HANNOVER. Die 15 Landeszentralen für politischen Bildung sind als vertrauenswürdige Partner für den gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht weitgehend etabliert, ebenso die seit 1952 bestehende Bundeszentrale. Der Ruf nach mehr politischer Bildung angesichts der Flüchtlingskrise und ihrer Ausnutzung durch Populisten wird ihre Geltung noch erhöhen. Allerdings ist die politische Bildung nicht allen 16 Bundesländern gleich viel wert.
Die „Informationen zur politischen Bildung“ der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) sind wohl jedem ein Begriff, der in Deutschland die Schule absolviert hat. Über die Schriftenreihe hinaus ist die Behörde eine wichtige Institution nicht nur für den gesellschaftswissenschaftlichen und ökonomischen Unterricht.
Ausgewogenes und neutrales Material für den Unterricht über Schulbücher hinaus ist in diesem Bereich nicht immer leicht zu bekommen, besonders wenn es um grundlegende Informationen geht, die Zeitungs- und Zeitschriftenartikel übersteigen. Dabei gibt es eine schier unüberschaubare Flut an Materialien. Wenn es um Wirtschaft und Gesellschaft geht ist der Versuch von verschiedenen Seiten auch auf die Unterrichtsinhalte Einfluss zu nehmen groß und dabei sind nicht nur Unternehmens- und Lobbyverbände tätig.
Über die Jahre hat sich die Bundeszentrale ein großes Vertrauen erworben, bei seiner Aufgabe „Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen“, wie es im Erlass über die bpb aus dem Jahr 2001 heißt. Es mag kaum verwundern, dass 2015 der zunächst erfolgreiche Versuch der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gescheitert ist, die Verbreitung der bpb-Publikation „Ökonomie und Gesellschaft“ zu verhindern.
Die Kritik von Verbandsgeschäftsführer Peter Clever, in dem Band dominiere eine bestimmte Denkschule zu Wirtschaftsfragen deutlich, konnte der wissenschaftliche Beirat der bpb nicht bestätigen. Letztlich ruderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière zurück, so dass das Buch mittlerweile wieder erhältlich ist.
Ging die bpb aus der Kontroverse eher gestärkt hervor, wird auch angesichts der aktuellen Flüchtlingsdiskussion und der in diesem Wind segelnden Populisten der Ruf nach mehr politischer Bildung laut. Sowohl die bpb wie auch die 15 Landeszentralen für politische Bildung kann dabei eine starke Rolle einnehmen.
Bis auf Niedersachsen unterhalten alle Bundesländer entsprechende Landeszentralen. Sie nehmen im Wesentlichen die gleichen Aufgaben wie die bpb wahr und fördern u.a. lokale Projekte zur politischen Bildung. Dabei sind sie durchaus unterschiedlich organisiert und – wie eine Umfrage ergab – finanziell äußerst unterschiedlich ausgestattet.
Grundsätzlich sind sich die Politiker dabei einig, dass ihnen im Rahmen der Flüchtlingskrise und der Überwindung von Ängste, die zu einer Abkehr von der Demokratie führen können besondere Bedeutung zu kommt.
kommt ihnen in diesem Punkt aus Sicht von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) eine besondere Bedeutung zu. Er weiß, wovon er spricht, denn sein Bundesland ist derzeit das einzige, dass auf eine entsprechende Institution verzichtet. Das soll sich nun aber ändern.
Als Reaktion auf Demokratiefeindlichkeit braucht es nach Ansicht von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) mehr politische Bildungsangebote in Deutschland. «Nur die Vermittlung einer umfassenden demokratischen Grundbildung hilft uns, offenbar immer stärker werdenden antidemokratischen Tendenzen entgegenzutreten», sagt er. «Ein kritischer, auch selbstkritischer Umgang mit Vorurteilen oder gar Hasstiraden – wie sie zurzeit etwa in den sozialen Netzwerken verbreitet werden – ist eine wichtige Aufgabe für die gesamte Gesellschaft.»
Weils Bundesland ist derzeit das einzige, dass auf eine entsprechende Institution verzichtet. In Niedersachsen hatten CDU und FDP um den damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) 2004 die Abschaffung der Landeszentrale durchgesetzt. Das soll sich nun aber ändern. «Heute zeigt sich: Die Auflösung war schon damals ein riesiger Fehler», sagt Weil. Nun will seine rot-grüne Koalition die Landeszentrale neu eröffnen. Der konkrete Termin ist noch offen, derzeit läuft die parlamentarische Beratung.
Im bundesweiten Vergleich zeigt sich, dass die verschiedenen Bildungszentralen mit sehr unterschiedlichen Finanzmitteln auskommen müssen. Während Rot-Grün in Niedersachsen dafür 1,014 Millionen Euro für 2016 im Haushalt vorgesehen hat, reicht die Bandbreite der Ausgaben in den übrigen Länder von 80 500 Euro im Saarland über rund 1,9 Millionen Euro in Bayern bis hin zu rund 8,8 Millionen Euro in Nordrhein-Westfalen.
Auffällig ist dabei, dass die Größe oder generelle Finanzkraft eines Landes nicht automatisch in Relation dazu steht, wie viel Geld für politische Bildung bereitgestellt wird. Während der Stadtstaat Hamburg 1,275 Millionen Euro gibt, sind es im Flächenland Brandenburg nur 580 000 Euro, wie die dpa-Umfrage ergab.
Abseits von Niedersachsen habe es noch in keinem anderen Bundesland Bestrebungen gegeben, eine Landeszentrale zu schließen, hieß es von den jeweiligen Regierungen unisono. Im Gegenteil. Die Zentralen für politische Bildung in Deutschland seien eine wichtige, aufklärende Schnittstelle zwischen Staat, Politik, Bildung, Wissenschaft und Medien, betont der Leiter der Saarländischen Landeszentrale, Erik Harms-Immand. In der globalisierten Informationsgesellschaft stellten sie eine «unverzichtbare Säule der Demokratiebildung dar».
Sein Bremer Kollege Thomas Köcher ist sich sicher, dass die Bedeutung von politischer Bildung angesichts islamfeindlicher Bewegungen wie Pegida oder den Umfrageerfolgen der rechtskonservativen AfD weiter steigen wird.
Internationale Krisen, die Flüchtlingssituation in Europa und die Aufklärung über den Islam spielten eine immer größere Rolle in der Arbeit, heißt es aus den Zentralen. «Es gibt einen hohen Informationsbedarf dazu im Osten Deutschlands», sagt der Leiter der Thüringer Landeszentrale, Franz-Josef Schlichtinger. Auch mit Blick auf anstehende Landtagswahlen komme den Einrichtungen eine wichtige Rolle zu. Unter dem Motto «Demokratie stärken» soll etwa in Sachsen-Anhalt gezielt gegen die sinkende Wahlbeteiligung vorgegangen werden.
Auch aus Sicht der Politikwissenschaft sind die Landeszentralen unverzichtbar. «Natürlich war es ein Fehler, in Niedersachsen die Landeszentrale zu schließen», sagt Wichard Woyke von der Universität Münster. Nur eine permanente politische Bildung helfe gegen Verunsicherungsstrategien, wie sie derzeit etwa im Umgang mit den Flüchtlingen kursierten. Kostendruck und Sparzwang erschweren den Landeszentralen jedoch die Aufklärungsarbeit. «Viele Seminare zur Korrektur von Fehlurteilen konnten nicht gegeben werden.» (News4teachers, Marco Hadem, dpa)
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• „Ökonomie und Gesellschaft“ (im Online-Shop der bpb)
Sachliche Aufklärung als politische Bildung oder psychologische Beeinflussung und Gesinnungserziehung? Da bin ich mir heute nicht mehr sicher.
Gegen eine sinkende Wahlbeteiligung vorzugehen ist sicher richtig, aber dass “permanente politische Bildung gegen Verunsicherungsstrategien” helfe, “wie sie derzeit etwa im Umgang mit den Flüchtlingen kursierten”, wage ich zu bezweifeln; es sei denn, politische Bildung würde als Meinungsmache im Sinne von “Wir schaffen das” aufgefasst.
Und jedem, der diese Meinung aus berechtigten Überlegungen heraus nicht teilt, wird klar gemacht, dass er falsch liegt, weil er Rechtspopulisten auf den Leim gegangen ist oder selbst schon zu dieser bösen Sorte Mensch gehört.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass politische Bildung aus der heutigen “Sicht der Politikwissenschaft” so und nicht anders verstanden wird. «Demokratie stärken» hat für mich aber eine andere Bedeutung. Sie soll fit machen für die eigene Meinungsbldung und nicht für bestimmte Politikrichtungen werben.