Prozess: Warum der Stufen-Beste am Gymnasium plötzlich auf Mitschüler einstach

9

WUPPERTAL. Er war Stufen-Bester am Gymnasium, doch plötzlich soll er mit einem Messer auf Mitschüler losgegangen sein. Nun steht der Jugendliche in Wuppertal unter dem Verdacht des versuchten Mordes vor Gericht.

Das Gericht muss entscheiden. Foto: Shutterstock

Ein halbes Jahr nach einer Messerattacke mit mehreren Verletzten an einem Wuppertaler Gymnasium hat der Prozess gegen einen Oberstufenschüler wegen vierfachen versuchten Mordes begonnen. Der Jugendstrafprozess gegen den 17-Jährigen findet am Wuppertaler Landgericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Verteidiger Mustafa Kaplan sagte vor Prozessbeginn, der Jugendliche bestreite die Tat nicht und habe das auch nie getan. Es sei klar, dass er sie begangen habe. Aus seiner Sicht als Anwalt habe es sich aber um gefährliche Körperverletzung gehandelt, nicht um versuchten Mord. Darum werde es in dem Prozess gehen.

Anklage geht von verminderter Schuldfähigkeit aus

Zum Tatmotiv wollte sich der Verteidiger nicht äußern. Er wolle der Beweisaufnahme im Prozess nicht vorgreifen. Bei seinem Mandanten handele es sich um einen hochintelligenten, etwas in sich gekehrten Menschen. Inzwischen lägen zwei exzellente psychiatrische Gutachten vor.

Die Anklage geht von deutlich verminderter Schuldfähigkeit des 17-Jährigen aus. Was diese verursacht habe, wollte eine Gerichtssprecherin mit Hinweis auf das Alter des Angeklagten nicht sagen. Das Gericht hat für den Prozess zehn Verhandlungstage angesetzt.

Schulleiterin gegen Rückkehr

Schulleiterin Claudia Schweizer-Motte sagte, die Schüler gingen sehr unterschiedlich mit der Tat um. Für einige sei sie Vergangenheit, andere seien noch in Behandlung. Sie könne sich aber nicht vorstellen, den Angeklagten bald wieder als Schüler zu begrüßen. «So sehr ich ihm persönlich wünsche, dass er seine Schullaufbahn fortsetzen kann, Abitur machen kann und gegebenenfalls auch ein Hochschulstudium: Das wäre nicht gut und auchdefinitiv ein falsches Signal.»

Laut Anklage hat er seine Mitschüler in einem Pausenraum plötzlich und unvermittelt mit einem Messer angegriffen und sich anschließend die Klinge selbst in die Brust gerammt. Die Schule hatte Amok-Alarm ausgelöst. Schwer bewaffnete Polizisten hatten am 22. Februar die Schule abgeriegelt und durchkämmt. Das Gebäude wurde evakuiert. Die nicht verletzten Schüler waren zunächst in der nahegelegenen Stadthalle untergebracht und später ihren Eltern übergeben worden.

Angeklagter hatte selbst die schwersten Verletzungen

Während es zunächst hieß, mehrere Opfer lägen schwer verletzt auf Intensivstationen, war später nur noch von leichten Verletzungen die Rede. Die Stiche oder Schnitte in Hals, Nacken und Kopf der Opfer, die in der Anklage erwähnt werden, scheinen somit nicht tief gewesen zu sein. Die vier Angegriffenen konnten schon am nächsten Tag wieder in die Schule gehen.

Die schwersten Verletzungen soll sich der Angeklagte selbst zugefügt haben. Drei weitere Betroffene erlitten beim Anblick des Geschehens Schocks. Obwohl er bereits entwaffnet war und sich beruhigt hatte, soll der 17-Jährige die Einsatzkräfte der Polizei angegriffen haben, als er sie erblickte. Dennoch sei er ohne den Einsatz einer Schusswaffe überwältigt und festgenommen worden, hieß es damals.

Einser-Schüler

Der Gymnasiast war zuvor vor allem positiv aufgefallen: als besonders fleißiger Einser-Schüler und Stufen-Bester. Die Schulleiterin hatte berichtet, sie habe den 17-Jährigen nach der Tat weinend im Arm eines Kollegen vorgefunden.

Der Jugendliche sitzt seit seiner Entlassung aus dem Krankenhaus in Untersuchungshaft und schweigt zu den Vorwürfen. Nach seiner Festnahme wollte er sich nicht von einem Psychiater untersuchen lassen. Ein Sachverständiger war dennoch zu dem Schluss gekommen, dass Anhaltspunkte für eine psychiatrisch relevante Erkrankung vorlägen. Von Wolfram Lumpe und Frank Christiansen, dpa

Nach Wuppertal: Sorge über Gewalt unter Schülern wächst – mehr Brutalität, bis hin zum Messereinsatz

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

9 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Unfassbar
1 Monat zuvor

Der Anwalt ist eine sehr interessante Personalie. Der hat schon so prominente Mandate angenommen, dass man sich fragen kann, weshalb er diesen Täter vertritt.

Mustafa Kaplan: “Ich habe keinen einzigen Fall abgelehnt, weil er zu grausam war” | ZEIT Arbeit

RainerZufall
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Ihr erster Impuls war den Anwalt zu googlen? War es der Vorname??

Aber da selbst die Anklage von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgeht, sollten Sie Ihre Vermutungen vielleicht noch bis nach dem Urteil zurück halten 😉

A.M.
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Danke für den Link. Es ist mir unbegreiflich, dass Rainer Zufall Ihnen unterstellt, eine Vermutung aufgestellt zu haben und dann von Ihnen auch noch Zurückhaltung erwartet, anstatt dies mal selbst zu beherzigen.

RainerZufall
1 Monat zuvor
Antwortet  A.M.

Zugegeben, wahrscheinlich googelte Unfassbar auch Anklage und Richter, garantiert 😉

TaMu
1 Monat zuvor

Stiche und Schnitte in Hals, Nacken und Kopf… scheinen nicht tief gewesen zu sein… die Angegriffenen konnten schon am nächsten Tag wieder zur Schule gehen.
Habe nur ich das große Grausen, wenn ich diesen Satz lese?
Ich meine, wenn man sich Kratzer am Kopf holt, weil man dummerweise in eine Brombeerhecke fällt, kann man wohl am nächsten Tag arbeiten.
Wenn die Verletzungen aber bewusst mit einem Messer zugefügt wurden, hat das eine enorme psychische Komponente, so nah an Augen, Ohren, Halsschlagader. Das ist Stoff für Alpträume, für die Opfer und für die Eltern und Familie. Da kann man doch nicht einfach so drüber hinweg huschen… oder ist das ein Härtetest vor den Mitschülern? Bloß nicht schwach erscheinen? Vom Pferd fallen und gleich wieder aufsteigen? Hauptsache, sie sind am nächsten Tag wieder in der Schule erschienen. Also alles halb so schlimm?

A.M.
1 Monat zuvor
Antwortet  TaMu

Was Sie schreiben ist eigentlich so klar, dass es nicht zwingend Teil einer Presseberichterstattung sein muss, obwohl ein entsprechender Hinweis ein Bild vervollständigt hätte. Aber dass die Messerstiche zum Glück nicht noch tiefer gingen und die Selbstverletzungen schwerer waren, das ist eine wichtige Information zum Verhalten und zur Verfassung des Täters.

“Die Schulleiterin hatte berichtet, sie habe den 17-Jährigen nach der Tat weinend im Arm eines Kollegen vorgefunden.” Der Lehrer, der den Mut und die Empathie hatte, die körperliche Nähe zum Täter zuzulassen, hat Menschlichkeit bewiesen und hoffentlich in der schockierenden Situation Schülern signalisieren können, dass der Gewaltausbrauch vorbei und ihr Mitschüler jetzt hilflos und verzweifelt ist.

Nach so einem Vorfall wird bestimmt nicht schleunigst “zur Tagesordnung” übergegangen (obwohl auch dieser Schritt wichtig ist!). Die Schulleiterin hat auch klargestellt, dass sie sich nicht vorstellen kann, den jungen Mann bald wieder als Schüler an der Schule zu begrüßen. Über die Grenzen des Zumutbaren für Lehrer und Mitschüler wird also gedacht.

TaMu
1 Monat zuvor
Antwortet  A.M.

Da stimme ich Ihnen zu. Ich habe unten auf H.F. geantwortet, dass es mir mehr darum ging, wie im Artikel darüber geschrieben wurde.
Ich finde ebenfalls, dass die Schule und der Lehrer sehr emphatisch mit allen Beteiligten umgegangen sind.

H. F.
1 Monat zuvor
Antwortet  TaMu

Ich hatte mal einen heftigen Autobahnunfall, bei dem mir mit sehr viel Glück nichts passierte. Ich hätte auch auf die Gegenfahrbahn geschleudert werden und tot sein können. Anschließend bin ich mit dem Leihwagen nachhause gefahren, abends zum Sport und am nächsten Tag wieder auf Arbeit.

Jeder geht anders mit solchen Situationen um und man sollte niemanden zwingen, sich ohne Not länger damit zu beschäftigen, als einem guttut. Das hat auch etwas mit Rationalität zu tun: was nutzen einem Angst/Sorgen/Alpträume im nachhinein? Nichts. Freuen Sie sich doch für das Kind!

TaMu
1 Monat zuvor
Antwortet  H. F.

Das stimmt natürlich, dass jede/r den eigenen Umgang mit schwierigen Situationen hat und das auch gut ist.
Für mich hörte es sich im Text aber so an wie „es ist ja den vom Überfall betroffenen Jugendlichen nichts Schlimmes passiert“, nur weil die Schnitte nicht tief waren. Da hat mir die Empathie mit den wenn auch nur leicht Verletzten gefehlt. Es wird zurecht so viel Wert auf respektvollem verbalen Umgang miteinander gelegt, dass es mich erschreckt hat, wie zumindest im Artikel oben über die Opfer eines körperlichen Angriffs berichtet wurde.
Für mich ist es auch ein Unterschied, ob jemand einem anderen Menschen bewusst körperlichen Schaden zufügt, oder ob ein Unfall oder eine Krankheit zugestoßen ist. Ich konnte ebenfalls nach einem schweren Unfall relativ leicht verletzt am nächsten Tag normal weiter machen. Da wir aber so viel Wert auf wertschätzenden Umgang legen bis hin zur gesprochenen und geschriebenen Sprache, hat mir dieser Aspekt zumindest im Artikel gefehlt. Es würde zurecht einen shitstorm geben, wenn jemand bei einem bewusst angewandten NoGo-Wort öffentlich argumentieren würde, es sei doch „nur ein Wort“ gewesen. Genauso wenig gehen bei mir „ein paar leichte Schnitte“.
Davon abgesehen, wie ich den Text empfunden habe, bin ich sehr erleichtert, dass die betroffenen Jugendlichen anscheinend gut mit dem Erlebten umgehen konnten und sich in ihrer Schule aufgefangen und sicher fühlen.