahren ein, wie der Sprecher der Behörde mitteilte.

Laut Bildungsministerium in Potsdam, das die Aufsichtsbehörde ist, geht es um Vorwürfe, dass Kinder grob angepackt und hochgezogen worden seien, es geht um «Anbrüllen und Anschreien, Ignorieren, Einsperren sowie Ess- und Schlafzwang». Immer wieder werden in Brandenburg Vorwürfe wegen körperlicher Übergriffe und unangemessener Erziehungsmethoden in Kitas laut.

Die Vorfälle in Hennigsdorf sollen laut Ministerium im Zeitraum zwischen Oktober 2019 bis April 2023 geschehen sein. Die Stadt Hennigsdorf (Kreis Oberhavel) als Trägerin der Kita teilte mit, dass die Vorwürfe gegen sechs Beschäftigte seit März dieses Jahres bekannt seien. Die Mitarbeiter seien derzeit nicht in der Einrichtung eingesetzt.

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Die Staatsanwaltschaft Neuruppin ermittelt wegen des Verdachts der Nötigung, wie der Sprecher sagte. Es werde geprüft, ob strafrechtliches Verhalten vorliege und inwieweit auch Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen. Zeugen sollen befragt werden, darunter die Eltern. Die Ermittlungsbehörde werde zudem den Beschuldigten rechtliches Gehör geben.

Das Bildungsministerium teilte auch mit, dass unklar sei, ob und inwieweit die ehemalige Leitung der Einrichtung etwa durch eine «Mitwisserschaft und Verschleierung» und möglicherweise «unzureichende Interventionen» beteiligt gewesen sein könnte. Die Stadt richtete nach eigenen Aussagen eine Sprechstunde für Eltern ein. Zudem gebe es fachliche Beratung auch für die Beschäftigten der Kita.

Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hatte in einem anderem Verfahren Anklage gegen die frühere Leiterin einer Kita in Neuruppin und gegen ihre Stellvertreterin erhoben. Der Behördensprecher hatte im April gesagt, den Frauen werde vorgeworfen, Kinder etwa zum Essen gezwungen zu haben. In einer Potsdamer Kita wurden Vorwürfe laut, dass Erzieherinnen Kinder eingesperrt haben sollen.

Im vergangenen Jahr wurden in Brandenburg mehr Missstände gemeldet als noch 2021: Laut Bildungsministerium wurden 82 Verdachtsfälle von übergriffigem Verhalten von Beschäftigten gegen Kinder bekannt. Im Jahr 2021 waren es 56 Fälle. Einen tatsächlichen Anstieg von Missständen leitet das Ministerium daraus nicht ab. Als Gründe werden eine erhöhte Aufmerksamkeit genannt und ein anderes Meldeverhalten. Dazu habe das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz beitragen. News4teachers / mit Material der dpa

Deutlich mehr Meldungen über Gewalt in Kitas – Kinderschutzbund: Beschäftigte sind überfordert

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Heinz
9 Monate zuvor

Einsperren ist sicherlich nicht ok. Aber Ess- und Schlafzwang ist Kindeswohlgefährdung? Wie viele Tage am Stück sollten die Kinder denn schlafen, dass ihr Kindeswohl gefährdet wurde? Was oder wie viel sollten die Kinder denn essen? Handelt es sich bei diesen Dingen nicht lediglich um Erziehung? Die Frage ist halt einfach, wie es gehandhabt wurde und Einsperren geht nun einmal gar nicht, aber auch das Anschreien ist doch per se keine Kindeswohlgefährdung, hier kommt es doch darauf an, mit was die Kinder angeschrien wurden und ob sie erniedrigt oder gedemütigt wurden.

Lass mich aber gerne von anderen Meinungen überzeugen.

HerrWirfHirnVomHimmel
9 Monate zuvor
Antwortet  Heinz

Wow. Das ist ja ganz wunderbar, wie Heinz hier relativiert. Wenn ein Kind nicht will, zwingen wir es eben und schreien es an. Das nennt man Erziehung!? Geht’s eigentlich noch?

Marion
9 Monate zuvor
Antwortet  Heinz

Kinder können nicht zum „Schlafen“ gezwungen werden. Wenn ein Kind nicht schlafen kann, kann es nicht schlafen.
Es gibt aber sehr wohl in den meisten Kindergärten die sog. Mittagsruhe. Bei uns wird das so gehandhabt, daß die jüngeren Kinder sich mittags hinlegen, während die Größeren eine Geschichte vorgelesen bekommen und dann wieder spielen dürfen.
Diejenigen von den Kleinen, die nicht einschlafen, dürfen nach einer halben Stunde Ausruhen wieder aufstehen und zum Spielen nach unten gehen. Nicht alle Kinder, die zum Schlafen oder Ausruhen gehen, sind immer begeistert davon. Aber letztendlich tut ihnen die kleine Auszeit doch gut.
Also streng genommen „zwingen“ wir unsere Kinder auch, zwar nicht zum Schlafen, denn das ist ja nicht möglich, aber zum Ausruhen.
Was das Essen angeht, so wird bei uns kein Kind gezwungen etwas zu essen, was es nicht mag.
Wir versuchen aber schon, die Kinder dazu zu animieren, Dinge, die sie nicht kennen, wenigstens mal zu probieren.
Wir geben ihnen dann ein ganz kleines Stück davon auf den Teller.
Wenn sie es dann trotzdem nicht essen möchten, dann essen sie es halt nicht.
Gibt es z.B. Fischstäbchen mit Kartoffeln, dann würden da einige Kinder sicher ausschließlich die Fischstäbchen essen.
Auch hier legen wir dann ein kleines Stück Kartoffel auf den Teller.
Verlangt das Kind dann nach dem dritten Fischstäbchen und die Kartoffel liegt immernoch auf dem Teller, dann sagen wir schon auch: „Jetzt iss bitte erst mal deine Kartoffel.“
Ich glaube aber nicht, daß es bei den angezeigten Fällen um so etwas geht.
Was das Anschreien angeht, da muß ich sagen, natürlich sollte man mit Kindern nicht permanent schimpfen, sie anschreien oder sie gar erniedrigen.
Aber seien wir doch mal ehrlich: Wer von uns Erzieherinnen kann mit gutem Gewissen von sich behaupten: „Ich habe noch nie ein Kind angeschrien“?
Welcher Vater, welche Mutter kann das von sich behaupten?
Die Frage ist doch eher, gehört das Anschreien schon zur gängigen Erziehungspraxis, oder geschieht es eher in Ausnahmesituationen.
Wie geht man als Erwachsener damit um? Spricht man mit dem Kind nochmal in Ruhe darüber, wenn sich die Situation wieder beruhigt hat? Erklärt man dem Kind, warum man so laut geworden ist?
Reflektiert man die Situation und ist bereit, vor dem Kind auch mal eigene Fehler zuzugeben? Entschuldigt sich vielleicht gar dafür, wenn man ungerecht gewesen ist?
Ich denke in den oben geschilderten Fällen geht es schon um mehr.
Einmal laut werden reicht da nicht.

TaMu
9 Monate zuvor
Antwortet  Marion

Immer wieder bin ich dankbar, wie gut Sie Situationen schildern und dabei versöhnlich bleiben, wenn ich noch überlege, wie ich es ausdrücken möchte.

Dafragichmich
9 Monate zuvor
Antwortet  Marion

Bei deinem Beispiel mit den Fischstäbchen. Die sind ja die teure Komponente beim Essen und daher begrenzt. Ich nehme an, dass pro Kind 2 Fischstäbchen gerechnet werden. Davon wird man aber nicht satt. Also können die Kinder entweder dann doch die Kartoffeln essen, oder sie bleiben eben hungrig. Klar könnte es sein, dass ein anderes Kind gar keine Fischstäbchen mag, dann bleiben 2 übrig. Aber wie soll man die 2 Fischstäbchen gerecht auf die 10 Kinder verteilen, die gerne noch ein 3. Fischstäbchen gewollt hätten… Das Essen ist immer ein Menü aus verschiedenen Komponenten, von denen man jeweils nur eine Maximalmenge haben kann. Bei manchen Komponenten ist es immer zu wenig – wie bei Fischstäbchen – und manches wird gar nicht angerührt, z.B. Sauerkraut.
Zum Essen zwingen finde ich nicht ok, dann isst das Kind halt nix. Wird schon nicht verhungern.
Beim Schlafen finde ich es auch ok, wenn sich erstmal alle kurz ausruhen müssen, denn das brauchen die Kleinen. Und wenn das Konzept der Einrichtung ist, wir machen 2 Stunden Mittagsruhe, dann müssen sich die Kinder dem einfach fügen. Die nicht schlafen, müssen dann halt in der Zeit eine ruhige Beschäftigung am Tisch machen. Auch die, die sonst immer am rumwuseln sind. Gerade die!
Wenn das den Eltern nicht passt, sollen sie ihr Kind abholen! Eltern müssen sich auch an Regeln halten, nicht immer nur fordern. Damit sie abends früher Ruhe haben. Soweit kommt’s noch!

TaMu
9 Monate zuvor

Wenn ich lese, dass sechs Erzieherinnen und Erzieher aus einer einzigen Kita Kindswohlgefährdungen begangen haben sollen, dann kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass hier zufällig sechs asoziale Menschen gemeinsam einen Arbeitsplatz gefunden haben, an dem sie ihre Neigung zu Gewalt gegen Schwächere ausleben konnten. Niemand begibt sich so offen mit einem Bein in die Straffälligkeit, in die Arbeitslosigkeit sowie in die soziale Ächtung, wenn er einfach böse sein möchte.
Ich glaube, hier zeigt sich eher der Personalmangel und insgesamt die Misere in Kitas und die allgemeine Überforderung aller Erwachsenen beim Thema Kind, Erziehung und Betreuung. Wenn Menschen in Kitas unterbesetzt arbeiten müssen, was ja in einer überwältigenden Anzahl der Einrichtungen der Fall ist, dann ist da nicht immer Zeit für die selbstverständlich notwendige Feinfühligkeit. Wenn 11 Kinder unbeaufsichtigt im Gruppenraum sind, während ein Kind sich unbemerkt auf den Flur geschlichen hat und dort mit dem Mülleimer spielt, die erschreckte Erzieherin es dort zum Glück gleich findet und es zackig hoch nimmt und zur Gruppe zurück bringt, obwohl es schreit und sich wehrt, ist diese Situation für alle zutiefst unbefriedigend und nicht kindgerecht. Das kommt in unterbesetzten Einrichtungen täglich vor, weil häufig nur eine erwachsene Person ins einer Gruppe ist.
Da Kinder sich an solchen Orten auch nicht wohl fühlen, erzählen sie mit Sicherheit zu Hause von den unschönen Situationen, die auch die Erzieher und Erzieherinnen vermutlich so gar nicht gewollt hatten, und wollen vermutlich auch nicht mehr hin gehen, haben vielleicht schon Alpträume und Bauchschmerzen. Diese Erzählungen häufen sich, die Eltern werden hellhörig und schalten die Staatsanwaltschaft ein. Wenn ich mich an den Beitrag hier im Forum erinnere, dass eine Erzieherin die Polizei wegen einem stühlewerfenden Kleinkind gerufen hat, verstehe ich das jetzt. Hätte sie das Kind gepackt und „entwaffnet“, hätte sie jetzt vielleicht die Staatsanwaltschaft gegen sich. Ich habe mich damals gewundert, aber jetzt finde ich, sie hat alles richtig gemacht.
Kinderbetreuung soll immer und durchgehend und unter allen Bedingungen für die Kinder ganz individuell, liebevoll und möglichst noch besser sein, als zu Hause.
Ich bin übrigens dafür, dass Kinderbetreuung absolut liebevoll stattfindet. Deshalb müssen die Ressourcen der einzelnen Einrichtungen den personellen Möglichkeiten angepasst werden, was den Eltern dann zeitlich fehlt. Und? Wer entscheidet sich dann noch fürs Kindswohl? Aber die Staatsanwaltschaft einschalten. Was für eine Gesellschaft.

Marion
9 Monate zuvor
Antwortet  TaMu

Danke, TaMu.
Für dass mit dem Kinder „anpacken“ haben widerum mir die richtigen Worte gefehlt. Das haben dafür sie jetzt sehr anschaulich erklärt.
Ja, es passiert. Kinder werden manchmal „angepackt und weggezogen“, in Situationen, wie sie sie schildern.
Es ist halt immer schwer, von außen zu beurteilen, wie die Situation genau war, ob wirklich ungerechtfertigte Grobheit im Spiel war, oder ein Kind einfach schnell aus einer für es selbst oder für andere gefährlichen Lage herausgeholt werden mußte.
Was das Einsperren betrifft, dafür gibt es meiner Meinung nach aber keine Rechtfertigung.
Ich denke, das der Post von Heinz auch so gemeint war.
Deshalb habe ich versucht zu erklären, das man da schon sehr differenzieren muß.
Also die einzelnen Situationen betrachten, wie kam es dazu, wie wurde damit umgegangen, ist das dort der „normale“ Umgangston etc. etc.
Im Nachhinein ist es halt oft sehr schwierig bis unmöglich, genau nachzuvollziehen, was eigentlich wirklich passiert ist.
Es wäre auch endlich mehr Ehrlichkeit angesagt, auch von den in Kitas Tätigen selbst. Einfach mal zugeben, daß man etwas nicht mehr schafft, daß es einem zu viel wird, daß man nicht bereit ist, noch mehr Aufgaben zu übernehmen.
Ich glaube, viele von uns sind dafür immer noch viel zu brav und scheuen davor zurück, auch mal anzuecken.
Wir müssen lernen viel öfter und viel lauter NEIN! zu sagen, auch wenn das vielleicht erst mal unbequem ist. Aber nur so wird sich etwas verändern.

Marion
9 Monate zuvor

Und wenn wir hier schon mal beim Thema „Gewalt gegen Kinder“ sind, dann würde ich gerne noch anmerken, daß Gewalt nicht nur körperlich oder verbal ausgeübt werden kann.
Gewalt ist es auch, Kinder, die krank sind, in den Kindergarten zu schicken, in der Hoffnung, daß es schon irgendwie gut geht und man nicht angerufen wird, das Kind wieder abzuholen. Das ist übrigens nicht nur Gewalt gegen das eigene Kind, sondern auch Gewalt gegen alle anderen Beteiligten, die man unnötig der Gefahr einer Ansteckung aussetzt.
Es ist auch Gewalt, Einjährige ganztags in die Krippe zu stecken, obwohl sie eigentlich spätestens nach dem Mittagessen ihr Limit erreicht haben und wieder nach Hause gehörten. Das sind die Kinder, die nachmittags völlig ausgepowert, nur noch auf dem Arm der Erzieherin zufrieden sind.
Die kann aber halt immer nur EIN Kind herumtragen.
Achtung, jetzt werd ich mal wieder sehr deutlich – sensible Gemüter bitte weghören – mich kotzt die Scheinheiligkeit, die Verlogenheit und die Doppelmoral unserer Gesellschaft bei diesem Thema nur noch an.
Kinder am besten so früh wie möglich raus aus der Familie und hinein in die Massenbetreuung, in der alles mögliche, aber sicher keine individuelle Förderung (gähn)
geboten wird und dann erschrocken die Augen aufreißen und sich wundern, wenn es in einem personell unterversorgten, mehr auf Masse denn auf Klasse, ausgerichteten System nicht wie in Bullerbü zugeht.

Bayer
9 Monate zuvor
Antwortet  Marion

Viel zu früh, zu viel FrühFORderung statt FrüFÖRderung, liebe Marion.

Jeder, der päd. tätig ist, weiß, dass Kinder, früh überfordert, danach ein Leben lang am Nichtleistenkönnen/wollen knabbern.
Kita-KiGa-burnout ?

Anschließende Verweigerungshaltung, kein Bock auf….kennen alle LuL, nur ist oft dieser Hintergrund unklar. Dann noch leistungsüberambitionierte Eltern dazu – armes Kind !
Wir sehen an den beruflichen Schulen dann die unterschiedlichsten, leider zunehmend mehr die unschönen „Bildungsprodukte“ von 1 bis 15+ J.
Bin gerade dabei, einige Biographien zusammenzuschreiben……

Danke @ Marion, @ TaMu für die anschauliche Darstellung.

TaMu
9 Monate zuvor
Antwortet  Marion

Oh ja! Genau das konnte ich nicht mehr ertragen.