Junge Wissenschaftler kritisieren prekäre Arbeitsbedingungen an den Unis

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TÜBINGEN. Nachwuchswissenschaftler klagen über die Arbeitsbedingungen an den Unis. Denn viele hangeln sich erst von einem Zeitvertrag zum nächsten – und fliegen schließlich ganz raus. Die Landesregierung will das Problem angehen.

Gewerkschaften und Akademiker kritisieren die Arbeitsbedingungen vieler Wissenschaftler im Land. Bei der breiten Masse der Forscher, im sogenannten akademischen Mittelbau, gebe es prekäre Arbeitsverhältnisse, sagte Santina Battaglia von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) der Nachrichtenagentur dpa. Wer es nicht auf eine der Professoren-Stellen schaffe, hangele sich von einem Zeitvertrag zum nächsten und fliege schließlich oft ganz aus dem System. «Hochschulen funktionieren nicht gut, wenn 80 bis 90 Prozent der Stellen befristet sind», kritisierte Battaglia. Das Wissenschaftsministerium kündigte bis Herbst Reformvorschläge an.

Zum akademischen Mittelbau werden Wissenschaftler an den Hochschulen gezählt, die keine Professoren sind – das ist die deutliche Mehrheit. Insgesamt waren 2011 laut dem Bundesamt für Statistik in Baden-Württemberg nur knapp 15 Prozent der Wissenschaftler auf einer unbefristeten Stelle. Damit haben die Südwest-Unis gemeinsam mit Berlin den geringsten Anteil an unbefristeten Vollzeitstellen. Doch an immer mehr Hochschulen im Land regt sich Widerstand. Denn Kritiker fürchten, dass den Universitäten durch diese Arbeitsbedingungen viele kluge Köpfe verloren gehen.

Für junge Akademiker sei es hochriskant, eine Karriere in der Wissenschaft anzustreben, sagte der Tübinger Mittelbausprecher Joachim Ostwald. «Viele stehen nach der Habilitation mit Anfang 40 ohne Perspektiven da.» Das System sei darauf ausgerichtet, Professor zur werden und einen Lehrstuhl zu leiten. Doch das schafften nur wenige – die meisten Wissenschaftler blieben im Mittelbau auf der Strecke, sagte Ostwald. Denn wer zwölf Jahre mit befristeten Verträgen gearbeitet habe, dürfe sich an keiner deutschen Universität mehr auf eine neue befristete Stelle bewerben – damit ist für viele die Karriere an der Uni vorbei.

Die Wissenschaftler im Mittelbau würden dadurch massiv unter Druck gesetzt, kritisierte auch Heiko Maaß, der am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) den Mittelbau im Senat und im Konvent vertritt. Teilweise würden junge Wissenschaftler jahrelang auf befristeten Stellen gehalten. Häufig müssten sie am Lehrstuhl dann unliebsame Aufgaben übernehmen, statt sich um ihre eigene Forschung zu kümmern. Auch die Personalräte an der Uni Tübingen, Thomas Nissel, und am KIT, Wolfgang Eppler, berichteten von solchen Problemen.

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Studenten, hier im Hörsaal der Universität Frankfurt, sehen meist Männer dozieren (Foto: Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt)
Die meisten Mitarbeiter an der Universität arbeiten mit Zeitverträgen (Foto: Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt)

Besonders schlimm sei die Lage für Doktoranden, sagte Hanna Binder vom Verdi-Landesbezirk Baden-Württemberg. Diese müssten ihren Unterhalt oft mit Teilzeitstellen bestreiten, die häufig eine Laufzeit von nur einem halben Jahr hätten. «Sie sind ständig damit beschäftigt, ihren Vertragsverlängerungen hinterherzulaufen, ohne zu wissen, ob sie ihre Miete noch in sechs Monaten bezahlen können.»

Herbert Müther, Prorektor Forschung der Universität Tübingen, hält die Kritik an der Uni aber für unfair. Ursache für die vielen Befristungen sei, dass Stellen immer häufiger aus projektgebundenen und daher befristeten Drittmitteln bezahlt würden. Außerdem könnten die Hochschulen durch befristete Verträge flexibel bleiben, um international in der Forschung wettbewerbsfähig zu bleiben.

Mittelbausprecher Ostwald sagte, viele im Mittelbau forderten neue Instrumente, um berufliche Sackgassen zu vermeiden. Denkbar sei etwa, die besten Wissenschaftler mit einer Juniorprofessur auszustatten und ihnen nach einer Bewährungszeit die Chance auf eine reguläre Professur zu eröffnen. Das KIT in Karlsruhe sucht ebenfalls nach Möglichkeiten, Karrierewege durchlässiger zu gestalten.

Auch die grün-rote Landesregierung will das Problem in Angriff nehmen. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) habe 2011 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die in diesem Herbst Vorschläge vorstellen soll, wie die Bedingungen für den Mittelbau verbessert werden können, sagte ein Ministeriumssprecher. Darin gehe es auch darum, wie der Anteil der unbefristeten Verhältnisse erhöht werden könne.Susanne Rytnia/dpa

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