Konsortium: Ganztagsschulen fördern die Persönlichkeit, nicht die Leistungen

2

FRANKFURT/MAIN. Verbessern Ganztagsschulen die Leistungen der Schüler? Nicht direkt, ermittelte jetzt das Konsortium der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG), ein Kooperationsverbund von vier Forschungseinrichtungen. Die Teilnahme am Ganztag kann demnach vor allem die Persönlichkeitsentwicklung von Schülern sehr fördern. Eine Wirkung auf die Entwicklung ihrer fachlichen Kompetenzen konnten die Forscher aber nicht nachweisen.

Die Ganztagsschule als „eierlegende Wollmilchsau“, mit der die Schule den geänderten Strukturen der Arbeitswelt angepasst werden kann und die zugleich quasi nebenbei die sozialen Probleme, die dem Schulsystem immanent sind lösen kann. In dieser Formulierung sicherlich überspitzt, gehört der Ausbau der Ganztagsschulangebote dennoch zu den tiefgreifendsten Veränderungen, die das deutsche Schulwesen in den letzten Jahrzehnten erfahren hat und mit dem die größten Hoffnungen verbunden sind.

Ganztagsangebote unterstützen vorwiegend die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern, wenn sie pädagogisch gut gemacht sind. (Foto: Woodley wonderworks/Flickr CC BY 2.0)
Ganztagsangebote unterstützen vorwiegend die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern, wenn sie pädagogisch gut gemacht sind. (Foto: Woodley wonderworks/Flickr CC BY 2.0)

Mit mehr als vier Milliarden Euro hatte die Bundesregierung im IZBB-Programm von 2003 bis 2009 den Ausbau von Ganztagsangeboten gefördert. Tatsächlich hat sich die Zahl der Angebote seit 2002 verdreifacht. Mehr als die Hälfte der Schulen stellen im Primar- und Sekundarbereich I mittlerweile entsprechende Angebote bereit.

Die Teilnahme an Ganztagsangeboten soll dabei u.a. zur nachhaltigen Förderung von kognitiven und sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler beitragen, wie etwa die Kultusministerkonferenz in ihrem aktuellen Bericht „Ganztagsschulen in Deutschland“ erneut festhält. Aber können die Ganztagsschulen das tatsächlich leisten?

Die langfristig angelegte „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG)“ hat die Frage nach der Qualität und den Wirkungen von Ganztagsangeboten in den vergangenen vier Jahren in mehreren Forschungsarbeiten vertiefend untersucht. Die Ergebnisse zeichnen ein differenziertes Bild: Gute Ganztagsangebote können sich demnach positiv auf die sozialen Kompetenzen, die Motivation und das Selbstbild der teilnehmenden Schüler auswirken. Unmittelbare Effekte auf die Entwicklung ihrer fachlichen Kompetenzen zeigten sich jedoch nicht.

Die Wissenschaftler erfassten die Lesefähigkeit sowie im Grundschulbereich auch die naturwissenschaftliche Kompetenz der Schüler vor und nach der Teilnahme an entsprechend fachlich ausgerichteten Ganztagsangeboten. Dann verglichen sie die Entwicklung mit der von Mitschülern, die nicht an solchen Angeboten teilgenommen hatten.

Ergebnis: Die Messungen konnten keine Wirkung der Teilnahme an fachlich ausgerichteten Ganztagsangeboten auf die Kompetenzentwicklung nachweisen, weder generell noch bei hoher Qualität der Angebote oder bei besonders intensiver Teilnahme.

Nach Ansicht der StEG-Wissenschaftler bestätigten die neuen Untersuchungen, damit frühere Forschungsergebnisse. So könnten Ganztagsschulen einen wichtigen Beitrag zur psychosozialen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen leisten. Das setze allerdings eine hohe pädagogische Qualität der Angebote voraus.

Anzeige

Unter diesen Umständen könnten sich diese Effekte auch auf den Schulerfolg auswirken. Denn in Schulnoten spiegelten sich nicht nur einzelne kognitive Kompetenzen, sondern auch die Motivation oder das Engagement der Schülerinnen und Schüler.

So erreichten zum Beispiel Schülerinnen und Schüler des Realschulbildungsganges am Ende ihrer Schullaufbahn bessere Noten, wenn sie für eine lange Zeit Ganztagsangebote im Allgemeinen oder verstärkt fachliche Angebote genutzt hatten. Der Besuch von Ganztagsangeboten reiche aber nicht aus, um innerhalb eines oder zweier Halbjahre fachliche Kompetenzen messbar zu steigern.

Auch der positive Einfluss auf die Sozialisation der Schüler sei kein Selbstläufer, sondern von der pädagogischen Gestaltung des Ganztagsangebots massiv beeinflusst. Die Forscher weisen auf Gefahren hin:

Bereits im Februar hatte sie die Ergebnisse einer repräsentativen Schulleitungsbefragung zum Ganztagsschulausbau veröffentlicht. In der organisatorischen Gestaltung der Ganztagsschulen herrsche dieser Umfrage zufolge eine kaum überschaubare Vielfalt. In den vergangenen Jahren seien von den Bundesländern zahlreiche unterschiedliche Definitionen von Ganztagsschule entwickelt worden.

Angesichts der Entwicklung bestehe die Gefahr, „dass Ganztagsschulen irgendwann auf ihre zusätzlichen Betreuungszeiten und die Lösung schulformspezifischer Probleme reduziert werden.“

Betrachtet man die Entwicklung des Ganztags an den deutschen Schulen als die neue Entwicklung, die sie ist, kann das Fazit durchaus positiv ausfallen. Um aber den hohen Anspruch einzulösen und die hohen Erwartungen zu erfüllen, bedarf es nicht nur nach Meinung der StEG-Forscher weiterer Anstrengungen in der pädagogischen Gestaltung der Ganztagsangebote – Eine Herausforderung, der sich nicht nur Schulpolitiker, sondern jede einzelne Schule stellen müssen. (zab, pm)

• Qualität und Wirkungen von Ganztagsangeboten (Ergebnis-Broschüre auf der StEG-Webseite)
• StEG: Ergebnisse der Schulleitungsbefragung 2015

• zum Bericht: Forscher warnen: Ganztagsschulen könnten ihre pädagogischen Ziele aus den Augen verlieren

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

2 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
xxx
7 Jahre zuvor

Den vorletzten Absatz kann ich unterstreichen. Reiner Fachunterricht in der 9. Stunde macht keinen Spaß, reine Beaufsichtigung in der 9. Stunde macht keinen Sinn. Angesichts der Haushaltslage der Kommunen finde ich ein pädagogisch anspruchsvoll aufbereitetes Nachmittagsprogramm mit Mehrwert für alle deutlich unwahrscheinlicher als unter Aufsicht Fußball zu spielen oder in Einzelarbeit die Hausaufgaben zu erledigen.

Ursula Prasuhn
7 Jahre zuvor

Bei der ständigen Betonung von „KANN sich positiv auswirken“ drängt sich der Eindruck auf, dass dies eine schmeichelhafte Beschreibung mangelnder Überlegenheit von Ganztagsschulen ist, die den vorauseilenden Unterstellungen und Lobeshymnen nicht entspricht.
Hinter die Behauptung in der Artikelüberschrift, dass Ganztagsschulen die Persönlichkeit fördern, möchte ich ein dickes Fragezeichen setzen. Z. B. heißt es auch hier: „Gute Ganztagsangebote KÖNNEN sich demnach positiv auf die sozialen Kompetenzen, die Motivation und das Selbstbild der teilnehmenden Schüler auswirken.“
Dass sie es tun, steht nicht fest, stattdessen wird das Können sogar noch eingeschränkt durch den Hinweis auf „GUTE Schulen“.