Hubig unter Druck: ‚“Wir werden lebendig begraben“ – Der Widerstand gegen Schließung der Dorfschulen formiert sich

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MAINZ. Im Hunsrück formiert sich Widerstand gegen die mögliche Schließung kleiner Grundschulen. Eltern und Bürgermeister wollen am Mittwoch vor dem Landtag in Mainz demonstrieren. Die CDU will das Schulgesetz ändern. Und das rheinland-pfälzische Bildungsministerium hofft auf einvernehmliche Lösungen.

Grenzen des Machbaren: Bildungsministerin Hubig. Foto: Sven Teschke / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Grenzen des Machbaren: Bildungsministerin Hubig. Foto: Sven Teschke / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Die Wendelinus-Grundschule im Hunsrückdorf Lieg ist eine von 41 Schulen, die wegen ihrer geringen Schülerzahl auf eine mögliche Schließung hin überprüft werden soll. Wenn es soweit kommt, würde das Dorf «lebendig begraben», fürchten die Initiatoren der «Lieger Erklärung», die am Mittwoch bei einer Demonstration gegen die Schließung kleiner Grundschulen an Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) übergeben werden soll. Die CDU-Fraktion hat außerdem einen Gesetzentwurf vorgelegt, der auch kleine Grundschulen mit nur zwei Klassen für rechtskonform erklärt.

Bauplätze als Argumente

Der Lieger Ortsbürgermeister Heinz Zilles (parteilos) hat gute Argumente, um bei der anstehenden Überprüfung gemäß der Leitlinien des Bildungsministeriums die Wendelinus-Grundschule erhalten zu können. Denn in diesen Leitlinien vom März werden auch die Prognose für die künftig einzuschulenden Kinder und die Planung von Neubaugebieten als Faktoren genannt.

«Wir halten günstige Bauplätze für den Zuzug von jungen Familien vor», erklärt Zilles. Damit sollten junge Menschen aus Lieg einen Anreiz erhalten, nach Studium und Ausbildung wieder in ihren Heimatort zu ziehen – «in der Gewissheit, dass ihre Kinder in der Grundschule vor Ort behütet aufwachsen können». Eine Schulschließung würde diese Familien vor den Kopf stoßen und ein weiterer Zuzug würde ausbleiben, befürchtet der Bürgermeister im Gespräch.

Wenn sieben Schüler und die Lehrerin da sind, ist die Schule komplett: Zwergschulen – die letzten Unterrichtsparadise oder pädagogischer Unsinn?

Die Ortsgemeinde soll nun ein Konzept für die Erhaltung der Schule vorlegen. Dabei vermisst Zilles die zugesagte Beratung und Unterstützung der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD): «Das wurde nach außen proklamiert, aber von alledem ist bisher nichts geschehen.»

Die Träger der 41 zu überprüfenden Grundschulen wurden Ende März im Bildungsministerium über die Leitlinien und den jetzt eingeleiteten Prozess informiert. Die Reaktionen reichten damals dem Vernehmen nach von Verständnis bis Ablehnung. Bis Ende September ist nun Zeit, ein Konzept vorzulegen, auf welche Weise eine Erhaltung der kleinen Grundschule auf eine tragfähige Grundlage gestellt werden kann. Danach sollen diese Konzepte von der ADD geprüft werden. Bei kontroversen Auffassungen entscheidet das Bildungsministerium. Wird eine Schulschließung beschlossen, soll der Unterricht bereits mit Beginn des Schuljahres 2018/19, also nach den Sommerferien nächsten Jahres, eingestellt werden.

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Zur Fürsprecherin der kleinen Grundschulen hat sich die CDU-Landtagsfraktion gemacht. «Kleine Grundschulen sind das Herz einer ländlichen Region», sagt die Fraktionsvorsitzende Julia Klöckner. «Wer kleine Grundschulen schließt, verschließt die Zukunft einer Region.» Die Fraktion hat dem Landtag eine Änderung des Schulgesetzes vorgelegt, der als Mindestgröße nicht mehr eine Klasse pro Jahrgang, sondern mindestens zwei Klassen insgesamt vorsieht. Dabei könnten etwa Schüler der ersten und zweiten Klassenstufe sowie der dritten und vierten Klassenstufe gemeinsam unterrichtet werden. Sogenannte Sprengelschulen mit mehreren Standorten müssen laut CDU-Entwurf nur an einem dieser Orte mindestens zwei Klassen bilden können. Nach baden-württembergischen Vorbild werden auch neue Modelle einer Zusammenarbeit zwischen Grundschulen und Kindertagesstätten angeregt.

Im Bildungsministerium wird betont, dass die vom Schulgesetz vorgegebene sogenannte Mindestzügigkeit – damals unter einer CDU-Regierung – mit Bedacht gewählt worden sei. So werde sichergestellt, dass es an einer Schule auch den nötigen fachlichen und pädagogischen Austausch im Lehrerkollegium, einen geregelten Vertretungsunterricht sowie Zusatzangebote wie Schulchor, eine Theatergruppe oder Fußball gebe.

Eine Online-Petition an den Landtag Rheinland-Pfalz, gestartet von Elternsprechern der Grundschule im südlich von Lieg gelegenen Mörsdorf, hat mehr als 25.000 Unterschriften gesammelt. An der Grundschule in Mörsdorf sei die gesetzliche Mindestgröße zuletzt vor 45 Jahren erreicht worden, erklärt Ortsbürgermeister Marcus Kirchhoff. Es könne ja wohl niemand behaupten, dass seitdem in Mörsdorf schlechte Bildungsarbeit geleistet worden sei.

Hubig: „Es bleibt der Grundsatz: kurze Beine, kurze Wege“ – kleine Grundschulen trotzdem vor dem Aus

Das macht auch niemand. An den kleinen Grundschulen im Land werde hervorragende Arbeit geleistet, betont das Bildungsministerium. Aber je kleiner eine Schule, umso enger seien eben auch die Grenzen des Machbaren und des pädagogischen Angebots. Eine Änderung des Schulgesetzes sei keine Lösung, wenn es darum gehe, eine Antwort auf den demografischen Wandel zu finden. Im Bildungsministerium wird auch darauf hingewiesen, dass von den rund 2300 eigenständigen Kommunen in Rheinland-Pfalz etwa 1.500 keine eigene Grundschule hätten.

«Wir dürfen unsere Kinder, die mehr wert sind als Geld und Zahlen, nicht nach momentaner Effizienz betrachten», mahnt Bürgermeister Zilles. Er hofft auf ein Umdenken im Bildungsministerium und auf die Erhaltung der Wendelinus-Grundschule. «Denn einmal geschlossene Bildungseinrichtungen bleiben auch auf Dauer geschlossen.» Von Peter Zschunke, dpa

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sofawolf
6 Jahre zuvor

Ich wünsche viel Erfolg.

Kleine Schulen zu erhalten, wäre mal eine Investition, die sich lohnt statt Geld an anderer Stelle aus dem Fenster zu werfen, das doch mehr schadet als nützt (Inklusion).

Schulen sollten im Normalfall 2-zügig sein, maximal 3-zügig, im Ausnahmefall 1-zügig. In Dörfern sollten diese Ausnahmefälle generell möglich sein.