MÜNSTER. Das Schreiben mit der Hand wird oft als altmodisch abgetan –insbesondere in einer Welt, in der vieles per Klick oder mit einem Wisch auf einem digitalen Display erledigt werden kann. Der internationale Tag der Handschrift am 23. Januar erinnert nun daran, dass diese grundlegende Kulturtechnik kein Relikt der Vergangenheit ist, sondern auch im digitalen Zeitalter nicht an Bedeutung verliert. Weshalb das so ist und warum es einen Zusammenhang zwischen Rechtschreibung und Handschrift gibt, weiß Prof. Friedrich Schönweiss, Gründer des Lernserver-Instituts.

Die Handschrift als Schlüssel zur Bildung und Persönlichkeitsentwicklung
Schreiben mit der Hand ist weit mehr als das bloße Festhalten von Gedanken. Es bildet das Fundament eines souveränen Umgangs mit Sprache und Schrift, ist Voraussetzung auch für digitales Schreiben und fördert ganz nebenbei noch vernetztes Denken, Feinmotorik und Gedächtnis. Prof. em. Friedrich Schönweiss, Gründer des Lernserver Institut erklärt: „Sicherheit in der Handschrift ist entscheidende Voraussetzung dafür, dass Sprache, und somit auch unser Denken, überhaupt in eine Struktur gebracht werden kann. Das Schreiben mit der Hand ist deshalb notwendiger Bestandteil auch des Rechtschreiberwerbs. Nicht umsonst heißt es ‚Von der Hand in den Kopf‘.“
Eine aktuelle Studie aus Norwegen, durchgeführt von Hirnforscherin Audrey van der Meer, bestätigt: Kinder, die von Hand schreiben, haben eine stärkere Gehirnaktivität als solche, die ausschließlich tippen. Dieser Vorteil zeigt sich insbesondere in der Schule, wo das Handschreiben die Grundlage für erfolgreiches Lernen und die Entwicklung eines tiefen Textverständnisses bildet.
Handschrift und Rechtschreibung: Zwei Seiten derselben Medaille
Ein gutes Schriftbild steht auch in Zusammenhang mit sicheren Rechtschreibkenntnissen. „Beispielsweise bei der Groß-Kleinschreibung sieht man schön, dass es beim Schreiben auf Eindeutigkeit ankommt. Es muss zu erkennen sein, ob es sich um einen Klein- oder Großbuchstaben handelt. Jeder Schreiber benötigt eine möglichst klare Kenntnis vom Kern der einzelnen Zeichen. Auf dieser Basis kann dann eine eigene, ganz individuelle Handschrift entstehen.“, so Prof. Schönweiss.
Eine flüssige Handschrift dient aber nicht nur der Leserlichkeit, sondern geht Hand in Hand mit einer automatisierten Rechtschreibung. All diese Teilbereiche des Schreibens, zu denen auch Wortschatz und Ausdruck zählen, sind miteinander verzahnt und sollten nicht isoliert betrachtet werden, betont der Bildungswissenschaftler: „Uns geht es deshalb immer darum, die Freude an der Schriftsprache als solcher zu vermitteln, und weder die Handschrift noch die Rechtschreibung als reine Trainingsgegenstände zu verstehen.“
Viele Kinder erleben das Schreiben heute aber eben nicht als etwas Schönes, worüber man sich mitteilen kann, sondern primär als etwas, das mit großen Anstrengungen verbunden ist. Die Folge ist eine Abwärtsspirale, in der insgesamt weniger mit der Hand geschrieben wird. Um die Freude am Schreiben wiederzugewinnen, braucht es Anleitung und systematisches Üben. Das Lernserver-Institut hat deshalb den bewährten Schreiblehrgang der Handschriftexpertin und ehemaligen Lehrerin Maria-Anna Schulze Brüning in einer Neuauflage veröffentlicht.
Ein besorgniserregender Trend: Die Verschlechterung der Handschrift bei Kindern
Lehrerinnen und Lehrer beobachten seit Jahren, dass die Handschrift vieler Schülerinnen und Schüler immer schlechter wird. Es wird nicht nur unleserlicher, sondern auch angestrengter und langsamer geschrieben. Prof. Schönweiss warnt: „Das wirkt sich nicht nur auf nahezu alle Schulfächer aus, sondern behindert die Kinder auch dabei, sich auf Inhalte und komplexere Sprachstrukturen zu konzentrieren. Das geht so weit, dass Lehrkräfte nun schon nach alternativen Prüfungsformen suchen, weil zu viele Kinder kaum dazu in der Lage sind, ihre Ergebnisse schriftlich zu notieren.“
Die Ursachen für diesen Abwärtstrend sind vielfältig. Dass in der Schule insgesamt immer weniger geschrieben wird, trägt dazu bei, dass sich das (Hand-)Schreiben weniger gut automatisieren lässt. Schönweiss warnt außerdem davor, die Kinder mit dem Entwickeln einer Handschrift alleinzulassen: „Wir dürfen nicht den Fehler machen, Anleitung und Struktur mit Zwang zu verwechseln.“
Was ebenfalls beobachtet wird: Grundschulkindern fehlen immer häufiger die sogenannten Vorläuferfähigkeiten, also jene Basiskompetenzen, die Kinder ab dem Kleinkindalter aufbauen und trainieren, um die sogenannte Schulreife zu erlangen. Bereiche wie Motorik und kinästhetische Wahrnehmung entscheiden mit darüber, ob ein Kind Abstände zwischen Buchstaben, Wörtern oder Ziffern einhalten kann, so dass diese überhaupt erst vernünftig identifizierbar werden.
„Voraussetzung für das Lesen und Schreiben ist aber auch, Schrift überhaupt als Kommunikationsmittel zu begreifen und eine Ahnung davon zu haben, was man damit alles anstellen kann“, erklärt Prof. Schönweiss.
Veränderte Lebenswelt mit negativen Auswirkungen auf den Lernerfolg
Vielen Kindern fehlen heute die sinnlichen und körperlichen Erfahrungen in Familie oder Kita, um diese Basiskompetenzen zu entwickeln. Die übermäßige Nutzung von Smartphones schon im Kita-Alter, immer weniger Eltern, die ihren Kindern vorlesen, Bewegungsmangel, personelle Unterbesetzung in Kita und Schule und mit immer heterogener zusammengesetzten Kita-Gruppen und Schulklassen überforderte Betreuungspersonen sowie die Einführung digitaler Medien in den Unterricht, die den Stellenwert des Hand- und Rechtschreibens zusätzlich schwächt: All dies habe teils drastische Auswirkungen auf den Lernerfolg von Kindern, so der Forscher.
Schreiben mit der Hand als Voraussetzung für die Benutzung digitaler Geräte
Für die Handschrift und die Rechtschreibung gilt gleichermaßen: Die Automatisierung von Richtigem ermöglicht erst rasches Verschriften, bei dem nicht über jeden Buchstaben und jede orthographische Regel gegrübelt werden muss. Das überträgt sich auch auf das erfolgreiche Benutzen von Computer und Tablet. Kinder, die keine automatisierte und flüssige Handschrift haben, tun sich auch mit dem Tastaturschreiben schwerer. Das ist heute aber unverzichtbar.
„Wenn man den angeblichen Umweg über die Handschrift für überflüssig hält, verbaut man Kindern die Eroberung der digitalen Welten. Der Zugang zur Schriftsprache über die Handschrift ist das Fundament für alles Weitere. Diese entscheidende Phase darf nicht marginalisiert oder gar übersprungen werden“, so Prof. Schönweiss.
Praktische Hilfe für Eltern und Lehrkräfte: Kostenloses Material zur Handschrift- und Rechtschreibförderung
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, stellt das Lernserver-Institut die E-Version des erwähnten Schreiblehrgangs Grundschulen, Förderkräften und Grundschul-Eltern derzeit zum kostenlosen Download zur Verfügung. Titel: „Buchstaben und Zahlen richtig schreiben – von Anfang an“. Hier lässt sich das Heft, das der VBE Niedersachsen empfiehlt, gratis herunterladen: www.ls-lnk.de/handschrift .
Pädagogisches Material zur Förderung der Vorläuferfähigkeiten lässt sich hier erwerben: www.lernserver-shop.de/vorlaeuferfaehigkeiten-kennen-und-foerdern-grundlagen-fuer-den-erwerb-basaler-kompetenzen-205.html
Informationen zur Förderdiagnose Rechtschreibung und zu Möglichkeiten für Schulen, Eltern und Förderkräfte finden Sie auf der Website des Lernserver-Instituts: www.lernserver.de.
Hintergrund:
Der internationale Tag der Handschrift wird jedes Jahr am 23. Januar begangen und rückt die Bedeutung des Handschreibens als unverzichtbare Kulturtechnik in den Fokus.
Über den Lernserver:
Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team aus Sprachwissenschaft, Informatik, Pädagogischer Praxis und Lerntherapie erforschten Prof. Dr. Friedrich Schönweiss und sein Team an der Universität Münster, wie Rechtschreibfehler entstehen, was es braucht, um aus ihnen lernen zu können – und welche Chancen dabei moderne Technologien bieten.
Aus dieser Arbeit ist unter dem Namen „Lernserver“ ein System entstanden, das computergestützte Förderdiagnostik und die Bereitstellung individualisierter Förderpläne und Förderübungen vereint. Inzwischen ist der Lernserver über 700.000-mal zum Einsatz gekommen, mit Tools wie HP5-basierten interaktiven Lernmaterialien, aber auch Qualifizierungsinitiativen ergänzt worden, und soll Lehrkräften bei der Diagnose und Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler Zeit und Kraft sparen. www.lernserver.de
Dies ist eine Pressemeldung des Lernserver Instituts.
Da freut es mich als kürzlich ausgeschiedenes Lehrerfossil, dass mein Lehrstil dem neuesten Stand der Hirnforschung entsprach.
Dabei hatte ich mich nur auf mein Fachwissen verlassen und… den Ausführungen von Prof. M. Spitzer.
😉
Im Gegensatz zu nordischen Ländern, in denen Schüler meist Notebooks im Unterricht nutzen, läuft die Digitalisierung bei uns doch meist über Tablets mit Stift. Ich bin selbst an einer Schule mit 1:1 iPad-Ausstattung. Da wird nicht weniger mit der Hand geschrieben als früher. Die Heftführung ist durch die bessere Korrekturmöglichkeit viel sauberer und macht vielen Schülerinnen und Schülern große Freude. Und wenn sie dann für Klassenarbeiten doch wieder auf Papier schreiben müssen, geht das absolut problemlos. Die einzigen, die Probleme haben, sind die, die auch in der Kursstufe immer noch mit der in der Grundschule gelernten Schnörkelschrift schreiben. Das wird dann krakelig und langsam. Wer in der Mittelstufe auf eine Grundschrift (leicht verbundene Druckschrift) umstellt, schreibt durchweg in der Kursstufe schneller und leserlicher. Das ist signifikante Empirie und widersteht jeder ideologisch geführten Debatte.
Als mir selbst mein Klassenlehrer in der siebten Klasse beigebracht hat, während des Unterrichts das Wichtige mitzuschreiben, habe ich seitdem nie wieder für eine Klassenarbeit lernen müssen. Allerdings hat er auch Wert darauf gelegt, die Technik zu überprüfen, in dem er sich hat am Ende jeder Stunde Stichproben vorlesen lassen. Und nein, das war nicht auf dem Gymnasium.
Die Informationen, warum Handschrift hilfreich ist, müsste streng genommen in den Unterricht mit hinein. Nur zu sagen “das ist eine wichtige Kulturtechnik” ist keine ausreichende Begründung. Und ob die Handschrift “schön” sein muss , um ihren Zweck zu erfüllen , das kann auch Gegenstand einer weiterführenden Studie sein.
Das sehen Sie völlig richtig.
Den Schülern habe ich erklärt, wie oft der fachliche Inhalt das Gehirn beim handschriftlichen Schreiben passiert, in immer neuen Hirnregionen.
Da “bahnen” sich Gedanken von allein.
Will keiner heutzutage hören oder lesen.
Heiß ist ein anderer Sch….
„Die Informationen, warum Handschrift hilfreich ist, müsste streng genommen in den Unterricht mit hinein.“
Genauso, wie eine Antwort auf die Frage, warum man dies und das lernen muss. Ob die Antwort, die man dann als Lehrer geben kann, etwas bewegt, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Vor allen Dingen, wenn die Antworten, die wir geben, von anderen Stellen im wieder in Frage gestellt werden.
… immer wieder …
Ich würde diesen Artikel gerne zitieren, mir fehlen aber Angaben zum Autor
Die Quelle steht drunter. Herzliche Grüße Die Redaktion