Sozialarbeiter: Schüler mit Angststörungen gibt es mittlerweile fast in jeder Klasse

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FREIBURG. Schon Grundschüler tragen große Probleme mit sich herum. Die Ursache können auch die Eltern sein. Was Schulsozialarbeiter darüber sagen.

Die Sorgen der Erwachsenen verunsichern die Kinder (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Traumatische Erlebnisse, Angststörungen oder Mediensucht: David Leiser ist Schulsozialarbeiter an einer Freiburger Grundschule und mit den Problemen von jungen Menschen tagtäglich konfrontiert. Immer mehr Kinder seien betroffen, sagt er. Und das immer früher.

Dass Angststörungen an Grundschulen und weiterführenden Schulen zunehmen, sei ein landesweites Phänomen, sagt Heike Witzemann, Vorständin beim «Netzwerk Schulsozialarbeit Baden-Württemberg». Nach einer Statistik des KVJS, dem Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg, wird ein Viertel aller angestellten Schulsozialarbeiter in Baden-Württemberg an Grundschulen eingesetzt.

«Wir als Schulsozialarbeiter sind nicht zuständig, Angststörungen zu behandeln. Dafür sind Psychotherapeuten notwendig»

Witzemann, die in Lauffen am Neckar im Landkreis Heilbronn arbeitet, hat nach eigenen Angaben fast in jeder Klasse junge Menschen mit Angststörungen: «Mal mehr, mal weniger.» Diese erhöhten Zahlen sind ihren Angaben zufolge unter anderem Nachwirkungen der Schulschließungen während der Corona-Pandemie. Dazu trügen aber ebenso die vielfältigen Sorgen der Erwachsenen und schlechte Nachrichten bei. Auch für Leiser war die Corona-Pandemie ein «Wendepunkt» – und habe vieles verschärft. Als Schulsozialarbeiter müsse man nun deutlich mehr Einzelfallhilfe statt Gruppenangebote anbieten.

Auch die Sorgen der Eltern spielten eine große Rolle, sagt Leiser. Der gesellschaftliche Wandel etwa oder der Nahostkonflikt führten auch bei den Erwachsenen zu Verunsicherung. Diese überträgt sich dann auf die Kinder, so der Schulsozialarbeiter. Auch Fluchtgeschichten könnten eine Rolle spielen. Man müsse alle Schüler im Blick haben und schauen, wie es ihnen persönlich geht, insbesondere auch mit der Situation zu Hause.

Hoher Medienkonsum spiele ebenfalls eine Rolle, ergänzt Leiser. Während Corona hätten Eltern ihre Kinder vor dem Handy «geparkt», jetzt müssten sie in der Schule das Smartphone beiseitelegen. Das führe bei den Kindern zu weniger Geduld und Frustration.

Die Anzahl von Kindern, die eigentlich außerschulische Unterstützung braucht, habe extrem zugenommen, erklärt Simone Müller-Morath. Sie leitet den Bereich Schulsozialarbeit beim Caritasverband Freiburg-Stadt. Das hänge auch damit zusammen, dass es viele kleine Probleme gebe. «Wie gehe ich mit meinen Mitschülern und Konflikten um, wie regle ich einen Streit?» Dadurch würden Kinder ebenfalls unsicher werden und sich in der Schule nicht wohlfühlen – schlimmstenfalls führe das dann zu Angststörungen.

Das Problem dabei: «Wir als Schulsozialarbeiter sind nicht zuständig, Angststörungen zu behandeln. Dafür sind Psychotherapeuten notwendig», sagt Witzemann. Schulsozialarbeiter sind Sozialpädagogen und könnten Kinder und Jugendliche mit Angststörungen nur mit «Laienwissen» betreuen. Stattdessen bräuchten die Kinder außerschulische Unterstützung von Therapeuten.

Eine 2022 veröffentlichte Statistik des KVJS zeigt, dass mehr als 55 Prozent der Schulsozialarbeiter während der Corona-Pandemie Aufgaben übernommen hätten, die klassischerweise nicht zu den Aufgaben ihres Berufes gehören. Nach den Erfahrungen von Leiser hat sich das bis heute nicht verändert.

«In Zukunft muss es eine enge Verzahnung zwischen Therapeuten und Schulsozialarbeitern geben»

An Freiburger Schulen gibt es seit Anfang Mai ein neues Vorhaben: Das sogenannte Pusch-Projekt, um Schülerinnen und Schüler bei psychischen Belastungen gezielt zu unterstützen. Dabei werden Schultherapeuten an zehn Schulen eingesetzt. Sie sei die «Ärztin für Gefühle» – so beschreiben die Kinder eine neue Therapeutin, erzählt Leiser. Das Projekt soll bis nächsten Sommer getestet werden. Bezahlt wird es von der Stadt Freiburg.

Übergangsweise sollen die Kinder und Jugendlichen durch die Schultherapeuten betreut werden, bis sie einen Therapieplatz bekommen. Denn darauf müssen viele lange warten. Für Leiser ist klar: In Zukunft müsse es eine enge Verzahnung zwischen Therapeuten und Schulsozialarbeitern geben. Nur so könne man den gestiegenen Anforderungen gewappnet entgegentreten. Von Björn Strasser, dpa

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Karl Heinz
11 Tage zuvor

Wieder ein schönes Beispiel, wie richtige Befunde mit sinnfreien Erklärungen vermischt werden.

Kinder wurden schon vor corona am Handy geparkt.
Viele Kinder wachsen in direkter Konkurrenz zum Smartphone auf – weil das Gerät mehr Aufmerksamkeit der Erwachsenen erhält als das Kind, welches bestenfalls damit fotografiert wird.

Das sich der Nahostkrieg auf die Kinder auswirkt, halte ich ebenfalls für weniger wahrscheinlich. Nachrichten werden ja kaum mehr geschaut.
Wobei das sicher von Milieu abhängig ist.
Da wiederum habe ich zunehmend den Eindruck, dass gerade die bildungsbürgerlichen Milieus ihren Zöglingen zwar materiell vieles ermöglichen – gleichzeitig die Freizeit der Kinder mit aberwitzig vielen Hobbys zu überfordern und selber kaum mehr in der Lage sind dem eigenen Nachwuchs familiäre Wärme und Geborgenheit zu bieten.
Keine Zeit. Niemand daheim.
Leistung muss erbracht werden.

Indra Rupp
11 Tage zuvor
Antwortet  Karl Heinz

Es müsste eigentlich nicht “Corona ist Schuld” heißen, sondern die durch Corona gestiegene Aggressivität, Angst, Verunsicherung, politische Auseinandersetzung, ect Zündstoff bei den Erwachsenen hat sich auf das Wohlbefinden der Jugend übertragen. Ansonsten wären verlängerte Ferien nämlich einfach nur toll!

Ukulele
9 Tage zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Sie möchten Corona-Maßnahmen doch nicht ernsthaft mit verlängerten Ferien gleichsetzen, oder?

Lisa
10 Tage zuvor
Antwortet  Karl Heinz

Bei dem Nahostkrieg möchte ich widersprechen. Ganz großes Thema bei einigen arabischen Jugendlichen, die sich eben mit einer Seite identifizieren und solidarisieren. Ihre Kenntnisse haben sie jedoch nicht aus den Nachrichten.
Der Ukraine Krieg hat die Kinder hierzulande zuvor auch erschreckt, schon durch die Nähe und die vielen Bilder und auch durch das Imho verantwortungslose Gerede, dass Putin auch plante, Deutschland anzugreifen.

Lisa
10 Tage zuvor
Antwortet  Redaktion

Ich rede nicht von Cyberangriffen, diese sind natürlich real. Aber das Szenario, dass Putin mit der Armee erst Polen und dann Deutschland erobert, ist noch unwahrscheinlich.
Damit spreche ich nicht gegen militärische Ausrüstung unsererseits. Leider ist Katastrophisieren jedoch zu einem Mittel geworden, eine bestimmte Politik durchzusetzen.
Und das beeinträchtigt Kinder ( und auch alte Menschen um die 80), die letzte Zeit gibt es Kriegsangst, ja.

Lisa
10 Tage zuvor
Antwortet  Redaktion

Und doch verließ der Besucher Lübeck nach diesem Wochenende vor allem mit der Frage, ob die Welt mehr Hans Castorps brauche oder mehr ­Joachim Ziemßens, mehr solcher Menschen also, die ungebunden reflektieren, oder solcher, die wie Castorps Vetter entschlossen für eine Sache einstehen?

https://www.faz.net/aktuell/feuilletonbuecher/100-jahre-zauberberg-von-thomas-mann-brauchen-wir-mehr-hans-castorps-110018786.html

Ukulele
9 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

Wenn man sehen möchte, wie die Kinder die solche Konflikte erleben, sollte danach in sozialen Medien wie Tiktok suchen.

Kinder rund Jugendliche beziehen die Nachrichten aus ganz anderen Quellen als die meisten Eltern und Lehrer.

Ale
9 Tage zuvor
Antwortet  Ukulele

Einspruch: die Spaltung funktioniert, auch unter den Lehrern. Folgende “Infos” höre ich immer wieder von Kollegen:

  • geimpfte dürfen in Neuseeland nicht mehr Blutspenden
  • alle Studien sind gefälscht
  • es gab 100.000de Impfschäden
  • Russland wollte das “Nazi-Regim” in der Ukraine stellen
  • die EU will uns unterdrücken und arm machen

Die, die damals bei Corona gesagt haben, dass man akzeptieren soll, dass Corona vorbei ist, ist die Gruppe, die mit diesem Thema (von wegen man soll damit abschließen) und dem Ukrainekrieg und EU Gesetzen massiv Spaltung betreibt. Es werden Änsgte geschürt (letztes Jahr: der Strompreis wird durch die Decke gehen …). Ebenso das die AFD “den Ministerpräsidenten” als stärkste Kraft stellen muss (wenn ich an Kemmerich erinnere wird das Thema gewechselt). Man sucht sich heute die Informationen, die zu einem passen habe ich den Eindruck. Und darin sehe ich massiv die Gefahr und eine gezielte Spaltung der Gesellschaft.

RainerZufall
11 Tage zuvor

“Auch Fluchtgeschichten könnten eine Rolle spielen.”

Oder die Angst vor Abschiebungen in ein, den Kindern teils unbekanntes, Kriegsgebiet, wie es (fast) alle Parteien inzwischen fordern…

Evva
11 Tage zuvor

Angst- und Suchterkrankungen sind häufig Folge von traumatischem Erleben. Es handelt sich um Schutzmechanismen, also die Sucht erfüllt eine Funktion ( ermöglicht das Überleben in einem kranken Umfeld) , bzw. die Angst erfüllt eine Funktion ( Schutz vor etwas) .
Es gilt zu schauen was dahinter steckt und das findet viel zu wenig statt, da wird nämlich weggeschaut. Wir haben es mit Formen von psychischer Gewalt zu tun, der diese Kinder ausgesetzt sind, in erster Linie in den Elternhäusern, aber auch durch psychisch kranke Lehrkräfte und Mitschüler in den Schulen.

Lisa
10 Tage zuvor

Diesmal wirklich Corona bzw die Maßnahmen, ja. Ich kenne Jugendliche und Erwachsene, die seitdem an Agoraphobie leiden und Angst haben, aus dem Haus zu gehen. Andere haben eine soziale Phobie entwickelt. Eine zumindest am Anfang unberechenbar tödliche Seuche ist auch etwas Unheimliches. Auch ich zucke noch zusammen, wenn jemand im Supermarkt hustet oder niest, das gebe ich zu.
Dieses Phänomen mit mehr Angsterkrankungen ist weltweit aufgetreten. Ich weiß auch nicht, ob immer Therapie notwendig ist oder einfach einmal etwas Ruhe, eine überschaubare Welt mit überschaubaren Anforderungen.
Mir kommt gerade der Gedanke, dass evtl auch die gestiegene Gewalt mit Angst zusammen hängt. Jedes Individuum reagiert anders auf Angst. Mancher glaubt, wenn er Angst macht, kommt die Angst nicht an ihn heran.

Lehrlicht
9 Tage zuvor
Antwortet  Lisa

Ein Problem ist wohl eher, dass Menschen die Fakten Angst bereiten, sodass sie es vorziehen zu verdrängen.