Wie weit geht die Meinungsfreiheit für Lehrkräfte? Rechtstreit um Corona-Kritik

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BERLIN. In welcher Form darf ein Lehrer die Corona-Politik und Äußerungen von Politikern kritisieren? Und wie weit darf er dabei mit Vergleichen zu Nazi-Verbrechen gehen, wenn er noch Lehrer bleiben will? Ein Gericht regte statt eines Urteils einen Vergleich an – der dann wohl auch geschlossen wird.

Das Gericht hat einen Vergleich angeregt. Foto: Shutterstock

Im Rechtsstreit um die Kündigung eines Lehrers wegen seiner Kritik an der Impfpolitik mit einem Nazi-Vergleich hat der Berliner Senat nachgegeben. Die Senatsschulverwaltung und der Berufsschullehrer einigten sich am Montag in der zweiten Instanz des Arbeitsgerichts nach längeren Diskussionen und Feilschen auf einen Vergleich.

Der 62-jährige Lehrer akzeptiert seine Kündigung «aus betrieblichen Gründen» bereits zum März 2022 und erhält 50.000 Euro Abfindung. Die Senatsschulverwaltung erklärt, «dass aus heutiger Sicht die Vorwürfe nicht weiter aufrecht erhalten werden». Weil es inzwischen eine neue Schulsenatorin in Berlin gibt, hat die Senatsschulverwaltung vier Wochen Zeit für einen möglichen Widerruf des Vergleichs.

Der angestellte Lehrer hatte während der Corona-Pandemie ein Video veröffentlicht, in dem das Tor eines Konzentrationslagers mit der Inschrift «Impfung macht frei» abgebildet war. Es folgte eine Ankündigung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU): «Impfen ist der Weg zur Freiheit». In einem anderen Video behauptete der Lehrer, die Corona-Impfpflicht habe schlimmere Folgen als die Regime von Hitler, Stalin und Mao.

Das Land Berlin kündigte dem Lehrer im August 2021, weil er die Impfpolitik mit dem Nazi-Regime gleichsetze, den Nationalsozialismus verharmlose und die Opfer missachte. Seitdem erhielt der Mann Arbeitslosengeld. In der ersten Instanz bestätigte das Arbeitsgericht im September 2022 die Kündigung. Dagegen klagte der Lehrer.

Die Anwältin des Senats betonte in der Verhandlung erneut, der Lehrer habe die staatliche Corona-Politik gleichgesetzt mit Nazis und KZs. Das sei nicht vereinbar mit seinen Dienstpflichten zur Aufklärung der Schüler über Staat und Demokratie. Auch eine Gleichsetzung von Impfungen mit den größten Verbrechen des 20. Jahrhunderts sei schlicht nicht tragbar in dem Lehrberuf.

Der Lehrer und sein Anwalt argumentierten, der Senat habe ein «Berufsverbot» wegen abweichender politischer Meinung verhängen wollen. Der Ruf des Lehrers in der Öffentlichkeit sei «brutal beschädigt» worden. Er habe nur die Äußerung Söders kritisieren und mit der Nazi-Polemik vergleichen wollen. Das sei durch das Recht auf freie Meinungsäußerung und Kunstfreiheit gedeckt.

«Eine Verharmlosung des Nazi-Regimes liegt völlig fern», sagte der Anwalt. Im Gegenteil gehe es bei dem Vergleich um eine scharfe und «feinsinnige Sprachkritik» der Söder-Äußerung und der Corona-Politik wegen Angst vor einem autoritären Staat, der die Grundrechte einschränken würde. Weder der Senat noch das Gericht müssten «die politischen Irrtümer eines Lehrers» oder dessen «Verschwörungstheorien» beurteilen, sondern feststellen, ob arbeitsrechtliche Verstöße vorliegen würden, sagte der Anwalt.

Arbeitsrichter Martin Wenning-Morgenthaler sagte während der Verhandlung, die teilweise von sehr kontroversen Debatten geprägt war, ein mögliches Urteil sei «nicht ganz so einfach» wie es die erste Instanz entschieden habe. Es gehe um Meinungsfreiheit, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und die Frage, ob für Lehrer andere Regeln gelten würden als für andere Menschen. Der Richter befürwortete dann einen Vergleich.

Der Anwalt des Lehrers forderte zunächst eine Kündigung erst zum Jahresende 2023 und 45.000 Euro Abfindung. Die Senatsseite startete mit einem Angebot einer deutlich früheren Kündigung und 39.000 Euro. Nach einigem Feilschen und Beratungen trafen sich beide Parteien bei dem vorgezogenen Kündigungstermin 2022 und auf Drängen des Richters bei der höheren Abfindungssumme von 50.000 Euro für den Verlust des Arbeitsplatzes.

Zudem soll die Senatsschulverwaltung gegenüber der Staatsanwaltschaft erklären, dass sie kein weiteres Interesse an der Verfolgung einer Strafanzeige gegen den Lehrer wegen Volksverhetzung hat. Dort war schon ein Strafbefehl gegen den Lehrer über 9000 Euro ergangen, der aber noch nichts rechtskräftig ist. Der Vergleich wird gültig, wenn bis zum 12. Juni kein Widerruf des Senats erfolgt. Andernfalls fällt am 15. Juni das Urteil. News4teachers

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