Brutale PC-Spiele bei aggressiven Grundschülern beliebt

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LÜNEBURG. Führt ausgiebiger Kampf auf dem Flachbildschirm auch im realen Leben zu aggressivem Verhalten? Zwei aktuelle Studien räumen den Verdacht zumindest nicht aus.

Grundschulkinder, die durch aggressives Verhalten auffallen, spielen deutlich lieber als ihre Klassenkameraden Computer- oder Videospiele mit brutalen Inhalten. Dieses Verhalten verfestigt sich mit fortschreitendem Alter. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der Leuphana Universität Lüneburg und der Universität Hohenheim in einer aktuellen Studie. Die Wissenschaftler hatten mehr als 300 Dritt- und Viertklässler im Abstand von einem Jahr zu den von ihnen favorisierten Spielen befragt.

Abstumpfend? Screenshot aus dem Computerspiel "doom 3".
Abstumpfend? Screenshot aus dem Computerspiel "doom 3".

Ergebnis der Studie: Computer- und Videospiele stehen schon bei Grundschulkindern hoch im Kurs. 91 Prozent der Acht- bis Zwölfjährigen hatten bei den zwei Befragungen mindestens ein digitales Lieblingsspiel. Der Spielemix aggressiver Mädchen und Jungen ist gewalthaltiger als der ihrer Klassenkameraden. „Die weniger aggressiven Klassenkameraden probieren zwar auch gewalthaltige Spiele aus, entwickeln aber seltener eine Präferenz für dieses Genre“, sagt Jens Vogelgesang von der Universität Hohenheim.

Bei aggressiven Kindern besteht das Risiko, dass sich ihre Vorliebe für brutale und blutige Bildschirmspiele mit der Zeit verfestigt. Der Umkehrschluss gilt jedoch nicht: Die Forscher konnten keine Belege dafür finden, dass sich das Spielen der gewalthaltigen Spiele auf die Aggressivität der Grundschulkinder auswirkt. „Das ist die medienpädagogisch gute Nachricht unserer Studie“, resümiert Jens Vogelgesang. „Allerdings gilt das ausdrücklich nur für die von uns erstmals in einer Wirkungsstudie untersuchte Altersgruppe der Acht- bis Zwölfjährigen.“

Bei älteren Jugendlichen sind negative Auswirkungen brutaler Bildschirmspiele auf das Verhalten dagegen sehr wohl belegt. Die Entwicklungspsychologin Maria von Salisch von der Universität Lüneburg möchte denn auch keine Entwarnung geben: „Wir können nicht ausschließen, dass eine verfestigte Vorliebe für gewalthaltige Bildschirmspiele nicht vielleicht doch im Laufe einer Spielerkarriere zu einer größeren Gewaltbereitschaft führen kann.“

An der Studie nahmen 324 Dritt- und Viertklässler aus verschiedenen Stadtvierteln Berlins teil. Die Kinder sollten im Abstand von einem Jahr unter anderem zu ihren Spielgewohnheiten Auskunft geben. Außerdem sollten sie Mitschüler benennen, die aus ihrer Sicht durch Schimpfworte oder durch Handgreiflichkeiten wie Hauen oder Schubsen auffallen. Zu diesem Punkt befragten die Wissenschaftler auch die jeweiligen Klassenlehrer. Die Studie ist in der Zeitschrift „Media Psychology“ erschienen.

Exzessives Ego-Shooting von rund 15 Stunden pro Woche

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Wissenschaftler der Universität Bonn haben bei intensiven Nutzern im Unterschied zu Nichtspielern abweichende Gehirnaktivitätsmuster festgestellt. Psychologen, Epileptologen und Neurologen der Universität Bonn untersuchten die Wirkung von Ballerspielbildern und anderen emotional aufgeladenen Fotos auf die Gehirnaktivität von ausgiebigen Nutzern. „Sie zeigen im Vergleich zu Ego-Shooter-Abstinenten deutliche Unterschiede in der Emotionsregulation“, berichtet Autor Dr. Christian Montag vom Institut für Psychologie der Universität Bonn.

Die 21 Probanden im Alter von 20 bis 30 Jahren spielten im Schnitt etwa 15 Stunden Ego-Shooter pro Woche. Während der Untersuchung bekamen sie über eine Videobrille einen standardisierten Katalog von Fotos zu sehen, die zuverlässig Emotionen im menschlichen Gehirn auslösen. Die Wissenschaftler registrierten dabei in einem der Hirnscanner des Life & Brain-Zentrums der Universität Bonn die Aktivitäten im Gehirn. Unter den Bildern waren Fotos, wie sie auch in den Gewalt-Spielen vorkommen, aber auch Aufnahmen von Unfall- und Katastrophenopfern. „Mit dieser Mischung von Bildern hatten wir die Möglichkeit, die Testpersonen zum einen in die ihnen bekannte fiktive Ego-Shooter-Welt zu versetzen und zum anderen Emotionen durch reales Bildmaterial auszulösen“, sagt Montag. Diesen Fotokatalog bekamen auch die 19 Kontrollpersonen zu sehen, die keine Erfahrung mit Gewalt-Videospielen hatten.

Betrachteten die Probanden die realen, negativen Bilder, zeigte sich eine stark erhöhte Aktivität der Mandelkerne – auch Amygdala genannt. Diese Hirnregion ist sehr ausgeprägt an der Verarbeitung negativer Emotionen beteiligt. „Überraschenderweise war die Amygdala bei den Probanden und der Kontrollgruppe ähnlich erregt“, berichtet der Psychologe. „Das zeigt, dass beide Gruppen emotional ähnlich stark auf die Fotos reagierten.“ Der linke mediale Frontallappen war bei den Gewaltspielnutzern jedoch deutlich geringer aktiviert als bei den Kontrollpersonen. Mit dieser Gehirnstruktur hält der Mensch etwa Angst oder Aggression in Schach. „Ego-Shooter reagieren nicht so stark auf das reale, negative Bildmaterial, weil sie durch ihre täglichen Computeraktivitäten daran gewöhnt sind“, schließt Montag daraus. „Man könnte auch sagen, dass sie abgestumpfter sind als die Kontrollgruppe.“ Auf der anderen Seite zeigten die Ego-Shooter-Videospieler im Unterschied zu Kontrollpersonen während der Verarbeitung der Computerspielbilder eine erhöhte Aktivität in Hirnarealen, die mit Gedächtnisabruf und Arbeitsspeicher assoziiert sind. „Dies deutet darauf hin, dass die Spieler sich durch die Computerspielbilder in das Videospiel hineinversetzten und eine mögliche Löungsstrategie für den gezeigten Spielstand suchten“, sagt Montag.

Gewaltspiele als Ursache für Veränderungen in der Gehirnaktivität?

Eine Frage bei der Interpretation der Ergebnisse ist, ob die Nutzer durch die Spiele eine veränderte Hirnaktivität zeigten oder ob sie von Anfang an gewalttoleranter waren und deshalb bevorzugt zu Ego-Shootern griffen. Eine Annäherung an die Beantwortung dieser Frage war für die Forscher der Universität Bonn durch die Berücksichtigung von verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen wie Ängstlichkeit, Aggressivität, Gefühlskälte oder emotionale Stabilität möglich. „Hier zeigten sich zwischen den Probanden und der Kontrollgruppe keine Unterschiede“, berichtet Montag. „Das ist ein Hinweis darauf, dass die Gewaltspiele die Ursache für die unterschiedliche Informationsverarbeitung im Gehirn sind.“

Montag schließt aus den Ergebnissen, dass es nicht nur während des Computerspielens zur Abstumpfung in den Emotionen kommt. „Die geringere Emotionsregulierung bei Ego-Shootern stellten wir schließlich auch beim realen Bildmaterial fest“, sagt er. Deshalb seien die Reaktionen nicht auf die virtuellen Welten beschränkt. Es gebe bislang viele Studien zu Videospielen und aggressivem Verhalten – aber erstaunlich wenige zu den Effekten auf das Gehirn. „Unsere Ergebnisse liefern Anhaltspunkte, dass die extensive Nutzung von Ego-Shootern nicht unproblematisch ist“, sagt Montag. „Wir brauchen aber weitere Studien, um den Zusammenhang zwischen Gewaltspielen, Hirnaktivität und tatsächlichem Verhalten noch stärker zu beleuchten.“ Die Ergebnisse der Studie erschienen nun im Fachjournal „Biological Psychology“. (nin/pm)

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