„Schlicht kaum noch leistbar“: VBE versucht mit Online-Petition, auf die Not der Grundschulen hinzuweisen

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DÜSSELDORF. Lehrermangel einerseits, Herausforderungen wie Inklusion und Integration andererseits: Grundschulen klagen über schlechte Rahmenbedingungen. Vor allem die zunehmende Heterogenität der Schüler macht den Lehrern dort zu schaffen. Der VBE Nordrhein-Westfalen hat eine Online-Petition gestartet, mit dem nun Druck auf die Landesregierung gemacht werden soll, für Entlastung zu sorgen.

Nach dem Unterricht wartet die Schreibtischarbeit. Foto: Shutterstock
Nach dem Unterricht wartet die Schreibtischarbeit. Foto: Shutterstock

Dilan Neumann hat drei Kärtchen an die Tafel geklebt. Ein rotes und ein blaues Schulheft, Bleistift, Spitzer und Radiergummi sind darauf gemalt – so wüssten die Kinder, was sie als nächstes für den Unterricht bräuchten, erklärt die Lehrerin, die an der Maria Kunigunda Grundschule im Essener Stadtteil Karnap unterrichtet. Denn Bilder verstehen die meisten Kinder: Über die Hälfte der Schüler hier hat Migrationshintergrund, mindestens ein Drittel kommt aus sozial schwachen Familien. Mehr als jedes fünfte Kind ist ein Flüchtlingskind.

Der unterschiedliche Hintergrund der Schüler stellt die Lehrer vor Herausforderungen. Teilweise säßen bis zu 28 Kinder in den Klassen – zu viel, findet der Schulrektor, Udo Moter. Neben Lehrern fehlten psychologische Fachkräfte, Klassenassistenten und ausreichend Räume, um auf alle Bedürfnisse eingehen zu können. Zuletzt sei auch noch die Sprachförderlehrerin an eine andere Schule abgeordert worden. Seit knapp zwei Jahren appelliert Moter mit den anderen Schulleitern im Essener Norden an die Politik.

Wie Politiker die Wut der Eltern auf die Grundschulen anheizen – und damit allen Lehrern schaden

«Man möchte ja gerne schnell erklären und helfen» – aber Übersetzen etwa koste Zeit, berichtet Neumann aus dem Arbeitsalltag in Essen. Aufgaben müsse sie differenzierter stellen. Nach dem Unterricht geht die Arbeit weiter: Anträge müssten ausgefüllt werden, damit Kinder mit Förderbedarf die nötige Unterstützung erhielten. Das Bild des Lehrers, der vor der Klasse stehe und unterrichte – «das ist nicht mehr so, wie es früher mal war». Sie und ihre Kollegen stünden jetzt vor zahlreichen neuen und vielfältigeren Aufgaben.

In ganz Deutschland klagen Grundschulen über Probleme, wenn auch mit regionalen Unterschieden. Lehrermangel, Unterrichtsausfall, zu große Klassen und immer mehr Schüler mit Förderbedarf – die Lehrer stünden vor Aufgaben, «die schlicht kaum noch leistbar sind», sagt der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) in Nordrhein-Westfalen, Stefan Behlau. «Der Schuh drückt überall.»

„Arbeit endlich wertschätzen“

Im Oktober startete der VBE eine Online-Petition für bessere Rahmenbedingungen an den Grundschulen in NRW, die bis Freitagabend knapp 15.000 Unterschriften zählt. Grundschulen in NRW seien seit Jahren unterfinanziert, heißt es darin. „Unterstützen Sie unsere Forderungen für bessere Rahmenbedingungen an unseren Grundschulen. Die Ergebnisse der IQB-Studie sind erschreckend, aber für uns Lehrkräfte nicht überraschend. Es ist höchste Zeit, die Grundschulen nicht weiterhin massiv zu benachteiligen, sondern ihre Arbeit endlich wertzuschätzen und dies sowohl in der Bezahlung (A13/EG13) als auch in den übrigen Rahmenbedingungen auszudrücken.“ Der VBE fordert die schwarz-gelbe Landesregierung auf, kurzfristig einen umfassenden Maßnahmenkatalog vorzulegen.

VBE schreibt einen offenen Brief: Sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer – es hilft nicht, Grundschullehrer an den Pranger zu stellen…

Landesschulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte im Oktober – nach dem schlechten Abschneiden der NRW-Grundschüler in Mathe und Deutsch bei einer IQB-Studie – eine Reform des Unterrichts angekündigt. Der «Masterplan Grundschule» werde nach und nach erarbeitet, erklärte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage.

Nach wie vor würden Grundschullehrer schlechter bezahlt als die Kollegen am Gymnasium, bemängelt der VBE – obwohl an der Grundschule mit 28 Stunden die höchste Unterrichtsverpflichtung herrsche. Die Differenz liege zwischen 500 und 600 Euro pro Monat, sagt Behlau. Schon die Studenten achteten sehr genau darauf, «was am Ende dabei rumkommt.» Die Folge: «Es kommen nicht genügend Absolventen», sagt Behlau. Auch die Studienbeschränkungen seien zu hoch – in Köln beispielsweise liege der NC bei 1,3.

«Es kommen keine Bewerber», berichtet Schulrektor Moter von den letzten Einstellungsrunden an seiner Essener Grundschule. «Oder es kommen ein paar lustlose Bewerber, die 50 andere Stelleangebote haben und das Stellenangebot ablehnen.» Längst stellen Grundschulen deshalb sogenannte Seiteneinsteiger ein – also Fachkräfte ohne pädagogische Ausbildung. Diese könnten jedoch nicht eingesetzt werden wie ausgebildete Grundschullehrer, findet Moter. «Was wir jetzt brauchen sind vor allem mehr originär ausgebildete Lehrkräfte an den Schulen«, fordert auch Behlau.

Die Grundschullehrer sollen schuld sein? Das IQB-Desaster spiegelt vor allem eins: die völlig vermurkste Inklusion!

«An sich ist das ein Beruf, der sehr erfüllend ist», findet Grundschullehrerin Neumann. Ihre Kollegen seien sehr motiviert – ebenso die Schüler. «Die Kollegen nehmen die Herausforderung an, kämpfen mit den Kindern für die Kinder und die Ausbildung der Kinder.» Von Antonia Hofmann, dpa

Hier geht es zu der Online-Petition.

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xxx
6 Jahre zuvor

Den NC gibt es wahrscheinlich nicht umsonst. So unattraktiv scheint der Studiengang demnach zumindest zu Beginn nicht zu sein, die zu geringe Anzahl Absolventen hat also andere Gründe, vielleicht das Pflichtfach Mathematik. Als erste Maßnahme könnte man den NC auf 1,8 oder so senken.

Susanne Glotzbach
6 Jahre zuvor

Ich hatte gerade eine sehr tüchtige Praktikantin im 4. Semester. Sie beschrieb, dass die (Pflicht)Seminare derart überlaufen sind, dass erst Studis im 7. Semester rein dürfen.Alles zieht sich so enorm nach hinten raus. Dann das Betteln, einen der (überlaufenen)Prüfer zu finden. Dann eine Schule, in der man Kolleginnen findet muss, die für Gotteslohn und ohne Stundenentlastung eine Referendarinne nehmen möchte.
Wenn derart an der Ausbildung gespart wird, kann es noch ziemlich lange dauern, bis sich die Petsonaldecke entspannt.

Wilma Pause
6 Jahre zuvor

E i n e Referendarin?

Ich habe aktuell drei Referendarinnen und Referendare parallel im Schlepptau – für umme.
Dazu eine Fachobschaft plus Sammlungsleitung – ohne Funktionsstelle (für 0,5 SWS „Entlastung“).
Und ’ne Klassenleitung (ohne Entlastung) sowie ein Oberstufenkurs plus Abi-Korrekturen dürfen natürlich auch nicht fehlen.
Tja, und in den 5. Klassen sitzen exakt die Schüler, die noch vor ein paar Wochen Grundschüler mit all den von den dortigen Kolleginnen beschriebenen Problemen waren – und jetzt zum Gymnasium gehen und hier ihre Bücher ablecken und die Kordeln an ihrer Kleidung aufessen. (Kein Witz!)
In meiner achten Klasse sitzen ein Schüler, der kein Wort Deutsch spricht und auch keinen entsprechenden Kurs besuchen d a r f und ein Schüler, der schon mehrfach in klinischer Behandlung war. (Meterdicke Schülerakte, die ich anlegen durfte, damit das überhaupt möglich wurde. An die Schulpsychologin kommt man ohne eine solche Akte gar nicht ran, Schul-Sozialarbeiter „brauchen Gymnasien nicht“…) Eine Schülerin hat (trotz Mobbing-Präventionsprogramm in Kooperation mit der Polizei) die Klasse gewechselt – wegen Mobbings.

Aber sowas gibt’s ja alles nach Meinung vieler hier nicht auf den Gymnasien, weswegen wir Gymnasiallehrer davon ja auch keine Ahnung haben und sowieso nur an unsere Fächer denken.

Ulrike
6 Jahre zuvor
Antwortet  Wilma Pause

Sehe ich sehr ähnlich. Ich arbeite an einer Gesamtschule in der Sek.I und II. Und ehrlich gesagt habe ich exakt die von Ihnen beschriebenen Zustände plus eine noch extremere Heterogenität. Plus Korrekturen in der Oberstufe. Ich finde schon, dass die KuK in der GS mehr Geld verdienen müssen. Aber eine Gleichstellung halte ich für ungerecht.

GriasDi
6 Jahre zuvor
Antwortet  Wilma Pause

Zitat:
„weswegen wir Gymnasiallehrer davon ja auch keine Ahnung haben und sowieso nur an unsere Fächer denken.“

Leider wollen verschiedene Gruppen immer noch Fächer gegen Kinder ausspielen. Nur so ist der Spruch: wir unterrichten Kinder keine Fächer zu interpretieren. Nur: das eine geht ohne das andere nicht. Wer Kinder liebt und keine Ahnung vom Fach hat geht genau so baden, wie jemand der sein Fach liebt, aber Kinder hasst 🙂
Außerdem:
Aus der Zeitschrift für Pädagogik vom Januar/Februar 2017:
“Studierende des Gymnasiallehramts erzielen in den vier Skalen Lehren, Lernen und Entwicklung, Klassenführung
und Innovieren signifikant bessere Ergebnisse als Studierende der anderen Lehrämter”

So unpädagogisch, wie sie immer gemacht werden (vielleicht, wie bestimmte Gruppen sie auch gerne hätten) können Gymnasiallehrer also nicht sein.

Wilma Pause
6 Jahre zuvor

Ups: Ich schrieb ja nur von den Referendarinnen und Referendaren. Einen Praktikanten hatte ich Anfang des Schuljahres natürlich auch noch…

sofawolf
6 Jahre zuvor

@ Wilma und Ulrike,

das sehe ich auch so. Die 3-4 Grundschullehrer, die hier immer anderes behaupten, mögen das gerne mal (mit-)lesen!

Cavalieri
5 Jahre zuvor

„Teilweise säßen bis zu 28 Kinder in den Klassen – zu viel, findet der Schulrektor.“
So steht es oben im Artikel. Aber in früheren Jahrzehnten war das nicht etwa besser, sondern schlechter. Hier ist eine der seltenen Quellen zu älteren Zahlen. Es heißt, im Jahre 1965 waren an dieser Grundschule in Berlin (kleinbürgerliches Wohnumfeld, auch Arbeitergegend mit Sozialbauwohnungen) 13 Klassen mit 436 Schülern, also ein Durchschnitt von 33,5 pro Klasse. Das heißt aber, es hat vermutlich auch Klassen mit bis zu 40 Schülern gegeben, denn perfekt gleichmäßig verteilt sich das ja nicht auf die Jahrgangsstufen (nur eine Stufe hatte 3 Züge, die anderen nur zwei bei durchschnittlich 72,7 Schülern pro Stufe):
http://www.konkordia-grundschule.de/docs/SCHULPROGRAMM%20April%202018.pdf
So gesehen gab es damals natürlich einen größeren Lehrermangel als heute, weil es offenbar insgesamt weniger Lehrer pro 100 Schüler gab.
Für dieselbe Schule heute heißt es, dass 474 Kinder in 18 Klassen von 27 Lehrer/innen und 12 Erzieher/innen unterrichtet und betreut werden. Das ist ein Durchschnitt von 26,3 pro Klasse. Falls jemand über die Abkürzung „VHG“ stolpert, das heißt „verlässliche Halbtagsgrundschule“ und bedeutet eine Betreuung von 7:30 bis 13:30. Und die Digitalisierung scheint mit einem Computerraum und Internetanschluss bereits irgendwie realisiert zu sein.

ABC
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Nicht nur die Klassengröße spiellt bei der Not der Grundschulen eine Rolle.
Schulleiterin beklagt: Fünf erste Klassen und nur ein Kind spricht Deutsch
„Wir sind hier an der Front“, sagt Köllnische-Heide-Schulleiterin Astrid-Sabine Busse (61). „Wir sind arabisiert.“ Von wegen dritte, integrierte Migranten-Generation. „Man holt sich immer noch den Ehepartner aus dem früheren Heimatland. Wieder ein Elternteil, das kein Deutsch kann“, sagt sie.
https://www.bz-berlin.de/berlin/neukoelln/wir-sind-arabisiert-muttersprache-deutsch-fehlanzeige

xxx
5 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Damals galten Lehrkräfte wie alle anderen Erwachsenen auch aber noch als Autoritätspersonen. Eine „Vorlesung mit begleitender Übung“ und vielen Hausaufgaben, deren Erledigung die Eltern kontrollierten, funktioniert bei entsprechend erzogenen Kindern auch in 40er Gruppen. Zwei falsch erzogene Kinder können auch schon den Unterricht in 10er Gruppen unmöglich machen.