Gastbeitrag: Schule unter Reformdruck – Plädoyer für eine Pädagogik des Herzens

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OLCHING. Seit einigen Jahren werden immer wieder umfangreiche Reformen „von oben her“ in Gang gesetzt: von den Kultusministerien. Dabei spielte und spielt der Einfluss von Bildungsinstituten, tatsächlichen und vor allem selbsternannten Bildungsexperten, sowie reißerischen Bildungsjournalisten eine entscheidende Rolle. Nicht gefragt wurden die wirklichen Experten für Pädagogik, Erziehung und Bildung: die Lehrer. Auch nicht gefragt wurden die Schüler, die eigentlich Betroffenen jeder Bildungsreform.

Vor allem auf folgenden Gebieten tobt sich der gegenwärtige Reformprozess aus, der von nicht wenigen erfahrenen Lehrern als „Bildungs-Reform-Wahn“ empfunden wird:

  • Bildungsreformen: Fachinhalte werden immer mehr durch bloße Kompetenzen ersetzt.
  • Methodenreformen und Digitalisierung: An vielen Schulen wird mittlerweile die Pädagogik mit immer neuen, vor allem digitalisierten Unterrichtsmethoden und -materialien verwechselt oder gleichgesetzt.

Dabei hat der Neuseeländer Bildungsforscher John Hattie in seiner berühmten Mega-Studie „Visible Learning“ (zu Deutsch etwa: Lernen sichtbar machen) festgestellt, dass der Bildungserfolg der Schüler weder von einzelnen Unterrichtsmethoden wie etwa dem computergestützten Unterricht noch von der Schulstruktur wesentlich abhängt. Entscheidend für einen guten und effizienten Fachunterricht sind vielmehr Faktoren wie die „Lehrer-Schüler-Beziehung“ oder die „Klarheit der Lehrperson“. Wieso wird John Hattie von deutschen Bildungspolitikern und Lehrplanmachern noch immer so wenig beachtet und ernst genommen?

Peter Maier ist Gymnasiallehrer in Bayern. (Foto: privat)
Der Autor Peter Maier ist Gymnasiallehrer in Bayern. (Foto: privat)

Jugendliche sind keine Lernmaschinen, sondern junge Menschen in der Entwicklung

Bin ich als Lehrer also gegen (notwendige) Bildungsreformen im Schulbereich? Nein, überhaupt nicht. Ich wende mich jedoch entschieden gegen jede Reform, die das Wohlergeben und die Persönlichkeitsentwicklung der Schüler außer Acht lässt. Die Schüler müssen immer im Mittelpunkt stehen. Gerade im Lehrer brauchen sie einen Menschen,

  • der ihnen neben der Wissensvermittlung Orientierung und Halt gibt – auf ihrem Weg durch die Pubertät und hin zum Erwachsensein;
  • der ihnen notwendige Grenzen setzt, wenn sie über das Ziel hinausschießen;
  • der Mitgefühl zeigt, wenn sie Probleme haben – etwa weil sich die Eltern gerade trennen, eine wichtige Beziehung zerbrochen ist oder weil sich ein schulischer Misserfolg eingestellt hat;
  • der sie – einem Magier gleich – immer wieder durch seine Fächer begeistern und aufbauen kann;
  • der empathiefähig ist, einen guten Draht zu ihnen hat und der ihnen in einer schnelllebigen Zeit ein Anker ist, an dem sie sich immer festhalten können.

Die Schule muss den ganzen Menschen bilden

Unseren Schülern wird zudem viel kognitives Wissen eingetrichtert, ihre Herzensentwicklung, ihre Charakterbildung und Werteerziehung wird in diesem ganzen Getöse des modernen Schulsystems immer mehr übersehen. Offensichtlich will man fast um jeden Preis die Zahl der Abiturienten in möglichst kurzer Zeit erhöhen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland auch in Zukunft zu sichern und global wettbewerbsfähig zu halten.

Der ganze Mensch muss angesprochen werden – auch zu Beginn des dritten Jahrtausends. Dazu sollten unsere Schulen eigentlich da sein. Und dies sollten uns Verantwortlichen – uns Eltern, Lehrern und Politikern – doch unsere Kinder wert sein. Sie sind unser bestes menschliches Potential und unsere menschliche Zukunft!

Pädagogik des Herzens – drei Prinzipien

Viele verschiedene Interessensgruppen versuchen heute von außen her, auf das Schulsystem einzuwirken und es umzugestalten. Entscheidend bleibt aber immer der Lernort der Schüler selbst: das Klassenzimmer. Bildung ereignet sich in einem fortwährenden Prozess. Sie sollte nicht nur im Kopf, sondern vor allem im Herzen stattfinden, wenn sie wirklich gelingen und nachhaltig sein soll. Die Schüler brauchen also einen menschlichen Ort, wo sie Wärme erfahren, Anerkennung bekommen und wo auch ihre magische und spirituelle Seite berührt werden kann.

Dieser Lernort wird aber vor allem durch den Lehrer beeinflusst und gestaltet. Die Lehrerpersönlichkeit ist oft der einzige verbliebene „Ort“, die einzige Instanz, die in der Schule von heute menschlich geblieben ist. Daher möchte ich zum Schluss drei Prinzipien erläutern, die meiner Erfahrung nach entscheidend für eine gute Lernatmosphäre und für eine Herzens-Pädagogik sind und die wesentlich vom Lehrer gestaltet werden.

Prinzip 1: Liebe zu den Menschen – Liebe zu den Schülern

Wenn man als Lehrer seine Schüler nicht grundsätzlich liebt, sollte man diesen herausfordernden, anstrengenden, aber attraktiven und lebendigen Beruf sein lassen. Die Schüler haben es verdient, einen Menschen vor sich zu haben, der sie bei ihrer Entwicklung und Persönlichkeitsreifung wohlwollend unterstützt, sie annimmt, wie sie sind, sie wertschätzt und sie ermutigt, ihren Weg zu gehen. Dies setzt aber einen Lehrer voraus, der in seiner Persönlichkeit selbst gereift ist.

Prinzip 2: Erziehung durch Beziehung

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Der Lehrer muss die Klasse leiten und führen, den Schülern Orientierung geben, ihnen Wissen vermitteln, ihnen aber auch notwendige Grenzen setzen, wenn sie über das Ziel hinausschießen. Fühlen sich Schüler vom Lehrer gesehen, beachtet, wertgeschätzt, anerkannt und geliebt, dann sind sie in den meisten Fällen bereit, auch schwierige fachliche Themen zu meistern. Dann sind sie motiviert, sich für die Schule einzusetzen und zu engagieren. Eine gelungene Beziehung zwischen Lehrer und Schülern kann Berge versetzen, Begeisterung erzeugen und eine gute Arbeitsatmosphäre schaffen. Wenn moderne Bildungsreformen diese wichtige Ebene der Lehrer-Schüler-Beziehung übersehen, müssen sie scheitern!

Prinzip 3: Fördern und maßvoll fordern

Kinder und Jugendliche wollen herausgefordert werden – fachlich, aber auch menschlich. Sie wollen sich engagieren für gesellschaftliche Themen, fachliches Wissen und soziale Fragen. Dazu müssen wir Lehrer und die Schulen ihnen die Gelegenheit bieten, sich zu bewähren: Etwa in der Projektarbeit in Kleingruppen, in der Lösung kniffliger fachlicher Fragen, die dann öffentlich präsentiert werden oder in sozialen Aufgaben wie etwa in der Arbeit als Tutor, der jüngeren Schülern hilft. Entscheidend ist dann immer, dass Schüler für ihre Arbeit gelobt, anerkannt und gewürdigt werden.

Fazit: Verwandlung statt Veränderung

Bildung und Schule sollen – neben der fachlichen Bildung – die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen stets in den Mittelpunkt jeder Reformtätigkeit stellen und im Blick behalten. Denn nur dann ist sicher gestellt, dass eine Reform organisch ist und mit der Entwicklung der Kinder in natürlicher und gesunder Weise korrespondiert. Jugendliche erfahren in der Pubertät und in ihrem langjährigen Prozess der Initiation, also ihres Erwachsenwerdens, eine permanente Verwandlung. Eine Bildungsreform, die von oben kommt, läuft hingegen Gefahr, eine zu abrupte und nur „hirnige“ Veränderung von Bildungsinhalten, Unterrichtsmethoden und Schulstruktur zu verlangen. Wonach sollte sich also eine Bildungsreform orientieren? Immer an den Bedürfnissen der Schüler und immer aus dem Herzen heraus! Peter Maier

Über den Autor

Peter Maier  ist Gymnasiallehrer in Bayern, Initiations-Mentor und Autor. Mehr Informationen unter www.initiation-erwachsenwerden.de.

Bereits erschienene Bücher:

schule quo vadis cover vorn
Das aktuelle Buch des Autoren ist im MV-Verlag erschienen.

„Schule – Quo Vadis? Plädoyer für eine Pädagogik des Herzens“. ISBN: 978-3-95645-659-6

„Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Band I: Übergangsrituale“ ISBN: 978-3-86991-406-6

„Initiation – Erwachsenwerden in einer unreifen Gesellschaft. Band II: Heldenreisen“ ISBN: 978-3-86991-409-1

 

 

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ysnp
7 Jahre zuvor

Dieser tolle Beitrag ist ziemlich untergegangen. Ich habe ihn jetzt so ähnlich in einer Zeitschrift gelesen.
Herr Maier richtet zu Recht das Augenmerk auf das Menschliche entgegen all den Forderungen,
die Schulen weiter zu reformieren, indem man die Digitalisierung vorantreibt.