„Lesen und Schreiben lernen in der digitalisierten Gesellschaft“ – digitale Medien bieten auch Lernchancen

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KÖLN. Der Einfluss digitaler Medien auf die Lesefähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist komplex. Großen Gefahren stehen große Chancen gegenüber. Ein Faktencheck des Kölner Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache wagt sich an einen Überblick.

Um die Lesefähigkeiten deutscher Schülerinnen und Schüler scheint es nicht zum Besten zu stehen. Ob IQB-Bildungstrend oder IGLU, um nur zwei Beispiele zu nennen, die Befunde wirken regelmäßig alarmierend. Doch jenseits von IGLU-Schock und routinierter politischer Reaktionen auf die scheinbar dramatische Situation gibt es differenzierter Diskussionen um das Lesen- und Schreibenlernen Gesellschaft, in denen Fachleute erörtern, wie sich der zunehmende Einsatz von digitalen Medien auf die Lese- und Schreibkompetenzen von Kindern und Jugendlichen auswirkt, aber auch, ob sich diese Fähigkeiten mithilfe digitaler Medien fördern lassen. Mit einem neu erschienenen Faktencheck versucht das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln wissenschaftlich fundierte Antworten auf häufig gestellte Fragen zusammenzufassen.

Digitale Medien bieten eine Vielzahl von Lernchancen, doch es kommt auch auf die Rahmenbedingungen und die Zielgruppe an. Foto: Shutterstock

Unbestreitbar werde es immer wichtiger, Kinder und Jugendliche auch im Rahmen des Schulunterrichts an die Nutzung digitaler Medien heranzuführen. Kritikerinnen und Kritiker allerdings betonen dabei zumeist die beschriebene Gefahr, dass Schülerinnen und Schüler, die häufig digitale Medien nutzen, schlechter lesen und schreiben. Der neueste Faktencheck verdeutliche, so die beteiligten Forscherinnen und Forscher, dass es darauf auf Basis der aktuellen Literatur keine eindeutige Antwort gebe. „Vorliegende Studien zeigen, dass der Einfluss der Mediennutzung auf die Lese- und Schreibleistungen vor allem von der Intensität und Art der Mediennutzung abhängt. Insbesondere die unterhaltende Mediennutzung scheint sich eher negativ auszuwirken“, fasst Institutsdirektor Michael Becker-Mrotzek zusammen. Ein informatives Fernsehprogramm etwa könne aber durchaus zu verbesserten Lesegeschwindigkeits- und -verständnisleistungen führen.

Wenn Kinder grundlegende Fertigkeiten, etwa den Umgang mit der Tastatur oder dem Touchscreen erlernten, könnten digitale Medien das Schreiben wirksam unterstützen. Mehr noch könnten sie vor allem einen positiven Einfluss auf das Überarbeiten von Texten haben. Denn während das handschriftliche Überarbeiten oft umständlich sei, ließen sich beim Schreiben mit einer Textverarbeitungssoftware Sätze einfach verschieben, entfernen oder flexibel verändern, erläutert Ruth Görgen-Rein, Co-Autorin des Faktenchecks. „Digitale Medien bieten eine Vielzahl von Lernchancen. Es gilt dafür diejenigen digitalen Medien auszuwählen, die sich für die jeweilige Zielgruppe eignen“, so die Logopädin. Zum Beispiel könnten digitale Tools Kinder mit Schriftsprachschwierigkeiten durch die Nutzung der Sprachausgabe unterstützen: Hören sich Lernende ihre Texte wiederholt an, verbesserten sich diese im Hinblick auf die Textlänge, die Rechtschreibung, die Struktur und den Inhalt.

Immer wieder werde auch kontrovers diskutiert, ob es einen Unterschied macht, wenn Schülerinnen und Schüler auf dem Papier oder am Bildschirm lesen. Während sich die Wortleseflüssigkeit der Kinder auf dem Papier kaum von der am Bildschirm unterscheide, kämen Studien zu dem Schluss, dass Lesende analoge Texte besser verstehen als digitale. Dabei spielten die Textlänge, die Textsorte und die Lesezeit eine entscheidende Rolle. „Ziel sollte es daher sein,“, stellt Görgen-Rein fest, „Schülerinnen und Schüler darin zu unterstützen, sich zu kompetenten Lesenden in beiden Formaten zu entwickeln“.

Der Faktencheck umfasst auch konkrete Hinweise, wie Lehrerinnen und Lehrer digitale Medien im Unterricht für die Lese- und Schreibförderung einsetzen können. „Mithilfe meist spielerischer Lernprogramme lassen sich bestimmte Inhalte festigen – zentral ist dabei, dass die Lehrkräfte diese vorher im Unterricht eingeführt haben“, betont Viktoria Michels, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Mercator Institut und ebenfalls Mitautorin des Faktenchecks. Lehrkräfte könnten mit Lernprogrammen den Schülerinnen und Schülern ein Lernangebot bereitstellen, das an deren individuelle Lernvoraussetzungen angepasst ist. Auch digitale Anwendungen ohne einen ausgewiesenen Sprachbildungsbezug können die Lese- und Schreibkompetenzen der Lernenden fördern: Interaktive, webbasierte Whiteboards und Pinnwände beispielsweise könnten helfen, Schreibideen zu sammeln und zu ordnen oder auch um Gelesenes zu veranschaulichen und zusammenzufassen. (zab, pm)

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