BONN. Kriege, Terror, Fake News, Rassismus: Immer häufiger dringen gesellschaftliche Konflikte mitten ins Klassenzimmer. Lehrkräfte stehen unter Druck – denn sie sollen Orientierung geben in einer Welt, die sich rasant verändert. Doch wie gelingt Schule als sicherer Ort für alle Kinder und Jugendlichen? Im Podcast „Bildung, bitte!“ diskutieren die Politologin und Antirassismus-Trainerin Saba-Nur Cheema und Matthias Bohlen, Mitglied des Bürgerrats Bildung und Lernen, was Schule heute leisten muss – und wo sie selbst Unterstützung braucht.

Safe-Space Schule? Leider Fehlanzeige. Viele Kinder und Jugendliche gehen mit Angst zur Schule oder fühlen sich in ihrer Klasse unwohl. Das zeigt unter anderem das Deutsche Schulbarometer 2024: Laut der repräsentativen Umfrage berichtet ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler über ein geringes schulisches Wohlbefinden (und ebenfalls ein Fünftel stellt bei sich selbst psychische Auffälligkeiten fest). Zudem werden gesellschaftliche Konflikte immer häufiger auch im Klassenzimmer ausgetragen.
Die Frage ist also, was getan werden muss, damit sich alle Schülerinnen und Schüler in der Schule sicher und respektiert fühlen können – unabhängig von Herkunft, Religion und Aussehen? Darüber diskutiert Moderator Andreas Bursche im Podcast „Bildung, bitte!“ mit Matthias Bohlen, Physiker und Mitglied des Bürgerrats Bildung und Lernen, sowie der Politologin und Anti-Rassismus-Trainerin Saba-Nur Cheema.
Immer häufiger wird die Schule zum Brennglas gesellschaftlicher und internationaler Konflikte. Politologin und Antirassismus-Trainerin Saba-Nur Cheema warnt im Podcast „Bildung bitte“, dass Lehrerinnen und Lehrer zunehmend überfordert seien mit der Vielzahl an Themen, die Schüler*innen mit in den Unterricht bringen. Als Beispiel nennt sie den Hamas Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023, worüber innerhalb weniger Stunden alle Schülerinnen und Schüler Bescheid wussten. „Das hat natürlich mit sozialen Medien zu tun, dass Jugendliche im Alter von zehn, elf Jahren schon wissen, wenn irgendwo etwas Schlimmes passiert.“ Das sei in ihrer Schulzeit noch anders gewesen, so Cheema. Siehe 11. September 2001: „Ich war da auf Klassenfahrt, Kanufahren an der Lahn. Ich erinnere mich ganz gut, wie hatten alle keine Handys. Wir haben einen schönen Ausflug gehabt, sind dann zurück in die Jugendherberge und dann hing da in der Mensa ganz oben in der Ecke so ein riesengroßer, schwerer Fernseher und da liefen dann die Nachrichten.“
Die veränderten Medien-Bedingungen würden dafür sorgen, dass internationale Konflikte heutzutage bis in die Klassenzimmer reichen – befeuert durch Fake News und Desinformationen, die über soziale Medien blitzschnell kursieren. „Ich sehe ganz großen Bedarf darin, Lehrkräfte zu unterstützen“, so Cheema im Gespräch. Viele seien mit der Flut an Informationen überfordert, vor allem, weil sie den Mediengewohnheiten der Jugendlichen oft nicht mehr folgen könnten. Der Generationen-Gap verstärke das Problem: Während jüngere Lehrkräfte soziale Netzwerke selbst nutzen und besser einordnen könnten, falle das einem Teil der älteren Kolleg*innen eher schwer.
Was können und sollen Lehrkräfte leisten?
Matthias Bohlen sieht ebenfalls die Herausforderungen, vor denen Lehrkräfte stehen. „Ich denke, die Eltern müssen da auch mitgenommen werden. Ich kann eben auch nicht alles einer Lehrkraft zuschieben, die ein Kind im aktuellen Schulsystem normalerweise 45 sieht und in diesen 45 Minuten optimalerweise auch noch Sachwissen vermitteln soll.“ Dennoch sieht Bohlen Schule als idealen Ort, um gesellschaftliche Konflikte zu verhandeln, da hier Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen aufeinandertreffen. Die Frage ist also, was Lehrkräfte leisten können und sollen.
Cheema, die durchaus die Überforderung vieler Lehrkräfte ernst nimmt, kritisiert in dem Gespräch dennoch, dass viele Lehrerinnen und Lehrer Themen wie den Ukrainekrieg oder rassistisch motivierte Anschläge gar nicht erst aufgreifen. „Wie kann man darüber nicht sprechen?“, fragt sie mit Blick auf den Anschlag von Hanau. Das habe die Schülerinnen und Schüler bewegt, die hätten dann keinen Kopf für Mathe. Und das Schweigen verstärke bei betroffenen Schüler*innen das Gefühl, nicht gesehen zu werden. Doch Schule müsse ein sicherer Ort sein – auch emotional.
Ein zentraler Punkt sei dabei die Akzeptanz von Vielfalt. Fast 40 Prozent der Jugendlichen in Deutschland haben eine Migrationsgeschichte. „Man spricht ja auch von Superdiversität – das ist erstmal weder gut noch schlecht, es ist einfach Tatsache“, so Cheema. Sie plädiert dafür, diese Vielfalt nicht nur zu tolerieren, sondern aktiv als Teil des Schulalltags zu integrieren und sich damit auseinanderzusetzen – zum Beispiel durch biografische Projekte, wie sie sie selbst in der sechsten Klasse erlebt hat.
Ohne Medienkompetenz geht es nicht
Matthias Bohlen bringt außerdem das Thema Medienkompetenz ins Gespräch ein, da der Bürgerrat Bildung und Lernen darüber schon häufig diskutiert hat. Wichtig sei, dass die Vermittlung von Medienkompetenz schon früh beginne. Das bestätigt Cheema, die aus ihrer Arbeit weiß, dass schon Kita-Kinder aktuelle Nachrichten wahrnehmen und dazu Vorstellungen entwickeln.
Die Schule der Zukunft müsse mehr leisten als reine Wissensvermittlung, darin sind sich Cheema und Bohlen einig. Sie müsse auffangen, verbinden, Orientierung geben – und die Realität abbilden, in der Kinder und Jugendliche heute leben. News4teachers
Der Bürgerrat Bildung und Lernen besteht aus mehr als 700 zufällig ausgelosten Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland und wurde 2020 von der Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen. Sie hat auch den vorliegenden Podcast bereitgestellt.
Im Sinne einer lebendigen Demokratie diskutieren die Mitglieder des Bürgerrats gemeinsam über gesellschaftliche und bildungspolitische Fragen. Welche Probleme und Herausforderungen müssen im Bildungsbereich dringend bearbeitet werden? Wie könnten bildungspolitische Reformen aussehen, die Probleme lösen und gleichzeitig in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind? Und: Wie soll gerechte Bildung in Zukunft aussehen?
Ein umfassendes Papier mit Empfehlungen wurde unlängst erarbeitet (News4teachers berichtete). Leitthema dabei: „Chancengerechtigkeit: Wie viel Freiheit braucht das Lernen?“
Der Bürgerrat Bildung und Lernen ist aktuell der einzige Bürgerrat, der auf Bundesebene aktiv ist und auch Kinder und Jugendliche einbezieht. Die mehr als 250 Schülerinnen und Schüler kommen über sogenannte Schulwerkstätten der Bundesländer dazu und sind vollwertige Mitglieder des Bürgerrats Bildung Lernen. Darüber hinaus haben sie aber auch eigene Empfehlungen entwickelt sowie einen offenen Brief unter dem Titel „Hört und zu!“ geschrieben.
Hier geht es zu weiteren Folgen der News4teachers-Podcasts:
Den Podcast finden Sie auch auf
Zitat: „Wie kann man darüber nicht sprechen?“
Oh ja, zeigen sie mir wie sie über den Krieg in der Ukraine, in Syrien, in Palästina und Israel, im Sudan und und und sprechen. Ich glaube, diese Leute erwarten von anderen, was sie selbst nicht leisten.
Mit Kindern und Jugendlichen, deren Familien und Verwandte davon betroffen ,sind über die Kriege sprechen. Und sie selbst haben deutsche Zeitungen gelesen und sind ansonsten ahnungslos.
Ja viel Spaß. Ich würde keins der Themen auch nur mit spitzen Fingern anfassen. Das kann ich nicht leisten. Ich bin auch kein ausgebildeter Traumatherapeut, es geht hier nicht um verstorbene Haustiere, sondern um grausame Verbrechen und unendliches Leid.
Auch schon mit Erwachsenen über solche traumatischen Erlebnisse zu sprechen, ist kaum möglich als “Außenstehender”. Mit Kindern darüber zu sprechen, noch viel schwerer! Eigentlich kann man nur zuhören und das bedeutet schon viel Hilfe. Mit gutgemeinten Ratschlägen und Phrasen sollte man sich eher zurückhalten (meine ganz persönlichen Erfahrungen mit ukrainischen und afghanischen Menschen).
“… in diesen 45 Minuten optimalerweise auch noch Sachwissen vermitteln soll.”
Betonung liegt auf auch noch. Ich dachte das “auch noch” wäre der eigentliche Job einer Lehrkraft.
“Das habe die Schülerinnen und Schüler bewegt, die hätten dann keinen Kopf für Mathe.”
Es gibt zunehmend mehr Schüler, die haben selten (nie) einen Kopf für Mathe, Physik, Chemie etc.. Sind es keine internationalen Konflikte, dann sind es welche in der Familie, Probleme im Freundeskreis oder “Kompetenzgerangel” in der Social Media Community., welche sie allumfassend, täglich, stündlich bewegen.
Und nun? Mit auffangen, verbinden, Orientierung geben – und die Realität abbilden, sind LuL bereits voll beschäftigt – besser ausgelastet.
Ich glaubte immer noch zum “Realität abbilden” und “Orientierung geben”, gehöre es Hintergrund- und Sachwissen fachspezifisch zu vermitteln und das wäre Augabe von Schule. Aber wenn der Kopf selten frei ist. Dann wird das wohl nichts.
Manchmal weis ich gar nicht mehr, wie ich alle diese Bestellungen im neuen Normal noch liefern soll.
Das können Sie nicht liefern, nur erkennen will das keiner. Schule und Sozialarbeit sollen immer mehr Aufgaben mit immer weniger Ressourcen erfüllen, ohne dass irgendwo anders etwas weggenommen wird. Ja gar ganze Elternhäuser sollen inzwischen ersetzt werden, wenn Eltern ihrem Erziehungsauftrag nicht nachkommen können oder wollen.
Schule als Ort der Wissensvermittlung? Mit dieser Ansicht gelten Sie als ewig gestrig.
“Matthias Bohlen [Physiker und Mitglied des Bürgerrats Bildung und Lernen] sieht ebenfalls die Herausforderungen, vor denen Lehrkräfte stehen. „Ich denke, die Eltern müssen da auch mitgenommen werden. Ich kann eben auch nicht alles einer Lehrkraft zuschieben, die ein Kind im aktuellen Schulsystem normalerweise 45 sieht und in diesen 45 Minuten optimalerweise auch noch Sachwissen vermitteln soll.“ Dennoch sieht Bohlen Schule als idealen Ort, um gesellschaftliche Konflikte zu verhandeln, da hier Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen aufeinandertreffen.”
Nein, Herr Bohlen, den Schuh ziehen wir uns nicht an! Physiker bleib bei deinen Leisten!. “Bürgerrrat” hin oder her (“Bürgerrat”… klingt gleich nach Räterepublik. Wir wissen was daraus geworden ist…)
Gesellschaftliche Konflikte werden nicht “in der Schule verhandelt”, sondern konsequent herausgehalten. Warum soll und muss die Schule immer die “Konflikte” und Probleme lösen, die anderswo entstehen? Schule ist weder für diese Konflikte verantwortlich, noch kann es diese “verhandeln”, womit wahrscheinlich “lösen” impliziert wird.
Entweder wir führen Schule schnellstmöglich zu ihrer Ursprungsaufgabe zurück oder wir vergessen das mit dem “optimalerweise auch noch Sachwissen vermitteln” ganz schnell und machen nur noch Betreuung und Sozial”gedöns”. Aber dann bitte auch gleich die PISA-Keule gleich mit einpacken, bevor das Gejammere über die von Herrn S. aus P. wieder losgeht. Und sich darauf einrichten, dass wir dann mittelfristig genau denselben Lebensstandard haben, wir andere Länder mit internen Dauer-Konflikten…
Schule und Lehrkräfte immer wieder als eierlegende Wollmichsäue, die jedes gesellschaftliche Problem nebenbei lösen sollen… uns wenn es nicht funktioniert: Sündenböcke: Sind die f… S… einfach nicht gewillt, zu alt, zu d…., kennen wir alles. Dieselbe Leier seit Jahrzehnten, weil man anderso in dieser “Gesellschaft” nicht gewillt ist, seinen Ar… zu bewegen und Lösungen anzugehen…
Es k… mich nur noch an!
Letztgenanntem schließe ich mich vollumfänglich an.
Immer öfter weiß ich nicht, ob ich in die Tüte atmen oder k…en möchte.
Wenn etwas gefordert wird (von Bürgerräten, Schülerräten, Räteräten usw.) und es dann nicht klappt, fordern sie was Neues. Vielleicht klappt es dann ja auch nicht. Hauptsache für uns gibt’s neue Herausforderungen und wir reduzieren unsere Forderungen (Ansprüche).
Um die Gefahr einer Aspiration auszuschließen, bitte die Tüte zwischendurch wechseln:)
Geht klar! Oder auf eine Tüte der anderen Art umsteigen.
tja, nur die wenigsten im Zeitalter von Vapes können noch Tüten bauen. Und die Erwischten müssen Tüten kleben
Also das kommt mir gar nicht in die Tüte.
Nichts wie weg bei Tatütata.
Da ist doch schon der Mageninhalt drin. Wie viele Tüten wollen Sie denn noch haben? Ich hoffe Sie nutzen wenigstens Jute statt Plastik
Wenn jemand etwas darüber hinaus fordert, ist meine Frage stets: „Welche Ressourcen geben Sie mir?“ Dann folgt Stille…..Gut, dass wir drüber gesprochen haben!
Ressourcen werden maßlos überbewertet. Weniger ist mehr.
Der Bürgerrat besteht aus 700 zufällig ausgewählten Personen. Einzelne dieser Personen, meist eloquent und mit höherer Bildung, äußern sich jetzt mal hier, mal dort mit ihren persönlichen Meinungen, die über das Etikett ‘Bürgerrat’ auch gehört und publiziert werden. Sinn des Rates war es aber, eine repräsentative Vielfalt von Ideen und Meinungen abzubilden und zu diskutieren. Spricht Herr Bohlen für sich oder nimmt er im Auftrag des Bürgerrats an der Veranstaltung teil und vertritt dessen gemeinsame Position? Er hat eine Meinung, er denkt, es müsste doch möglich sein, mehr zu tun. Ohne eventuelle Fakten zu erwähnen. Meine Meinung dazu ist: nein, ist es unter den realen Bedingungen nicht! Und nun?
Lässt sich darüber diskutieren – das ist der Sinn des Bürgerrats Bildung und Lernen, das ist der Sinn des Podcasts.
Herzliche Grüße
Die Redaktion