Podcast: Vielfalt ist Alltag, Diskriminierung auch: Was Schulen dagegen tun können

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BONN. In deutschen Klassenzimmern spiegelt sich die gesellschaftliche Vielfalt wider. Kinder aus unterschiedlichen Ländern, Kulturen und mit verschiedenen Sprachen lernen gemeinsam – und stoßen dabei nicht nur auf Chancen, sondern auch auf Diskriminierung. Über diesen Spannungsraum sprechen im Podcast „Bildung, bitte!“ des Bürgerrats Bildung und Lernen mit Host Andreas Bursche die Schulamtsdirektorin Florence Brokowski-Shekete und das Bürgerratsmitglied Kumarmangalam Jain Patravali.

Diskriminierung und Rassismus sind auch an Schulen Realität. Symbolfoto: Shutterstock

„Deutschland ist das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt“, betont Moderator Andreas Bursche direkt zu Beginn der Diskussion. Entsprechend träfen in Schulen viele unterschiedliche Lebensrealitäten aufeinander. Eine vor diesem Hintergrund gelingende Lernkultur brauche allerdings nicht nur eine gemeinsame Sprache. Wichtig sei ebenso, dass Schule mit kultureller Vielfalt umgehen könnte.

Dem stimmt Florence Brokowski-Shekete zu. Sie macht deutlich, dass Sprache zwar die Grundlage für schulische Teilhabe sei, interkulturelle Verständigung aber weit darüber hinausgehe. Es reiche nicht aus, dass sich alle sprachlich verständigen könnten. Entscheidend sei, kulturelle Prägungen mitzudenken und Menschen in ihrer jeweiligen Lebenswirklichkeit wahrzunehmen.

„Es geht um kulturelle Verständigung: darum, hinter die Kulissen des anderen zu schauen“

„Interkulturelle Kommunikation ist für mich ein zentrales Thema, weil es eben nicht darum geht, einfach eine gemeinsame Sprache zu finden und sich dann zu verständigen“, sagt Brokowski-Shekete. „Es geht um kulturelle Verständigung: darum, hinter die Kulissen des anderen zu schauen, hinter seine oder ihre Kultur, um die Person wirklich zu verstehen. Dazu gehört deutlich mehr, als nur dieselbe Sprache zu sprechen.“

Unabhängig davon bleibe die Sprachkompetenz natürlich entscheidend. In Baden-Württemberg würden neu zugewanderte Kinder daher zunächst über Sprachförderklassen an das Schulsystem herangeführt. Denn die deutsche Sprache „ist erst mal die Grundvoraussetzung, um überhaupt an der Bildung hier teilzunehmen“, so die Schulamtsdirektorin. Die Sprachkompetenz dürfe aber nicht darüber entscheiden, welchen Bildungsweg ein Kind langfristig einschlage. Deshalb bedeuteten fehlende Deutschkenntnisse in Baden-Württemberg nicht automatisch eine Zuordnung zu niedrigeren Schulformen. Entscheidend sei der individuelle Blick auf Fähigkeiten und Lernpotenziale.

Schule als Ort der Gemeinschaft oder Ausgrenzung

Dass Sprache nur ein Baustein ist, um in Deutschland gut anzukommen, betont auch Bürgerratsmitglied Kumarmangalam Jain Patravali. Er richtet den Blick auf das soziale Gefüge im Klassenzimmer. Schule sei ein Ort, an dem sich früh Gemeinschaft herausbilde – oder eben Ausgrenzung. Schon in den ersten Schuljahren entstehe ein Gruppengefühl, das gezielt gestärkt werden müsse. „Menschen leben ja in Gruppen und das schon seit einer Ewigkeit“, erklärt Patravali. „Wenn ein Klassenzimmer aus 20 oder 25 Kindern besteht, bildet sich sehr früh eine Gemeinschaft und eine Art Teamgeist. Und es ist wichtig, genau diesen Teamgeist von Anfang an pädagogisch und didaktisch zu fördern.“

Problematisch werde es dort, wo Kinder nicht als Teil dieser Gemeinschaft wahrgenommen würden. „Wenn ein Kind nicht der Gruppe zugehörig ist, weil es anders aussieht oder anders spricht, dann ist das ein Problem“, sagt Patravali. „Man müsste solche Vorfälle erst einmal registrieren, ernst nehmen und dann planen, wie man im Laufe des Schuljahres daran arbeitet, dieses Problem zu reduzieren oder zu lösen. Das passiert momentan wenig.“

„Wir müssen lernen, mündig damit umzugehen.“

Dass Ausgrenzung und Diskriminierung kein neues Phänomen sind, unterstreicht Brokowski-Shekete mit einem persönlichen Beispiel aus ihrer eigenen Schulzeit. Sie berichtet von einer Situation, in der ein Mitschüler ihr vorwarf, sie nehme Kindern in Afrika das Essen weg, weil sie mehrere Nutellabrote mit in die Schule brachte – und eine Lehrkraft dieser Aussage nicht widersprach. „Die Lehrkraft hat das Ganze nicht aufgefangen und gesagt, Moment, das stimmt so nicht“, erinnert sie sich. „Sie hat nichts dagegen gesagt. Und das war letztlich das Problem.“

Solche Erfahrungen machten Kinder heute noch, betont Brokowski-Shekete. Schule sei kein Raum außerhalb gesellschaftlicher Realitäten. Lehrkräfte seien Teil dieser Gesellschaft und könnten ebenso Vorurteile oder ausgrenzende Haltungen mitbringen. Pädagogische Ausbildung allein schütze nicht automatisch vor diskriminierendem Verhalten.

Auf die Frage, wie Schulen mit Rassismus und Ausgrenzung umgehen oder entsprechende Vorfälle verhindern sollten, zeigen sich beide Gäste zunächst einig: Diskriminierung werde nie vollständig verschwinden. Patravali folgert daraus: „Wir sollten an einem anderen Punkt ansetzen, nämlich bei der Frage, was passiert, nachdem es zu einem solchen Vorfall gekommen ist. Wir müssen lernen, mündig damit umzugehen.“

Bedeutung von Prävention

Brokowski-Shekete stimmt dem zu, betont jedoch zusätzlich die Bedeutung präventiver Arbeit. Schule dürfe nicht nur reagieren, sondern müsse aktiv Haltungen thematisieren, sensibilisieren und Kritikfähigkeit fördern. „Denn nur weil ich Pädagogin bin, heißt das nicht automatisch, dass ich frei von diskriminierenden Haltungen bin. Dazu gehört auch, sich bewusst zu machen, was Diskriminierung überhaupt bedeutet und auf welchen Ebenen sie stattfindet, ebenso wie Kritikfähigkeit zu erlernen.“

Wenn jemand rückmelde, dass etwas diskriminierend war – ganz gleich, ob es um ethnische Herkunft, eine körperliche Behinderung oder Sexualität geht –, sei es wichtig, damit vernünftig umzugehen. „Das heißt: nicht sofort zu relativieren, nicht abzuwehren mit Sätzen wie ‚Das war nicht so gemeint‘ oder ‚Stell dich nicht so an‘. In dem kleinen Kosmos, den Schule darstellt, müssen wir eine kritikfähige Haltung entwickeln. Wenn uns jemand sagt, dass etwas diskriminierend war, ist zunächst einmal wichtig zuzuhören und einen Perspektivwechsel zu versuchen. Es geht dann nicht um mich und meine Absicht, sondern darum, dass mir jemand signalisiert: Das war für mich nicht in Ordnung.“

„Das Thema muss in den Leitbildern verankert sein, aber es muss auch gelebt werden“

Um Diskriminierung und Ausgrenzung langfristig entgegenzuwirken, müsse das Thema nach Ansicht von Brokowski-Shekete deutlich stärker im schulischen Selbstverständnis verankert werden. Es reiche nicht aus, interkulturelle Vielfalt lediglich punktuell zu thematisieren. Vielmehr müsse sie fester Bestandteil der Leitbilder von Schulen, Schulämtern und Bildungsverwaltungen sein. Entscheidend sei dabei jedoch, dass diese Leitbilder nicht nur auf dem Papier existierten.

„Das Thema muss in den Leitbildern verankert sein, aber es muss auch gelebt werden“, betont die Schulamtsdirektorin. „Dafür braucht es immer eine Hausspitze, die genau darauf Wert legt – und nicht jemanden, der sagt: Ich mache das jetzt mal als Hobby.“ Aber auch Lehrkräfte, die sich des Themas annehmen. Brokowski-Shekete spricht sich deshalb auch für entsprechende Lehrkräftefortbildungen aus. Lehrer*innen bräuchten Räume, um sich mit interkulturellem Miteinander auseinanderzusetzen, eigene Haltungen zu reflektieren und Handlungssicherheit zu gewinnen. Nur so könne Schule den Anspruch einlösen, ein Ort zu sein, an dem Vielfalt nicht nur vorhanden ist, sondern bewusst gestaltet wird. News4teachers

Hintergrund

Mehr als 700 zufällig ausgewählte Menschen aus allen Teilen der Republik haben im Rahmen des Bürgerrats Bildung und Lernen in den zurückliegenden fünf Jahren Empfehlungen für eine zukunftsfähige und gerechte Bildung erarbeitet. Was diesen Bürgerrat von vielen anderen unterscheidet: Gemeinsam mit den Erwachsenen saßen hier auch Kinder und Jugendliche (U16) gleichberechtigt mit am Tisch. Ins Leben gerufen wurde der Bürgerrat von der unabhängigen und gemeinnützigen Montag Stiftung Denkwerkstatt in Bonn. Sie hat auch den vorliegenden Podcast bereitgestellt. 

Im Sinne einer lebendigen Demokratie diskutierten die Mitglieder des Bürgerrats gemeinsam über gesellschaftliche und bildungspolitische Fragen. Welche Probleme und Herausforderungen müssen im Bildungsbereich dringend bearbeitet werden? Wie könnten bildungspolitische Reformen aussehen, die Probleme lösen und gleichzeitig in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind? Und: Wie soll gerechte Bildung in Zukunft aussehen?

Ein umfassendes Papier mit Empfehlungen wurde in diesem Jahr veröffentlicht (News4teachers berichtete). Leitthema dabei: „Chancengerechtigkeit: Wie viel Freiheit braucht das Lernen?“

Weitere Informationen zum Bürgerrat: www.buergerrat-bildung-lernen.de

Hier geht es zu weiteren Folgen der News4teachers-Podcasts:

Den Podcast finden Sie auch auf

 

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