HEIDELBERG. Fünf bis zehn Prozent der deutschen Schüler kommen nach Schätzung von Experten regelmäßig nicht zum Unterricht. Oftmals stecken psychische Probleme dahinter – oder zu vorsichtige Eltern.
Hoher Druck, Zukunfts- und Versagensängste sind nach Ansicht eines Experten häufige Gründe, wenn Kinder und Jugendliche nicht zur Schule gehen. «Ich erlebe viele Schüler, die sehr leistungsorientiert sind und einen hohen Anspruch an sich haben», sagte Christoph Lenzen von der Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Heidelberg. «Sie haben das Gefühl: Ich bekomme gar nichts hin, ich bin viel zu schlecht – obwohl sie die ganze Zeit Höchstleistung erbringen.» Manche Patienten hätten die Haltung: «Ich darf eigentlich nur schlafen, lernen, essen und trinken.»
Zudem kämen auf die Kinder schon früh zahlreiche Anforderungen zu. «Wenn ich mit Eltern und Patienten rede, habe ich immer das Bild eines Schnellkochtopfs vor mir, da wird immer mehr Druck reingesteckt», sagte Lenzen. Irgendwann gelange man an den Rand des Leistbaren – viele Kinder und Jugendliche reagierten darauf mit physischen Beschwerden wie Schwindel, Kopf- oder Bauchschmerzen. «Unser Unterbewusstsein sagt irgendwann: Hey, das schaffe ich so nicht», sagte Lenzen. Die Folge: Viele Eltern schrieben den Kindern oft und auch langfristig Entschuldigungen für den Unterricht.
Experten schätzen den Anteil der Kinder an deutschen Schulen, die regelmäßig nicht zum Unterricht kommen, auf fünf bis zehn Prozent. Konkrete Zahlen gibt es nach Angaben des Kultusministeriums nicht. Auch eine klare wissenschaftliche Datenlage zum sogenannten Schulabsentismus liegt laut Lenzen nicht vor, da die vorhandenen Studien wegen Unterschieden bei der Definition und Methodik kaum vergleichbar seien. So könne man auch nicht auf wissenschaftlicher Basis sagen: Das Schulvermeiden bei Schülern steigt. «Der klinische und subjektive Eindruck ist aber ganz entschieden so, dass das Thema zunimmt», sagte der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. «Das wird immer mehr, ganz ohne Frage.»
Ähnlich sehe es bei der Frage nach psychischen Problemen bei Schülern aus. «Ich habe das Gefühl, dass die emotionale Belastung zunimmt», sagte Lenzen. Nach seinem Eindruck ist das ein gesellschaftliches Phänomen. «Auf Kinder kommen schon früh immer mehr Leistungsanforderungen zu. Schon der Fünfjährige bekommt Logotherapie, Ergotherapie, Sprachförderung, bilingualen Unterricht in der Schule, außerdem muss es mindestens ein Realschulabschluss sein. Das erlebe ich sehr ausgeprägt.»
Auch Michael Gomolzig vom Verband Bildung und Erziehung nimmt eine Steigerung der Fehlzeiten wahr. «Das hat zugenommen, viele Eltern schreiben mehr Entschuldigungen», sagte er. Manche wollten ihr Kind vor allem schützen – dabei werde oft nicht nachgefragt oder mit Ärzten und Lehrern gesprochen, wenn Schüler über Bauch- oder Kopfschmerzen klagten. Andererseits sei auch die Schule gefordert. «Sie muss auf die Eltern zugehen und sagen: Ihr Kind fehlt seit 14 Tagen, was ist da los?» dpa
Zum Bericht: Elternverband: Leistungsdruck wird zunehmend zur Belastung
Wenn die Eltern weniger vorsichtig und ihre eigenen (evtl. verfehlten) Wünsche nicht mehr auf ihre Kinder projizieren werden, wäre folglich schon viel geholfen …
xxx, ganz Ihrer Meinung!
Na wie oft ich Anfragen von Eltern (meist immer den Gleichen) bekomme, ob Kind X am Freitag nach der dritten Stunde gehen könne. Da sind Arzttermine, die nur am Vormittag liegen können (und manche Arzttermine sind überflüssig. Letztens erst ein Kind, dass zum Kieferorthopäden musste, nur mal so zur Überprüfung, es bräuchte wohl keine Spange. Ja dann kann ich doch auch auf einen Nachmittagstermin warten). Da sind runde Geburtstage von Großeltern – und diese Kinder haben sehr viele Großeltern. Und ein Kind sagte ganz unverholen, dass sie ja in den Urlaub fahren müssten. Die Eltern schrieben es dann natürlich krank. Wen spreche ich da an?
Ich rufe immer an, wenn mir etwas komisch vorkommt oder auch nur, um mich mal zu erkundigen, wie es den Kids so geht. Allerdings nur in meiner eigenen Klasse, nicht in den Klassen, wo ich nur Fachlehrer bin.
Meiner Meinung hängen viele Fehlzeiten auch damit zusammen, dass Ärzten weniger vertraut wird. Viele Eltern gehen erst zum Schulmediziner und stellen das Kind anschließend noch dem Heilpraktiker und Schamanen vor, ob nicht doch jemand irgendeine Krankheit findet, schließlich hat doch der Schulmediziner keine Ahnung. Und wenn der schon sagt, das Kind ist gesund…und zur Not wird bei Wikipedia ein Syndrom oder eine Allergie gefunden. Ich habe ein Kind, das diese Woche den vierten Kieferorthopädie-Termin hat, trotz gerader Zähne. Ich sehe aber auch Eltern, die extrem neidisch auf Sozialleistungen oder Vorzüge sind und nicht so recht einsehen, dass ihre Kinder keine “Begünstigungen” (Ausgleich) bekommen. Das sind dann die Kids, die fehlen, weil sie eine Woche einen Test auf Zöliakie haben und in der nächsten Woche den Test auf LRS und Dyskalkulie.
Kein Wunder bei dem Leistungsdruck in den Schulen. Es wird ja schon früh vermittelt “Kannst du nichts, bist du nichts”.
Da braucht man sich auch nicht wundern , wenn Kinder fehlen.
Man muss beides berücksichtigen, natürlich gibt es Helikoptereltern aber gleichzeitig gibt es auch Lehrer die einfach ganz klar keine Vorstellung davon haben das nicht jedes Kind das leisten kann was der Lehrer sich vorstellt. Wenn man einen Unterricht vorbereitet, dann geht man auch davon aus, dass die Schüler alle gleiches Wissen beherrschen und es auch anwenden können, aber das stimmt nicht, man verliert so viele Kinder auf dem Weg zum Ziel. Und am Ende heißt es dann nur noch “Selber Schuld hätte ja nicht so viel Fehlen dürfen, hätte mehr lernen können..” oder das schlimmste ” Hätte ja um Hilfe fragen können”.
Wen soll denn ein Kind nach Hilfe fragen? Der Lehrer kann diesem Kind nicht helfen, denn wenn er es machen könnte würde das Kind gar nicht erst danach fragen müssen.
Es gibt auch Lehrer die den Lehrplan im Hinterkopf haben und genau wissen, dass zwischen Oster- und Sommerferien mindestens 1/3 des Unterrichts wegen Abitur, Feiertagen, Konferenzen, Klassenfahrten usw. ausfällt. Ferner gibt es Gymnasiallehrer, die in ihren Klassen trotz des Lehrplans auch noch so etwas wie gymnasiales Niveau aufrecht erhalten wollen.
Niemand verlangt, dass alle Kinder gleich stark sein müssen, jedoch sollte wo außen Gymnasium drauf steht auch innen Gymnasium drin sein. Wenn ein Kind kein Gymnasium in sich trägt, ist es dort falsch. Leider betrifft das eine Menge Kinder, weil das Gymnasium mittlerweile die Hälfte eines Jahrgangs besucht. Der Lehrplan wurde aber bereits so weit abgeschwächt, dass auch eigentlich gymnasial ungeeignete Kinder das Abitur bestehen können. Seien Sie froh darum.
Ein bewährtes Mittel gegen zu hohen Leistungsdruck ist der Besuch einer Schulform, die den eigenen Begabungen und Interessen entspricht.
Seitdem die Länder Eltern über den Schulbesuch entscheiden lassen, ist das nur noch ein frommer Wunsch!!
So viel schlechter entscheiden die eltern auch nicht als die GS-Lehrkräfte, die die Grundschulempfehlung abgeben.
Prognosen sind immer schwierig, vor allem wenn sie in die Zukunft gerichtet sind:)
“Seitdem die Länder Eltern über den Schulbesuch entscheiden lassen, ist das nur noch ein frommer Wunsch!!”
Das hat sich in letzter Zeit nur in ein oder zwei Bundesländern geändert, in anderen Ländern entscheiden Eltern seit Generationen über den Schulbesuch ihrer Kinder.
Dass es in beiden Schulsystemen Kinder gibt, die unter dem Leistungsdruck leiden, bleibt davon unbenommen.
Im übrigen würde ich denken, dass Kinder, die mit 5 Jahren Logopädie, Ergotherapie und Sprachförderung (zusätzlich zur Logopädie, vermutlich im KiGa) bekommen, sicher nicht die Kinder sind, die einen bilingualen KiGa besuchen, die Förderung und Therapie aber vermutlich bitter nötig haben. Ganz ehrlich bin ich dankbar, wenn sich Eltern so vernünftig um ihre Kinder kümmern und bei Ärzten so vehement um diese Therapien streiten, dass die Kinder diese und/oder Frühförderung bekommen.
Mit Leistungsdruck hat das für mich wenig zu tun.
Wichtiger wäre an dieser Stelle der Hinweis, dass man Kinder auch mal Kinder sein lassen darf, die sich draußen im Garten oder Wald unbeobachtet fühlen und hinterher dringend duschen oder baden müssen, weil sie unbekümmert gespielt haben und dabei dreckig geworden sind.
Kinder, die häufig fehlen, können auch ganz andere Gründe haben:
– Eltern, die nicht aufstehen (“Papa hat verschlafen und um 9 Uhr meinte er, ich müsse nicht mehr in die Schule, das würde sich nicht mehr lohnen”) ,
– Erziehungsberechtigte, die an verschiedenen Orten leben (“Ich war gar nicht krank. Ich hatte so Sehnsucht nach Mama und musste sie mal wieder sehen. Darum war ich 3 Tage nicht da.”),
– Familienfeiern am anderen Ende der Republik (“Unser Sohn konnte nicht zur Schule kommen, weil, wir waren nicht da.”)
Palim
Da man den Beitrag nicht nachträglich ändern kann, noch ein Zusatz:
Dass der Leistungsdruck in Schulen zunehmen muss, nehme ich auch wahr:
In der Grundschule sind die Themen gestaucht und Inhalte, die vor 20 Jahren noch in Klasse 5 oder 6 im Lehrplan standen, sollen nun in Klasse 3-4 erledigt werden. Dementsprechend sind wieder Inhalte aus Klasse 3/4 in Klasse 2 gesetzt.
Dass Kinder immer jünger zur Schule kommen (in fast allen Bundesländern wurde das Einschulungsalter gesenkt), häufig weniger Vorkenntnisse mitbringen (Stifhaltung? Würfelbilder? Zählen bis 10? Schuhe zubinden?), wird dabei überhaupt nicht berücksichtigt, soll dann aber in der Grundschule schnell durch einen Trichter in den Kopf.
Das kann nicht klappen!
Ich kann nur über meine Erfahrungen aus der Orientierungsstufe in Niedersachsen berichten. OS bedeutet gemeinsamer Unterricht in den Klassen 5/6 mit möglichen Differenzierungen in der 6. Klasse in Mathematik und Englisch. Diese Schulform wurde Ende der 70er Jahre in Niedersachsen geschaffen. 2004 wurde sie vom frisch gewählten CDU – Ministerpräsideten Wulff abgeschafft.
Interessant, die Empfehlungen wurden am Ende der 6. Klasse von fast allen Eltern beachtet. Anhand der regelmäßigen Rückmeldungen aus den weiterführenden Schulen wussten wir, dass unsere Empfehlungen “sehr sicher” waren.
Nach der Auflösung der OS ging ich auf eine Realschule. Dort musste ich dann feststellen, dass in einer 5. Klasse mehr als ein Drittel Schüler mit einer Hauptschulempfehlung saßen. Entsprechend niedrig war auch das Lernniveau.
Was folgt daraus? Offensichtlich vertrauten die Eltern den Empfehlungen am Ende der 6. Klasse mehr als nach der vierten.
Ich bezog mich auf Ihren Satz:
“Seitdem die Länder Eltern über den Schulbesuch entscheiden lassen, ist das nur noch ein frommer Wunsch!!”
Auch am Ende der OS konnten doch Eltern selbst über die weiterführende Schule entscheiden, die Empfehlung war nicht bindend.
Ihre Erfahrungen, dass Eltern sich entgegen die Beratung stellen, kann ich nicht teilen. Mehrfach habe ich nun Klassen am Ende von 4 abgegeben und die Gespräche waren alle gut. Mir sind aus unterschiedlichen Jahrgängen 3 Fälle bekannt, in denen Eltern abgewichen sind: sie haben sich gegen das Gymnasium entschieden und ihre Kinder lieber im örtlichen Schulzentrum angemeldet.
Da hätte ich mir mehr Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der Kinder gewünscht und auch bei zumindest 2 dieser Kinder kann ich mir vorstellen, dass Unmut und Unlust entsteht … und damit Schulfrust, der sich auch psychosomatisch auswirken könnte.
Palim