Kita-Qualität: Der Personalschlüssel ist wichtig, aber nicht allein entscheidend

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GÜTERSLOH. Die Betreuungssituation in Kitas hat sich laut der am Montag (28.08.2017) veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung in den vergangenen Jahren etwas verbessert. Dabei gibt es allerdings deutliche regionale Unterschiede. Einige Bundesländer wehren sich gegen die Annahme, dass der Personalschlüssel die Betreuungsqualität bestimmt.

Sieht nett aus - ist aber tatsächlich harte Arbeit: der Erzieherinnen-Alltag. Foto: Thomas Pompernigg/Flickr (CC BY-SA 2.0)
Neben der Betreuungsrelation ist auch die Qualifikation der Fachkräfte ausschlaggebend für die Kita-Qualität. Foto: Thomas Pompernigg/Flickr (CC BY-SA 2.0)

Im März 2016 kümmerte sich ein Erzieher im bundesweiten Schnitt um 4,3 Krippenkinder, also um Nachwuchs unter drei Jahren. Zum Vergleich: Vier Jahre zuvor beaufsichtigte ein Mitarbeiter in der Krippe fast fünf Kinder (4,8). Die Bundesländer unterscheiden sich jedoch erheblich voneinander: Am besten war die Betreuungsrelation in Baden-Württemberg (1:3). Beim Schlusslicht Sachsen musste ein Erzieher doppelt so viele Kinder im Blick behalten (1:6,5).
In den Kindergärten kümmerte sich ein Mitarbeiter 2016 bundesweit rein rechnerisch um 9,2 Kinder – 2012 waren es fast zehn (9,8). Spitzenreiter ist auch hier Baden-Württemberg (1:7,2), Schlusslicht Mecklenburg-Vorpommern (1:13,7).

Wie wichtig ist der Personalschlüssel überhaupt?
„Der Personalschlüssel ist ganz zentral für die Qualität einer Kita“, sagt Susanne Viernickel, Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit an der Universität Leipzig. Es sei wissenschaftlich erwiesen: Je besser der Personalschlüssel ist, desto besser können sich Betreuer um die Kinder kümmern. „In der Folge entwickeln sich Kinder häufig besser“, sagt sie.

Wie ist der ideale Betreuungsschlüssel?
Das ist umstritten. Die Experten der Bertelsmann Stiftung halten bei Kindern unter drei Jahren einen Schlüssel von 1:3 für optimal, bei Kindern über drei von 1:7,5. Professorin Viernickel rechnet damit, dass Kinder im ersten Lebensjahr 1:2 betreut werden sollten. Ab dem dritten Geburtstag reiche eine Betreuung von 1:8 aus. Die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen fordert bei Kindern unter drei einen Schlüssel von 1:4.

Kommt es nur auf den Betreuungsschlüssel an?
Nein, sagt Professorin Viernickel und auch einige Bundesländer, die im Vergleich schlechter als andere abgeschnitten haben, wollen nicht, dass allein von der Betreuungsrelation auf die Betreuungsqualität geschlossen wird. Bayerns Familienministerin Emilia Müller (CSU) kritisierte, dass der Ländermonitor der „komplexen, verantwortungsvollen Aufgabe der Kinderbetreuung und dem Engagement der Betreuerinnen und Betreuer nicht gerecht“ werde. Nikolaus Voss, Staatssekretär im Sozialministerium in Schwerin, verwies auf den Ausbildungsstand des Personals. „Unser Land ist Spitzenreiter in der Qualifikation der Fachkräfte in der Tagesförderung.“ In Mecklenburg-Vorpommern hätten 92 Prozent einen Fachschulabschluss, etwa als Erzieherin. In den alten Bundesländern kümmerten sich auch fachfremde Betreuer um die Kinder. „Dort sind es gerade mal 67 Prozent mit einem Fachschulabschluss, die wiederum zum größten Anteil nur den Abschluss zum Kinderpfleger vorweisen können.“ Gerade die Qualifikation der Fachkräfte, das bestätigt auch Professorin Viernickel, sei neben dem Personalschlüssel für die Qualität der Kita wichtig. Entscheidend seien außerdem die Einstellungen der Fachkräfte sowie das Management im Team. „Möglicherweise hat auch die Größe einer Gruppe Einfluss auf die Qualität.“

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Wie viele Kinder werden eigentlich auswärts betreut?
2016 waren laut Angaben der Bertelsmann Stiftung 614.600 Kinder unter drei Jahren in einer Kita und 2.318.570 Kinder, die den dritten Geburtstag schon gefeiert haben. Bei diesen Angaben fehlen jene, die bei einer Tagesmutter untergebracht sind. Insgesamt wird etwa jedes dritte Kind unter drei Jahren auswärts betreut. Im Osten sind es anteilig deutlich mehr als im Westen. „Vor der Einschulung wird fast jedes Kind auswärts betreut“, sagt Kathrin Bock-Famulla von der Stiftung.

Was kostet das die öffentliche Hand?
2015 hat die öffentliche Hand nach den aktuellsten Daten 26,4 Milliarden Euro für die Kinderbetreuung ausgegeben. Hinzukommen Beiträge von den Eltern. Die Höhe des Elternbeitrags an den Gesamtkosten ist je nach Bundesland ganz unterschiedlich: In Sachsen-Anhalt tragen die Eltern 22 Prozent der Gesamtkosten – in Nordrhein-Westfalen sind es 9,5 Prozent.

Warum ist der Personalschlüssel im Westen besser als im Osten?
Den Personalschlüssel lege jedes Land selbst gesetzlich fest und er variiere, erklärt Bock-Famulla. Im Westen sei die Betreuung von Kindern unter drei Jahren lange nicht so üblich gewesen wie im Osten. „Als die Plätze im Westen dann neu geschaffen wurden, hat man sich vermutlich stärker an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert.“

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Was braucht es, um die Qualität in Kitas zu verbessern?
Die Bertelsmann Stiftung fordert, für einen weiteren Kita-Ausbau rund 4,9 Milliarden Euro jährlich bereitzustellen. Zudem würden 107.200 zusätzliche Fachkräfte benötigt. Eine rasche Befreiung der Beitragspflicht für Eltern sieht die Stiftung kritisch: „Erst wenn die Qualität stimmt (…), können wir die Beitragsfreiheit angehen“, so Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Der Paritätische Gesamtverband fordert eine bundesgesetzliche Regelung, um gute Qualitätsstandards in allen Ländern und Kommunen zu haben. Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert Investitionen von zusätzlich rund fünf Milliarden jährlich. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnt ein bundesweit einheitliches, verbindliches Kita-Qualitätsgesetz an. „Der Geburtsort eines Kindes darf nicht über dessen Bildungsweg entscheiden. Der Bund muss jetzt handeln“, forderte Björn Köhler, der im Vorstand der Bildungsgewerkschaft für Jugendhilfe und Sozialarbeit zuständig ist.

Was braucht es, um die Qualität in Kitas zu verbessern?
Die Bertelsmann Stiftung fordert, für einen weiteren Kita-Ausbau rund 4,9 Milliarden Euro jährlich bereitzustellen. Zudem würden 107.200 zusätzliche Fachkräfte benötigt. Eine rasche Befreiung der Beitragspflicht für Eltern sieht die Stiftung kritisch: „Erst wenn die Qualität stimmt (…), können wir die Beitragsfreiheit angehen“, so Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Der Paritätische Gesamtverband fordert eine bundesgesetzliche Regelung, um gute Qualitätsstandards in allen Ländern und Kommunen zu haben. Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert Investitionen von zusätzlich rund fünf Milliarden jährlich. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) mahnt ein bundesweit einheitliches, verbindliches Kita-Qualitätsgesetz an. „Der Geburtsort eines Kindes darf nicht über dessen Bildungsweg entscheiden. Der Bund muss jetzt handeln“, forderte Björn Köhler, der im Vorstand der Bildungsgewerkschaft für Jugendhilfe und Sozialarbeit zuständig ist. dpa

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GriasDi
6 Jahre zuvor

Natürlich ist der Personalschlüssel entscheidend.