Warnschuss für die Politik: Rechnungshof mahnt offiziell an, Tempo der Inklusion an (Grund-)Schulen zu drosseln

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KIEL. Zu wenig Lehrer und Sonderpädagogen, ungeeignete Schulräume, Mängel bei der Barrierefreiheit: Der Landesrechnungshof Schleswig-Holstein hat die Inklusion an Grundschulen des Landes unter die Lupe genommen – und massive Defizite festgestellt. Der Bericht, dessen Ergebnisse auf andere Länder übertragbar sein dürften, ist der erste seiner Art in Deutschland. Die GEW fühlt sich an ihrer Kritik an der praktischen Umsetzung der Inklusion bestätigt. 

Der Landesrechnungshof stellt massive Defizite bei der Umsetzung der Inklusion in den Grundschulen fest. Foto: Shutterstock

Das hohe Tempo bei der Einführung von Inklusionsunterricht an Schleswig-Holsteins Schulen muss nach Ansicht des Landesrechnungshofs gedrosselt werden. Statt die Inklusionsquote weiter zu erhöhen, sollten erst bestehende gravierende Mängel bei den Rahmenbedingungen behoben werden, sagte die Präsidentin des Landesrechnungshofes (LRH), Gaby Schäfer, am Freitag in Kiel. Die Quote von etwa 70 Prozent sage noch nichts über die Qualität der Inklusion aus. Schäfer stellte den LRH-Bericht «Inklusion an Schulen» vor, den bundesweit ersten eines Landesrechnungshofs zu diesem Thema. Im Mittelpunkt des Berichts stehen die Grundschulen.

Mit Blick auf die Finanzschwäche Schleswig-Holsteins konstatierte Schäfer: «Die notwendigen personellen und sächlichen Ressourcen sind im System Schule auch auf mittlere Sicht nicht vorhanden.» Allein bei den Grundschulen fehlten viele Lehrer und etwa 1500 Sonderpädagogen.

Die Grundschullehrer sollen schuld sein? Das IQB-Desaster spiegelt vor allem eins: die völlig vermurkste Inklusion!

Da Sonderpädagogen im Norden nur in Flensburg ausgebildet werden, reichen dem Bericht zufolge deren Absolventen – etwa 100 im Jahr – nicht einmal aus, um die in Pension gehenden Sonderpädagogen zu ersetzen. Die Lücke werde sich auch nicht durch Lehrkräfte aus anderen Bundesländern schließen lassen. Dabei will die Landesregierung bis 2024 jährlich 70 neue Sonderpädagogen-Stellen schaffen, also 490 insgesamt.

Das Bildungs- und Wissenschaftsministerium betonte, die Europa-Universität in Flensburg habe im Bachelorstudiengang Sonderpädagogik die Zahl der Studienplätze von 120 auf 160 angehoben und im Masterstudiengang auf 82 Plätze. Und die Uni Flensburg erhalte 2018 eine zusätzliche Professur im Bereich Sonderpädagogik.

Zu den Reformvorschlägen des LRH gehört, dass künftig nicht nur in der ersten und zweiten Klasse, sondern auch in der dritten und vierten Klasse sogenannte Präventionsstunden (Tandemstunden mit Lehrer und Förderschullehrkraft) eingeführt werden. Die bisher zwei Präventionsstunden pro Woche in den beiden ersten Klassen reichten auch nicht aus. Notwendig wären auch ein verbindliches Zeitbudget für die notwendige Kooperation von Sonderpädagogen und Grundschullehrern.

Wenn Förderschüler eine ganze Schule tyrannisieren… Krasser Fall wirft die Frage auf: Wo sind die Grenzen der Inklusion?

«Wir brauchen Zeit, um uns abzustimmen und auf die Kinder zuzugehen – für die direkte Förderung ist keine Zeit», fasste eine Mitarbeiterin der Studie den Tenor der hoch engagierten Lehrkräfte an den befragten Grundschulen zusammen.

Viele Schulen sind der Studie zufolge baulich für den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Schülern nicht hinreichend geeignet. Es fehle etwa an Barrierefreiheit (Fahrstühlen) oder Kleingruppenräumen. Die für den Schulbau zuständigen Kommunen könnten den finanziellen Aufwand dafür nicht allein schultern. Die Regierung müsse zur Unterstützung ein umfangreiches Schulbauprogramm in Millionenhöhe auflegen. Und es sollten Musterraumprogramme konzipiert und eine fachliche Beratungsstelle des Landes gegründet werden.

Außerdem schlägt der LRH einen Modellversuch für die Grundschulen vor. Dabei sollen beim jeweiligen Schulamt die verschiedenen Kräfte – Lehrer, Sonderpädagogen, Schulbegleiter, schulische Assistenzen und Erzieher – koordiniert und bedarfsgerecht eingesetzt werden.

Wir brauchen jetzt eine breite Debatte über die Inklusion – sonst droht ihr das Schicksal von G8

Bildungsministerin Karin Prien (CDU), seit Juni im Amt, würdigte den LRH-Bericht als «kritische Analyse zum Stand der nicht bis zum Ende durchdachten, aber schnell eingeführten Inklusion». Inklusion dürfe nicht alleiniges schulpolitisches Ziel sein: «Mehr Unterricht an den Grundschulen, die Unterrichtsversorgung an allen Schulen und vieles mehr stehen auf unserer Agenda mindestens gleichwertig ganz oben.»

Zudem verwies Prien darauf, dass neben den 490 zusätzlichen Stellen für Sonderpädagogen die schulischen Assistenzsysteme neu geordnet werden und eine bessere Bedarfsorientierung in der Lehrkräfteversorgung angestrebt werde. Zur Umsetzung der Inklusion gebe es Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden. Der Vorschlag einer zentralen Beratungsstelle ziele in die richtige Richtung. Die SPD – die bis Juni das Bildungsministerium innehatte – lobte den Bericht als gute Grundlage für eine Versachlichung der Inklusionsdebatte. Der LRH mahne zu Recht eine Antwort auf die Frage an, wo die Ziele dieser Landesregierung liegen, sagte der bildungspolitische Sprecher der SPD, Martin Habersaat. dpa

 

Das meint die GEW

In einer Pressemitteilung der GEW heißt es: „Seit vielen Jahren setzt sich die Bildungsgewerkschaft GEW für eine bessere personelle Ausstattung der Inklusion an den Schulen in Schleswig-Holstein ein. Jetzt erhält sie Unterstützung von eher unerwarteter Seite. Der Landesrechnungshof hat nämlich in seinem heute in Kiel vorgestellten Bericht festgestellt, dass 1568 Lehrerstellen fehlen, um an den Schulen die sonderpädagogische Förderung sicherzustellen.

‚Landesrechnungshof und GEW liegen bei Berechnungen ja nicht oft auf einer Linie. Deshalb erfüllt es uns natürlich mit einer gewissen Genugtuung, dass der Landesrechnungshof unsere jahrelange Forderung nach zusätzlichen Stellen für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen mit seinem Bericht untermauert‘, äußerte sich die GEW-Landesvorsitzende Astrid Henke zum Rechnungshofbericht.

Die bisherigen Pläne der schwarz-grün-gelben Regierungskoalition reichen aus ihrer Sicht nicht aus, um die sonderpädagogische Förderung in Regelschulen und Förderzentren zu stärken. ‚Die Jamaika-Koalitionäre wollen innerhalb von sieben Jahren nur rund ein Drittel der benötigten Sonderschullehrerinnen und –lehrer einstellen. Das ist einfach zu wenig. Mit dieser schlappen Zielmarke dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Schließlich geht es um Kinder und Jugendliche, die Anspruch auf sonderpädagogische Förderung haben‘, so Astrid Henke wörtlich.

Mit der Schaffung von Stellen allein sei es aber nicht getan, denn Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen fehlten an allen Ecken und Kanten, sagte die GEW-Landesvorsitzende. Um dem Mangel abzuhelfen, plädierte sie für:

  • die Bereitstellung von höheren Ausbildungskapazitäten,
  • die Etablierung eines qualifizierenden weiterbildenden Studiums während der Arbeitszeit für Lehrkräfte anderer Schularten,
  • die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen, zum Beispiel durch die Einführung von Kooperationsstunden für Grundschulen und Gemeinschaftsschulen.

„Wir müssen die Arbeitsbedingungen in Schleswig-Holstein für Sonderpädagoginnen und –pädagogen so attraktiv gestalten, dass alle Lust haben, in Schleswig-Holstein zu bleiben oder nach Schleswig-Holstein zu kommen.“

Zustimmung findet bei der GEW-Landesvorsitzenden der Vorschlag des Landesrechnungshofs, die Prävention in den Grundschulen unabhängig vom festgestellten Förderbedarf zu stärken. Das sei ein guter Ansatz, dürfe aber nicht zu Lasten der Kinder in den Förderzentren oder in den Gemeinschaftsschulen gehen. Interessant sei auch die Anregung des Rechnungshofs, Modelle für Schulbegleitung und Schulassistenz zu entwickeln.“ 

 

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OMG
6 Jahre zuvor

Respekt. Das scheint eine schonungslos peinlich Bestandsaufnahme zu sein. In Hessen sieht es vergleichbar schlimm aus, auch wenn die Inklusionsquote deutlich niedriger ist. Aber peinlich bleibt peinlich.

sofawolf
6 Jahre zuvor

ZITAT: „Rechnungshof mahnt offiziell an, Tempo der Inklusion an (Grund-)Schulen zu drosseln.“

Das klingt gut. Nun gibt es ein weiteres Argument.

Vor allem aber sollten Förder- und Sonderschulen erhalten bleiben, wo es sie noch gibt – für „Spezialfälle“.

OlleSchachtel
6 Jahre zuvor

Wie überall in Deutschland. Zum Nulltarif sollte die Auflösungen der Sonderschulen vorangetrieben werden. Man hat den Spargedanken verfolgt. Ich finde es ein Unding, dass in einer Klasse mit IN Kindern, wie es bei uns heiß, bei der selben Klassengröße bleibt. Die Sonderpädagogin ist je nach „Aufwand“ eventuell nur ein bis zwei Stunden pro Woche anwesend und die Kolleginnen, müssen dann nicht nur den üblichen Wahnsinn regeln, sondern die IN Kinder voll mit versorgen (ein Ding der Unmöglichkeit bei 28 Schülern)
Die Zahlen an Schulen werden nur noch statistisch ausgewertet, jedoch nicht der menschliche Faktor. Doch wo es um Menschen geht (und im Besonderen um schutzbedürftige Kinder) kann ich nicht mit reinen Zahlen rechnen und Lehrerstunden zuordnen. Nach wie vor wird von der Politik um den heißen Brei herumgeredet und weiterhin (wie schon seit 15 Jahren) die Augen verschlossen, dass man investieren muss, wenn man voran kommen will.
Nicht die falschen Methoden (die gar nicht überall eingesetzt wurden) sind Schuld an der Misere, sondern das verschließen der Augen vor großen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen. Eine alleinerziehende Mutter (und derer gibt es viele) kann unmöglich einen Vollzeitjob ausüben, einen Haushalt führen und noch ständig mit dem Kind(ern) alles aufarbeiten was man in der Schule nicht schafft (nicht schaffen kann). Es wird in der Grundschule eben nicht mehr nur Wissen wir lesen, schreiben und rechnen vermittelt. Umgang miteinander, Verhalten in gesellschaft anderer Menschen, die Entwicklung von Einfühlungsvermögen und der Erkenntniss der Rechte anderer (in einer Demokratie eventuell dringend benötigt) nehmen viel Raum ein. Sich richtig Streiten, sich richtig Ernähren, sich Pflegen, sich im Öffentlichen Raum zurecht finden, dass und vieles mehr vermittelt die Grundschule. Ganz nebenbei noch wie man ein Lineal hält, wie man seine Blätter abheftet, wie man in Texten wichtiges von unwichtigem Unterscheidet und markiert. Wie man etwas auswendig lernt, wie man ein Blatt locht, einen Stuhl trägt,….
Und jetzt sind da Kinder, die benötigen noch viel mehr Unterstützung bei den alltäglichen Dingen. Sie können den Po nicht abwischen und kommen (nich in Klasse 3) mit dem Anziehen nach dem Sport oder Schwimmunterricht nicht zurecht.
Wie kann ich da helfen, während der Rest der Klasse eventuell unbeaufsichtig umherspringt?

Schulen falsch eingerichtet, vom Kleiderhaken bis zum Fahrstuhl, die Klassen zu groß, die Förderung bleibt auf der Strecke. Die Folge ist, dass die IN Kinder weiter an den Rand der Gesellschaft gerückt werden und damit der gesamte Grundgedanke der Inklusion verfehlt wird.
Armes Deutschland und da wundert sich die Politikerriege über Protestwähler….

ysnp
6 Jahre zuvor
Antwortet  OlleSchachtel

So ist es, OlleSchachtel. Das sehe ich alles genau so.
Wenn ich den Punkt Demokratieerziehung herausgreife: Das muss schon in der Grundschule anfangen. Von der Tendenz her sind alle Grundschüler kleine Egoisten; es wird keine Verantwortung für eigenes Tun übernommen, Recht hat man nur selbst. Was nämlich gerade nachkommt, ist eine Gesellschaft von Egoisten. die im Äußern „alternativer Fakten“ zum eigenen Vorteil ohne mit den Wimpern zu zucken ziemlich geübt ist (sieht man zudem teilweise bei der aktuellen Elterngeneration verstärkt im Vergleich zu „früher“).
Wir müssen immer mehr Grundschülern mühsam beibringen, dass zu Rechten auch Pflichten gehören, dass man für ein Zusammenleben mit anderen etwas einbringen muss, dass die Meinungen von anderen wahrgenommen werden müssen, dass Ehrlichkeit für Streitlösungen Voraussetzung ist, dass Kompromisse zu schließen sind usw. So wie ich mir in den letzten Jahren den Mund fusselig rede bei den Schülern und dennoch wird weiter zum eigenen Vorteil unlogischerweise argumentiert, musste ich in früheren Zeiten nie bzw. nur in Ausnahmefällen. Um ehrlich zu sein, ohne jetzt unken zu wollen, mir graut es davor, wenn diese Kinder erwachsen sind und die letzten Vernünftigen untergehen, weil sie vielleicht in der Minderheit sind.

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Das sind auch die Nachteile diverser Einzelkinder (und Kindern von Einzelkindern), die darüber hinaus aus beruflichen Gründen von Betreuungsperson zu Betreuungsperson durchgereicht werden (Eltern, Großeltern, KiTa, Tagesmutter, Tanten usw. im täglichen Wechsel). Die Kinde lernen ganz schnell, von jeder Person das beste für sich selbst herauszuholen. Außerdem wollen die unterschiedlichen Personen natürlich immer das Beste für das Kind, häufig nur auf materieller Basis.

ysnp
6 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Ja, das ist eine Ursache von vielen. Ich stelle allerdings so gut wie keinen Unterschied zwischen Einzelkindern und Kindern, die Geschwister haben, fest. Also muss es dafür noch andere Gründe geben. Für mich ist das eher eine Erziehungsfrage bzw. wie Eltern mit ihren Kinder umgehen, wie und wo sie eingreifen, was sie durchlassen, was sie in ihrem eigenen Stress leisten können, wollen, die Beratungsbereitschaft bzw. -resistenz gegenüber Erzieherinnen (da fängt es nämlich schon an) – das ganze häusliche Drumherum…..

Axel von Lintig
6 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Die Schüler sind so ,wie sie sind und da macht man es sich zu einfach die schlechten Ergebnisse auf die Sozialisation der Schüler zurückzuführen.Die Ergebnisse hier vor Ort sind eindeutig Methoden bedingt und diese werde ich nicht noch einmal ausführen.
Ich stimme Ihnen aber uneingeschränkt bei der Wirkung der chaotischen Inklusion auf die Lernergebnisse der Risikogruppen zu und lehne diese Art Sparpolitik an der nächsten Generation rund herum ab.Hinzu kommt die Vielzahl an Sprach fremden Schülern, die primär erst an die deutsche Sprache und Kultur herangeführt werden müssen. Derartiges können Lehrer nicht alleine leisten.
Und dennoch wünsche ich mir ein Umdenken in der Schulpädagogik der ersten beiden Schuljahre in meiner näheren Umgebung mit einem strukturierten und gezielten Heranführen an das automatisierte Lesen und Schreiben ohne eine falsche Fehlerkultur nach Sommer-Stumpenhorst/Brügelmann/Reichen.
Und ich fordere die Unterstützung der Eltern mit ein, in der Verbindung von Pflichten und Rechten der Schüler, welche von zu Hause aus zu vermitteln sind.

Palim
6 Jahre zuvor
Antwortet  OlleSchachtel

Stimmt, ich sehe es auch so.
Und ysnps Beitrag zum allgemeinen Egoismus kann ich ebenfalls bestätigen und habe selbst bereits Klassen vor Augen, in denen schon jetzt die „vernünftigen“ Eltern in der Minderheit sind. Vermutlich bestätigen sich die anderen Eltern gegenseitig in ihrem Tun.

Da geht es auch nicht darum, dass es früher auch schon Migranten gab – wie schon in einem anderen Beitrag genannt: es geht nicht um die 3-5 Migranten pro Klasse.
Es geht um viel mehr, aber Migration und Inklusion verschärfen die Lage zusätzlich.

Es geht darum, dass sehr vielen Kindern sehr vieles egal ist und sie eigentlich den ganzen Tag nur spielen oder sich berieseln lassen möchten. Sie sind nicht bereit, sich für irgendetwas anzustrengen, wird es dann auch noch aus ihrer Sicht herausfordernd oder knifflig, lassen sie gleich den Stift fallen. Da reicht es schon, wenn den Kindern auf den ersten Blick die Aufgaben nicht gefallen oder scheinbar zu viele sind.

Es geht darum, dass viele Kinder nicht gelernt haben, dass es Regeln gibt und man diese auch einfordert und durchsetzt und man nicht mit jedem Kind um jede Regel so lange diskutiert, bis das Kind seinen Willen bekommen hat.
Und auch darum, dass man sich als Lehrkraft genau dafür, dass man mit Regeln den Schulalltag strukturiert und zivilisiertes Zusammenleben und Lernatmosphäre schafft, rechtfertigen muss, wenn SuS, die sich nicht daran halten, anschließend vor den Eltern Halbwahrheiten zu ihren Gunsten auslegen.

Es geht darum, dass heutzutage sehr viele zusätzliche persönliche Schwierigkeiten mit in die Schule gebracht werden. Klar, Scheidungskinder oder kranke Kinder gab es früher auch. Aber heutzutage haben erheblich mehr Kinder Schwierigkeiten. Meiner Meinung nach hat es durchaus seine Berechtigung, dass Krankheiten, Störungsbilder und weitere Probleme bekannt sind und angemessen berücksichtigt werden, aber dies bedeutet nicht, dass die Schule allein daran oder damit arbeitet und Allheilmittel zur Verfügung stellt, und ebenfalls nicht, dass man darüber eine allumfassende Entschuldigung vor sich herschieben kann, dass man sich für nichts anstrengen, um nichts kümmern und an nichts halten muss.

„Nicht die falschen Methoden (die gar nicht überall eingesetzt wurden) sind Schuld an der Misere, sondern das verschließen der Augen vor großen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen.“

DAS genau ist der Punkt.
Da geht es gar nicht vorrangig um Inklusion, Migration und auch nicht um irgendeine Methode.
Es geht darum, dass Grundschulen zwar alles aufgebürdet wird, niemand aber auch nur im Ansatz begreifen will, dass dies alles ohne weitere Unterstützung nicht zu schaffen ist.

Cavalieri
6 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

„… dass es früher auch schon Migranten gab … : es geht nicht um die 3-5 Migranten pro Klasse.“

Im bundesweiten Durchschnitt haben von den Grundschulkindern und Vorschulkindern mittlerweile 35 – 40 % einen Migrationshintergrund. Und das verteilt sich keineswegs gleichmäßig. So steht es auch im Bildungsbericht 2016 der Bundesregierung. In einzelnen Städten haben wir 50 – 70 %, und auch die verteilen sich nicht gleichmäßig auf die Stadtteile. In 20 Jahren gilt dasselbe dann für die Bevölkerung unter 30. Überspitzt gesagt: Deutschland wird allmählich ein Volk von Migranten und deutschen Rentnern. Unsere Politiker sprechen nicht davon, weil das nicht die laufende Legislaturperiode betrifft.

Palim
6 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Ja, das stimmt.
Ich wollte aber darauf verweisen, dass die jetzigen Probleme nicht daher rühren, dass in den letzten 2 Jahren Flüchtlinge in die Klassen gekommen sind.

Es ist zu einfach, die Probleme auf einzelne Aspekte zu lenken und damit immer und immer wieder „einfache“ Problemlösungen in den Vordergrund zu setzen.

Selbst wenn man die Inklusion zurückdrehen, die aktuellen Migranten in Sprachlernklassen isolieren und die Methode LdS verbieten würde, wären die Probleme in den Grundschulen noch immer nicht angegangen.
Da braucht es andere Anstrengungen…
… und zusätzlich auch Hilfen hinsichtlich Inklusion und Migration.

bolle
6 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Sie haben Recht. Die Migrantenkinder sind nicht das alleinige Problem, aber eins kommt zum anderen. Insofern verschärfen sie die ohnehin schwierige Lage an den Schulen ebenso wie die Inklusion.
Das Bündel aller Probleme wird nicht auf einen Schlag zu lösen sein. Darum halte ich es durchaus für sinnvoll, ein Problem nach dem anderen anzugehen und nicht auf einen Rundumschlag zu hoffen oder setzen, der alles auf einmal ins Reine bringt. Das ist illusorisch.
Vielleicht nennen Sie mal konkret, was Sie als die alles überragenden Probleme ansehen. Ihr Kommentar bleibt mir in diesem Punkt zu sehr im Ungewissen.

Palim
6 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

@bolle

„Das Bündel aller Probleme wird nicht auf einen Schlag zu lösen sein.“
Ja. Das sehe ich auch so.
Aber um so größer sollten die sofortigen Anstrengungen sein, die Schulen zu unterstützen statt unentwegt die tägliche mühevolle Arbeit in Zweifel zu ziehen oder in Abrede zu stellen.

„Darum halte ich es durchaus für sinnvoll, ein Problem nach dem anderen anzugehen und nicht auf einen Rundumschlag zu hoffen oder setzen, der alles auf einmal ins Reine bringt. Das ist illusorisch.“
Ebenso illusorisch finde ich, eines nach dem anderen anzugehen zu wollen. Womit soll man anfangen und worauf muss man bis St. Nimmerlein warten?
Eine Verbesserung wird sich nur einstellen, wenn man sich der komplexen Probleme endlich stellt und nicht meint, mit winzigen Maßnahmen alles verändern zu können.
Das wird nie ausreichen! Da können wir dann weiterhin zu sehen, wie ein Schulsystem an die Wand fährt!

„Vielleicht nennen Sie mal konkret, was Sie als die alles überragenden Probleme ansehen. Ihr Kommentar bleibt mir in diesem Punkt zu sehr im Ungewissen.“
Für mich ist das überragende Problem, dass es gar nicht die einzelnen sind. Nicht die aktuellen Flüchtlinge, nicht die einzelnen inklusiven Kinder, deren Unterstützungsbedarf wirklich festgestellt wurde (werden durfte!), nicht die Kinder mit Migrationshintergrund allein, da etliche deutsche Kinder auch besonders auffällig in ihrer „Spracharmut“, Konzentrationsspanne etc. sind.

Überragend für mich ist, dass zurzeit fast jedes Kind irgendeinen „Bedarf“ hat, etwas, worin es Unterstützung benötigt, worauf geachtet oder eingegangen werden muss, wo es Förderung/ Herausforderung benötigt oder viele Gespräche mit vielen verschiedenen Partnern. Das ist weder am Vormittag in der Klasse noch am Nachmittag allein zu leisten.
Da helfen auch keine Fortbildungen, Evaluationen oder sonstige weitere Aufgaben, die die Zeit noch mehr verknappen, die ohnehin auch noch mit Konzepten, Curricula und vielen anderen Tätigkeiten der Schulverwaltung belastet wird.
Hinzu kommt durch den Lehrermangel, dass jede zusätzliche Stunde, die aufwändig beantragt werden muss, doppelt und dreifach auf den Prüfstand kommt und auch diese Stunden nicht mehr zugeteilt werden.
Hinzu kommt auch, dass zu diesen „Prüfungen“ gehört, dass man im halbjährlichen Rhythmus andere Antragsformulare oder Bedingungen erhält, in die man sich immer wieder neu einarbeiten muss, wodurch das Antragsverfahren noch umständlicher wird.

Helfen würden sofortige Unterstützung durch zusätzliche Kräfte, z.B. Gesundheitsämter, die nicht allein Empfehlungen aussprechen, sondern Rezepte ausstellen dürften oder Förderung verordnen – nicht nur im vorschulischen, sondern auch im schulischen Bereich.
Helfen würden Therapeuten, die diese Förderung umfassend übernehmen, statt den Lehrkräften Förderpläne anzuordnen, deren Förderung immer aber unterrichtsimmanent erfolgen muss.

Helfen würden zusätzliche pädagogische Kräfte in den Klassen, die vielleicht nicht selbst planen, aber viel Arbeit abnehmen, sodass die Lehrkraft nicht alles auf einmal und gleichzeitig erledigen muss, sondern auch mal Kleingruppen unter die Fittiche nehmen kann, ohne alle anderen im Nacken zu haben, oder umgekehrt: angeleitete Kleingruppenarbeit in die Verantwortung einer 2. Person zu geben, während die Lehrkraft selbst sich um die anderen Kinder kümmert.

Axel von Lintig
6 Jahre zuvor
Antwortet  Cavalieri

Da braucht nur ein Ehepartner ausländische Wurzeln haben,und schon ist ein Migrationshintergrund gegeben.
Das bedeutet aber noch lange nicht, dass diese Kinder ein Problem darstellen .
Das Problem stellen dann wohl eher die Kinder aus einer spracharmen,vom übermäßigen Medienkonsum gezeichneten Kinder dar.
Es hängt viel vom Bildungsstatus der Eltern ab,was aus den Kindern wird.
Wer es verpasst seine Kinder in eigenständiges Arbeiten in Selbstverantwortung zu führen,kann diese auch nicht zu pflichtbewussten Individuen in der Verantwortung für andere erziehen.

Axel von Lintig
6 Jahre zuvor
Antwortet  Axel von Lintig

spracharmen Umgebung

Cavalieri
6 Jahre zuvor
Antwortet  Axel von Lintig

„Da braucht nur ein Ehepartner ausländische Wurzeln haben,und schon ist ein Migrations-hintergrund gegeben.“

In der Statistik der Vergleichstests schlägt sich das aber tatsächlich nieder. Schauen Sie nach. Natürlich sind da deutsche Männer dabei, die eine Japanerin heiraten, aber eben auch türkische junge Männer (in D geboren), die eine Jungfrau aus Ostanatolien „arrangiert“ heiraten. Zu den „Mischehen“ gibt’s auch Statistiken, und die besagen, dass die Türken überwiegend unter sich bleiben, andere Zuwanderer viel weniger. Anders wäre es besser. Der beste Beitrag zur Integration sind Mischehen. Die Kinder wachsen dann gleich zweisprachig auf.

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  Axel von Lintig

cavalieri spricht genau die Heuchelei beim Begriff Migrationshintergrund an. mischehen und japaner sind selten gemeint, häufig aber Türken und Kulturen ähnlicher Sozialisation. Mit abnehmenden Bildungsgrad nimmt auch deren Kompatibilität mit der „westlichen“ Lebensweise tendenziell ab.

dickebank
6 Jahre zuvor
Antwortet  Axel von Lintig

Begriffsungnauigkeit – der Blödsinn ist, dass unter Migration alles Mögliche zusammengefasst werden kann.

Wer innerhalb der Bundesrepublik umzieht ist ja ebenfalls ein (Binnen-)Migrant. Wer innerhalb der EU-/des Schengenraumesumzieht ist zwar Migrant, macht aber von seiner Reise- bzw. Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU Gebrauch.

Die Verkürzung: Migrant = Flüchling oder Asysuchender bzw. Zuwanderer ist das Unredliche an der Debatte.

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  Axel von Lintig

@dickebank

Migration ist die reine Wanderung, mit Migrationshintergrund werden aber meistens die Probleme _gemeint_, die von (weit) außerhalb eingewanderte Personen machen. Leider sind das oft mehr oder weniger radikale Muslime, deren Ansichten nicht zum agnostischen bis atheistischen Stil in Westeuropa passen.

Genauso wie besonders die Grünen mit Diversität die positiven, mit Heterogenität die negativen Aspekte der heutigen Gesellschaft insbesondere in Großstädten betonen.

Axel von Lintig
6 Jahre zuvor
Antwortet  Axel von Lintig

In unserem Bildungssystem hat die soziale Herkunft der Eltern den entscheidenden Einfluss auf die berufliche Zukunft ihrer Kinder,und das ist bereits nachgewiesen worden.
Wenn sich das Klientel der Schüler derart ändert,dass diese zunehmend unselbständiger sind,so wird es erforderlich sein, die Methoden in eine mehr vom Lehrer gesteuerte Richtung zu lenken.
Das bedeutet eben in den ersten Schuljahren mehr mit direkter Instruktion,feedback und Lehrer gesteuerten Methoden zu arbeiten.
Noch einmal ist zu bemerken, dass das Schülerkollektiv ein Ist-Faktor darstellt.Einfach mit den Konzepten nach Brügelmann/Spitta weiter zu unterrichten führt in die Katastrophe für die große Gruppe der Risiko-Kinder.
Und dann kommt noch diese dilettantische Inklusion hinzu,welche die gesamte Situation für alle Beteiligten noch verschlimmert.

Cavalieri
6 Jahre zuvor
Antwortet  Axel von Lintig

Die Schulvergleichs-studien unterscheiden heutzutage auch nach anderen Kriterien als dem „offiziellen“ Migrations-hintergrund. Zum Beispiel geht es darum, ob zu Hause in der Regel Deutsch gesprochen wird oder nicht. Und es gibt erstaunlich viele, wo das nicht der Fall ist. Dass diese Kinder dann im Deutschunterricht Probleme haben, verwundert nun wirklich nicht.

Palim
6 Jahre zuvor
Antwortet  Axel von Lintig

Es gibt auch erstaunlich viele Kinder, in deren Familien zwar Deutsch gesprochen wird, aber offenbar so wenig, dass die Kinder mit einem verringerten Wortschatz kommen und – obwohl sie Deutsch sprechen – Arbeitsanweisungen und vieles anderes nicht verstehen.
Das hat mit Migration gar nichts zu tun.

xxx
6 Jahre zuvor

Wolfgang M. Schmitt veröffentlicht regelmäßig sehr philosophische Rezensionen von Kinofilmen. Bei seiner Kritik über den Film „Coco – Lebendiger als das Leben“ spricht er über eine inklusive Gesellschaft und die negativen Folgen davon:

https://www.youtube.com/watch?v=w1PdptQi_7E

Man kann seine Äußerungen problemlos auf die Bildungslandschaft mit der bedingungslosen Inklusion behinderter Schüler übertragen. Sehr hörenswert, wie ich finde, und eine schallende Ohrfeige für die Inklusionsbefürworter nicht nur in Bildungsfragen.

Wilma Pause
6 Jahre zuvor

Wie sehr die schulische Radikalinklusion mittlerweile in Frage gestellt wird, zeigt auch dieser Kommentar aus Niedersachsen.
https://www.noz.de/lokales/melle/artikel/991119/foerderschule-in-melle-ist-ein-muss

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  Wilma Pause

Danke für den Link. Die Bildungspolitiker und Inklusionsbefürworter glauben fälschlicherweise, dass Menschen mit Behinderung durch den Mittleren Schulabschluss oder das Abitur vollständig integriert sind.

Sophia St.
6 Jahre zuvor

@Wilma Pause
Auch ich möchte für den Link danken. Der Artikel spricht mir aus der Seele, vor allem der Schluss:
„Denn die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am Arbeitsleben hängt von den Fähigkeiten ab, die die Schüler in ihrer Schulzeit lernen. Um diese Schüler bestmöglich auf ein selbstständiges Leben vorzubereiten, braucht es mehr als ein paar Stunden zusätzliche Förderung, wie sie die Inklusionskinder an den Regelschulen erhalten. Deshalb sind Förderschulen heute mehr denn je ein Muss als ein Kann in der Schullandschaft.“

Da auch ich die häufig zitierte „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ in der langen Zeit nach der Schule sehe und nicht in den relativ wenigen Schuljahren, habe ich die Lästerei mit „Ausgrenzung“, „Abschiebung“ oder „Verwehren der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ nie verstanden und als Ignoranz gegenüber dem empfunden, was die Kinder tatsächlich für ihr späteres, möglichst selbstständiges Leben brauchen.
Außerdem ist mir schleierhaft, was Schule und Schulform mit „gesellschaftlichem Leben“ zu tun haben. Schon als Kind spielte sich für mein Empfinden das gesellschaftliche Leben viel mehr außer- als innerhalb der Schule ab, egal, um welche Schule es sich handelte.

Heike
6 Jahre zuvor
Antwortet  Sophia St.

Ihrer Meinung stimme ich vorbehaltlos zu.