Vom Bauernsohn im Jemen zum Weltenerklärer im Web: Hashem Al-Ghaili bringt einem Millionenpublikum Wissenschaft nahe

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BREMEN. 7,6 Millionen Menschen haben «Gefällt mir» geklickt: Hashem Al-Ghaili vermittelt Wissenschaft nicht im Hörsaal, sondern auf Facebook und YouTube. Derzeit studiert der junge Mann in Bremen. Sein Grundsatz: Alles geht, nur «postfaktisch» nicht.

Hashem Al-Ghaili ist mit seiner Facebook-Seite extrem erfolgreich (Screenshot).
Hashem Al-Ghaili ist mit seiner Facebook-Seite extrem erfolgreich (Screenshot).

«Die künstliche Gebärmutter» ist der Titel eines der umstrittensten Videos auf Hashem Al-Ghailis Facebookseite (hier geht’s hin). Rund 30 Millionen Mal wurde das Video geklickt, fast 33 000 Mal geteilt, 5000 Mal kommentiert. «Die Idee einer rein künstlichen Gebärmaschine ist selbstverständlich kontrovers», sagt Al-Ghaili. Auch mit umstrittenen Themen will er den wissenschaftlichen Fortschritt auf seiner Seite «Science Nature Page» verstärkt ins Blickfeld der Gesellschaft rücken. Der studierte Biotechnologe sieht sich als Kommunikator zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, derzeit studiert er Molecular Life Sciences an der Jacobs University in Bremen.

Al-Ghailis Konzept zeigt Erfolg: Fast 7,6 Millionen Follower hat er mit seinen Videos bereits gewonnen. Zum Vergleich: Angela Merkel hat «nur» 2,4 Millionen Anhänger. Ob Impfungen, Klimawandel oder künstliche Intelligenz, Al-Ghailis Beiträge stellen wissenschaftliche Durchbrüche in den Vordergrund; zeigen die Welt, wie sie in einigen Jahren aussehen könnte. «Die Wissenschaft bietet Antworten, die von den Medien und der Öffentlichkeit übersehen werden. Ich hoffe, mit meinen Beiträgen besonders im sogenannten postfaktischen Zeitalter einen Denkanstoß zu geben», sagte der 26-Jährige.

Dass er als Wissenschaftskommunikator erfolgreich werden sollte, war nur bedingt abzusehen. Al-Ghaili wuchs auf dem Land im Jemen auf. Sein Vater war Bauer, aber auch Chefredakteur des naturwissenschaftlichen Magazins «The future». Bereits als Kind veröffentlichte Al-Ghaili Beiträge in Wissenschaftsmagazinen. «Ich fand das klasse, meinen Namen veröffentlicht zu sehen», sagt er.

Mit einem Stipendium finanzierte er sein Studium in Pakistan, dann bewarb er sich beim Deutschen Akademischen Austauschdienst und bekam Unterstützung für ein Masterstudium in Bremen. Dort kennt ihn Sebastian Springer, der Leiter des Masterprogrammes, bereits seit seinem Bewerbungsinterview am Telefon: «Da war schon klar, dass er ein unheimlich guter Kommunikator ist», sagt er. «Für die Universität und die Wissenschaft allgemein wäre es großartig, wenn es mehr solcher Wissenschafts-Botschafter gäbe.»

Al-Ghaili will mit seiner Wissensvermittlung jeden erreichen. Ob Gläubige, Atheisten, Professoren oder Laien – die Neugier sei es, die die Leute in der Wissenschaft zusammenführe und für lebendige Diskussionen sorge. «Ich beteilige mich auch gern selbst, wenn ich Fragen und Kommentare spannend finde. Ich verurteile dabei aber keine Meinungen, sondern präsentiere wissenschaftliche Fakten.»

Diese direkte Art der Vermittlung sei heute essenziell für die Wissenschaft, meint Markus Weißkopf, Geschäftsführer von «Wissenschaft im Dialog». Die Organisation engagiert sich für den Austausch und die Kommunikation in der deutschen Wissenschaft. «Junge Menschen zwischen 14 und 29 informieren sich zur Wissenschaft heute zum Großteil allein über YouTube», sagt Weißkopf. Um die Anerkennung von Forschung wieder stärker in der Gesellschaft zu verankern, müssten Ergebnisse publikumsgerecht aufbereitet werden. Al-Ghailis Ansatz schätzt Weißkopf als wissenschaftlich seriös ein, besonders da er bei jedem Beitrag auch die Quellen bereitstelle.

Für Al-Ghaili ist der Quellenverweis ein Grundsatz seiner Arbeit, die er als Gegenbewegung zur Verzerrung von Fakten sieht, wie sie unter anderem derzeit in den USA betrieben werde. Von Amerika habe er ohnehin genug, erzählt Al-Ghaili. Als er kürzlich versuchte, zum Hauptsitz seines Arbeitgebers «Futurism» nach New York zu fliegen, war er wegen des Einreisestopps für Muslime nicht willkommen. Der Jemen stand auf der Bann-Liste von US-Präsident Donald Trump.

Fans aus Amerika hat er aber ohnehin genug. Die meisten seien wie er am medizinischen Fortschritt interessiert. In der Krebsforschung etwa werde derzeit an spannenden, neuen Behandlungsmethoden wie fluoreszierenden Proteinen zur Erleichterung von Operationen oder der Umwandlung von Krebszellen in gesunde Zellen geforscht, erzählt Al-Ghaili strahlend. In fünf bis acht Jahren könnten diese bereits verfügbar sein. «Ich kann es kaum erwarten.» Von Antonia Schaefer, dpa

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