„An den Haaren herbeigezogener Unsinn“: Wissenschaftler streiten um den Fall Schavan

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BERLIN. Hauen und Stechen unter den Spitzen der Wissenschaft: Die Allianz der Wissenschaftsorganiationen, die so renommierte Einrichtungen wie die Hochschulrektorenkonferenz und die Max-Planck-Gesellschaft vertritt, hat einen fairen Umgang mit Bundesbildungsministerin Annette Schavan angemahnt – und damit nicht nur die Uni Düsseldorf, die die Plagiatsvorwürfe gegen die CDU-Politikerin zu prüfen hat, gegen sich aufgebracht. Der Hochschulverband wirft erstmals die Frage nach dem Verbleib Schavans im Amt auf.

Die Spitzen der deutschen Wissenschaft streiten darüber, wie mit den Plagiatsvorwürfen gegen Bundesbildungsministerin Anette Schavan (CDU) umzugehen ist. Foto: www.dts-Nachrichtenagentur.de / Wikimedia Commons
Die Spitzen der deutschen Wissenschaft streiten darüber, wie mit den Plagiatsvorwürfen gegen Bundesbildungsministerin Anette Schavan (CDU) umzugehen ist. Foto: www.dts-Nachrichtenagentur.de / Wikimedia Commons

In der Plagiatsaffäre von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) streitet die Wissenschaft über den richtigen Umgang mit dem Prüfverfahren. Die Universität Düsseldorf und der Deutsche Hochschulverband wiesen die Kritik der Allianz der Wissenschaftsorganisationen an dem bisherigen Vorgehen bei der Überprüfung von Schavans Doktorarbeit entschieden zurück. Die Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses, Ulla Burchardt (SPD), warnte die Allianz vor weiterer Einmischung. Der Philosophische Fakultätentag hatte bereits am Sonntag massiv Stellung gegen die Einmischungsversuche der Allianz bezogen.

Heute beriet der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der Uni Düsseldorf erstmals über die Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung von Schavans Doktortitel. Ergebnis: Das Verfahren wird eröffnet. Schavan hatte 1980 – als 22-jährige Studentin – ihre Dissertation zum Thema «Person und Gewissen» eingereicht. Ihr werden der mangelhafte Ausweis von Quellen und das Vernachlässigen wissenschaftlicher Standards zur Last gelegt. Die Vorwürfe waren anonym im April 2012 im Internet aufgetaucht.

„An den Haaren herbeigezogener Unsinn“

Zur Forderung der Allianz nach Einbeziehung eines zweiten Gutachters aus der Erziehungswissenschaft oder Theologie sagte Hochschulverbands-Präsident Bernhard Kempen, es gehe bei der Überprüfung ihrer Doktorarbeit nicht um die Inhalte, «sondern um mögliche Plagiate und mögliche Täuschungen». Die Argumentation der Wissenschaftsorganisationen sei «an den Haaren herbeigezogener Unsinn», sagte Kempen.

«Hochrangige Vertreter der Wissenschaft erweisen der Wissenschaft einen Bärendienst, wenn sie den fatalen Eindruck entstehen lassen, politisch wünschenswerte Ergebnisse könnten öffentlich herbeigeredet werden», sagte Kempen zu der am Wochenende veröffentlichten Kritik der Allianz an der Uni Düsseldorf. Kempen sagte weiter, sollte die Universität ein Verfahren zur Aberkennung des Doktortitels einleiten, dann müsse Schavan sich fragen, «ob es dem Amt des Bundesbildungsministers wirklich gut tut, unter diesen Umständen weiterhin Ministerin zu bleiben». Der Deutsche Hochschulverband ist die Berufsvertretung von mehr als 27.000 habilitierten Professoren.

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hatte am Wochenende die Beachtung wissenschaftlicher Kriterien bei der Prüfung von Schavans Doktorarbeit gefordert. «Verfahrensrechtliche Korrektheit», wie dies der Universität in einem jüngsten Rechtsgutachten bescheinigt werde, sei notwendige Voraussetzung, aber allein «keine hinreichende Bedingung, um die Entscheidung über die Aberkennung eines Doktorgrades zu begründen», heißt es in der Allianz-Erklärung. Verklausuliert – aber dennoch erkennbar – wird in der Stellungnahme Kritik am bisherigen Vorgehen
der Uni Düsseldorf geübt. In der Allianz arbeiten führende Forschungsorganisationen, wie DFG, MPG und Helmholtz, aber auch die Hochschulrektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat
zusammen.

Zu einem ordentlichen Verfahren gehört laut Allianz «das Mehr-Augen-Prinzip, die Trennung von Begutachten, Bewerten und Entscheiden sowie eine angemessene Berücksichtigung des Entstehungskontextes», heißt es mahnend in der Erklärung. Eine inhaltliche Bewertung könne nur auf der Basis einschlägiger fachwissenschaftlicher Expertise vorgenommen werden. Ein Zweitgutachten eines Fachwissenschaftlers wurde von der Uni allerdings bislang nicht angefordert.

Die SPD-Bildungspolitikerin Burchardt warnte die Allianz. Eine Einmischung ausgerechnet im Bundestagswahljahr könne schnell als «fehlende Überparteilichkeit und mangelnde Unabhängigkeit der Wissenschaftsorganisationen gewertet werden», schreibt die SPD-Politikerin in einem Brief an die Mitglieder der Allianz.

Burchardt: «Einer der wichtigsten Grundsätze der Allianz und jeder ihrer Mitglieder ist das unbedingte Eintreten für die Autonomie der wissenschaftlichen Einrichtungen und der Forschung in Deutschland. Die Erklärung der Allianz verstößt diametral gegen diesen Grundsatz – und ist ein Angriff auf die wissenschaftliche Unabhängigkeit der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Er ist geeignet, den guten Ruf der Hochschule zu beschädigen.»

Auch die Universität wies die Vorwürfe zurück. Das Verfahren werde ausschließlich auf Grundlage der entsprechenden rechtlichen Regelungen durchgeführt. Die Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Qualität wissenschaftlicher Arbeit könnten geltendes Recht keinesfalls ersetzen. dpa

(21.1.2013, aktualisiert am 22.1.)

Zum Bericht: „Schavan kämpft gegen Entzug des Doktor-Titels – und um ihr Amt“

 

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