“Situation hat sich verschärft”: Jeder fünfte Jugendliche von Armut bedroht

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Armut nimmt jungen Menschen Chancen – und betrifft jeden vierten jungen Erwachsenen in Deutschland. Das geht aus dem «Monitor Jugendarmut in Deutschland» hervor, den die Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) in Düsseldorf vorstellte. In der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen lag die sogenannte Armutsgefährdungsquote demnach 2023 bei 25 Prozent. Bei den unter 18-Jährigen betrug sie rund 21 Prozent. 

Mehr als zwei Drittel der deutschen Jugendlichen sorgen sich laut dem Bericht davor, mit ihren Familien in Armut leben zu müssen. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Die Armutsgefährdungsquote gibt den Anteil der Bevölkerung an, der mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens auskommen muss. 2023 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland nach Steuern und Sozialabgaben bei 1.310 Euro im Monat. Bundesweit waren 2023 knapp zwölf Millionen Menschen armutsgefährdet. Mehr als zwei Drittel der deutschen Jugendlichen sorgen sich laut dem Bericht davor, mit ihren Familien in Armut leben zu müssen.

Viele Sorgen um Wohnraum

Der Verband betonte, dass Armut für Jugendliche mit großen Ängsten verknüpft ist. Jeder zweite Auszubildende sowie zwei Drittel der Studierenden in Deutschland galten 2023 als «durch Wohnkosten überlastet». Das bedeutet, dass sie mehr als 40 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen verwenden mussten. 40 Prozent aller Wohnungslosen, die 2024 in Einrichtungen untergebracht waren, waren jünger als 25 Jahre.

«Die Situation hat sich verschärft», sagte Matthias Marienfeld, ehemaliger Leiter des Don-Bosco-Clubs Köln. Der Verein begann mit einem Freizeit- und Lernangebot für Kinder und bietet mittlerweile auch Schlafplätze für junge Obdachlose an. «Wir sind nur die Antwort auf die Not», berichtete Marienfeld.

Der soziale Wohnungsbau müsse deutschlandweit deutlich vorangehen, forderte der Verband im Bericht. Die Bundesarbeitsgemeinschaft schlug zudem Bürgerforen oder vergleichbare Formate vor, über die sich auch Armutsbetroffene an der Stadtplanung beteiligen könnten.

Wie mobil sind arme Jugendliche?

Unterwegs zu sein, stelle arme Jugendliche ebenfalls vor Herausforderungen, hieß es. Die Preise für die Anschaffung eines Fahrrads oder den Erwerb eines Führerscheins seien in den vergangenen Jahren gestiegen. Das Deutschlandticket habe den öffentlichen Nahverkehr zwar erschwinglicher gemacht. Dass das Ticket mittlerweile nur noch digital verfügbar sei, schließe Menschen ohne Handys oder Bankkonto jedoch systematisch aus.

Der Verband kritisierte außerdem die jüngste Preiserhöhung auf 58 Euro pro Monat und warb für ein bundesweit gültiges Jugendticket. Das solle kostenfrei oder zumindest stark vergünstigt sein. In ländlichen Regionen sei es notwendig, den Nahverkehr auszubauen.

Strukturelle Folgen von Jugendarmut

Über die materiellen Aspekte hinaus habe Armut weitreichende Folgen, warnte die Bundesarbeitsgemeinschaft – etwa für den Bildungsweg und die Gesundheit von Jugendlichen. «Sie müssen schon früh lernen, dass sie auf Entwicklungschancen verzichten müssen», sagte der Verbandsvorsitzende Stefan Ottersbach. Wer seine Familie finanziell unterstützen müsse, könne sich weniger um die eigene Ausbildung kümmern.

Auch bei der Medienkompetenz und beim Finanzwissen entstehen den Experten zufolge oft große Lücken. Strukturelle Benachteiligung sei ein Grund, warum arme Jugendliche auch das Vertrauen in die Demokratie verlieren. Armutsgefährdete Menschen nehmen seltener an Wahlen teil, wie der Verband betonte.

Verband will Grundsicherung für junge Menschen

Es brauche endlich eine bundesweite Strategie gegen Jugendarmut, sagte Ottersbach und forderte eine unbürokratische Grundsicherung für Kinder und Jugendliche. Als Vorhaben der ehemaligen Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP war eine Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag verankert worden. Mit dem Scheitern der Koalition kam das Gesetz jedoch nicht mehr zustande.

«Die Zahlen belegen: Auch unter der Regierung aus SPD, Grünen und FDP ging es beim Thema Kinderarmut kein Stück vorwärts», kommentierte die Linken-Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl, Heidi Reichinnek. Neben einer Grundsicherung seien auch «massive Investitionen in Kitas und Schulen» gefragt.

Für den Bericht hat die BAG KJS vorliegende Daten des Statistischen Bundesamtes sowie aus verschiedenen Studien ausgewertet. Von Rabea Gruber, dpa

Kinderarmut auf Rekordniveau – Jeder fünfte Schüler in Deutschland ist betroffen

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Rainer Zufall
3 Monate zuvor

Eines der reichsten Länder der Welt …

Besseranonym
3 Monate zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

😉 ” Scheiß aufs BIP ? ”

https://katapult-magazin.de/de/artikel/scheiss-aufs-bip

Ausschnitt:
“Das Ziel progressiver Wirtschaftspolitik sollte also eher das gesellschaftliche Wohlergehen und nicht mehr allein kontinuierliches Wirtschaftswachstum sein.

Statt des BIPs sollten eher Indikatoren wie Lohngleichheit, Zufriedenheit der Kinder, Zugang zu Grünflächen und bezahlbarem Wohnraum gemessen werden.”

Im Artikel wird aufgezeigt, wie einige Länder zu dieser Auffassung kamen und beachtliche Erfolge aufweisen können.

Rainer Zufall
2 Monate zuvor
Antwortet  Besseranonym

Danke für den Link

Nick
3 Monate zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

In den anderen reichen Ländern läuft es besser?

Realist
3 Monate zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Armutsmigration führt zu mehr Armut im Land. Dazu braucht man keine Studie.

Besseranonym
3 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Bitte erklären, steh auf der Leitung.
Meinen Sie wirklich, der Staat würde alles, was für Unterstützung von Migranten aufgewendet wird, ohne Migration in Beseitigung der Kinderarbeit ( bessere Versorgung in Bildung, Gesundheitssystem, …..)
stecken ? – wonderland ohne Alice ?

Realist
3 Monate zuvor
Antwortet  Besseranonym

Wenn in ein “reiches Land” ((c) A.M.) Millionen von Menschen einwandern, die nicht so “reich” sind, erhöht sich automatisch die Quote der “Armen”. Das ist reine Mathematik.

Rainer Zufall
2 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Eigentlich nicht.
In der Einöde vielleicht, aber in einem funktionierendem Staat haben wir Bildungseinrichtungen, einen Arbeitsmarkt und eine Grenze zur relativen/ absoluten Armut, die eben nicht “automatisch” unterschritten wird.

Was kommt als Nächstes? Wird Ihnen das Land zu arm, weil immer mehr Menschen in Rente gehen? (augenroll)

Besseranonym
3 Monate zuvor
Antwortet  Realist

* Kinderarbeit muss KINDERARMUT heißen

Rainer Zufall
2 Monate zuvor
Antwortet  Realist

Ach die Ausländer sind schuld. Ich hatte schon befürchtet, die WICHTIGEN Jugendlichen wären von Armut bedroht. Puh! (augenroll)

Andreas
3 Monate zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Nicht wirklich oder zumindest nicht mehr. Sie gelten mit einem Lehrergehalt schon als so reich, dass Sie zu den oberen 10% gehören.

Besseranonym
3 Monate zuvor
Antwortet  Andreas
Rainer Zufall
2 Monate zuvor
Antwortet  Andreas

Haben Sie irgendwelche Referenzwerte, an denen ich mich orientieren kann?
Waren die Lehrergehälter früher höher/ niedriger, dass Deutschland früher reicher war?

Lisa
3 Monate zuvor
Antwortet  Rainer Zufall
Rainer Zufall
2 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Ist politisch so gewollt.
Oder denken Sie ernsthaft, dies würde die Bürger*innen bei der nächsten Wahl umtreiben?
Was ist mit Migration und wokeness? 😛

Wir verballern das Geld ineffizient und kontraproduktiv.
Welches Land (das sparen muss) investiert sonst in klimaschädliche und -freundliche Subventionen, will Verbrenner garantieren, die garantiert niemand auf den großen Märkten kaufen will, bremmst die Anerkennung von Abschlüssen trotz Fachkräftemangels ab oder fordert einen Migrationsstopp bzw. spart in der Bildung, obwohl uns jährlich tausende Service- und Fachkräfte fehlen werden?

Lisa
3 Monate zuvor
Antwortet  Rainer Zufall

Tut mir Leid, eben ist der Artikel hinter der Bezahlschranke verschwunden. 🙁

Lisa
3 Monate zuvor

Der Markt richtet nicht alles. Zumindest nicht die Wohnungsnot. Aber viele, die gewarnt haben, als man die neoliberale Privatisierungs – Sau durchs Dorf trieb, wurden nicht gehört. Leider war auch unsere SPD Avantgarde der Privatisierung von Wohnraum. Österreich ging da einen anderen Weg,: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/wien-wohnen-sozialer-wohnungsbau-100.html

Rainer Zufall
2 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Diese Zeit ist aber hier und dort vorbei.
Die Ministerin zuckte müde mit den Schultern, dass Bauen teurer wurde (wird GARANTIERT wieder günstiger…) und jetzt interessierten sich Österreich und Deutschland viel mehr fürs Abschieben und weniger Migration.

Bald wird dann endlich Wohnraum frei in diesen wunderschönen Wohncontainern 😉