Gutachten mit Sprengstoff: Land ist als Dienstherr verpflichtet, Arbeitszeit von Lehrern zu untersuchen

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HANNOVER. Der Philologenverband Niedersachsen hat die rot-grüne Landesregierung in Hannover aufgefordert, „endlich eine Untersuchung der Lehrerarbeitszeit in Auftrag zu geben und nicht weiter ‚auf Zeit‘ zu spielen, um sich an der längst überfälligen Senkung der Lehrerarbeitszeit vorbeizumogeln“ – und bringt jetzt ein Rechtsgutachten ins Spiel, um den Druck zu erhöhen. Der Ausgang des Streits hat bundesweit Signalwirkung – sollte Niedersachsen zu einer Untersuchung der Arbeitszeit gezwungen werden, müssten die anderen Bundesländer wohl nachziehen.

Wie lange Lehrer tatsächlich arbeiten, sollte ihren Dienstherren - das Land - schon interessieren. Foto: Markus Grossalber /flickr (CC BY 2.0)
Wie lange Lehrer tatsächlich arbeiten, sollte ihren Dienstherren – das Land – schon interessieren. Foto: Markus Grossalber /flickr (CC BY 2.0)

Hintergrund ist ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg, das eine Aufstockung der Pflichtstundenzahl für Gymnasiallehrer als verfassungswidrig kassiert hatte. Das Gericht kritisierte dabei, dass es bislang keine nachvollziehbare Erfassung der Arbeitsbelastung der Lehrer gibt.

Mit ihrer Weigerung, eine Untersuchung der Lehrerarbeitszeit vorzunehmen, setze sich die Landesregierung in offenen Widerspruch zu dem von ihr angeblich akzeptierten Urteil des OVG Lüneburg, erklärte der Landesvorsitzende des Philologenverbandes, Horst Audritz. Damit missachte Rot-Grün die aus ihrer verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht folgende Anpassungspflicht bei der Ausgestaltung der Lehrerarbeitszeit. „Diese Verweigerungshaltung des Landes werden wir nicht länger hinnehmen“, unterstrich Audritz bei der Vorstellung eines Rechtsgutachtens des bundesweit renommierten Verfassungs- und Verwaltungsrechtlers Prof. Ulrich Battis, der den Philologenverband schon bei seinem erfolgreichen Arbeitszeitprozess vor dem OVG Lüneburg vertreten hatte.

Das Kultusministerium wies die Darstellung zurück, das Land weigere sich, eine Untersuchung der Lehrerarbeitszeit vorzunehmen. Mit der Online-Befragung der Lehrkräfte zu deren Belastungsempfinden sowie dem geplanten Einsatz eines Expertengremiums zur Analyse der Arbeitszeit komme man den Anforderungen des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg nach, erklärte ein Sprecher. Tatsächlich aber wird in der Befragung die Arbeitszeit explizit nicht erfasst.

In seinem Gutachten, so erklärt nun der Philologenverband, weise Prof. Battis nach, dass das Land die Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen Arbeitszeit der Beamten von durchschnittlich wöchentlich 40 Stunden auch für Lehrkräfte zu gewährleisten habe. Dabei folge aus der Fürsorgepflicht des Landes die Pflicht, die Arbeitszeit der Lehrkräfte an die der übrigen Landesbeamten anzupassen. Diese Anpassungspflicht könne nur durch entsprechende vorherige Ermittlungs- und Beobachtungspflichten des Dienstherrn erfüllt werden. Daher sei eine Arbeitszeituntersuchung durch das Land zwingend und umgehend erforderlich.

„Verletzung der Fürsorgepflicht“

„Angesichts des langen Zeitraums seit der Festlegung der derzeit geltenden Regelstundenzahl, der seitdem eingetretenen Veränderungen in der Arbeitsbelastung der Lehrkräfte sowie nicht zuletzt angesichts des jüngst ergangenen, auch insoweit eindeutigen Urteils des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg ist“, so Battis, „die Niedersächsische Landesregierung verpflichtet, zeitnah die tatsächliche Arbeitsbelastung der Lehrkräfte in einem fundierten und nachvollziehbaren Verfahren zu ermitteln und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.“ Die Unterlassung einer erforderlichen Anpassung der Ausgestaltung der Lehrerarbeitszeit stelle eine Verletzung der Fürsorgepflicht aus Art. 33 Abs. 5 GG und des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG dar.

Eine solche Untersuchung der Lehrerarbeitszeit, so Battis, müsse das Land daher sofort vornehmen –  es bestehe kein Handlungsspielraum mehr. Mit der Erklärung der Landesregierung, eine flächendeckende Arbeitszeituntersuchung im Rahmen des Vorhabens „Arbeitszeitanalyse“ sei nach derzeitigem Planungsstand nicht beabsichtigt, setze sie sich in offenen Widerspruch zu dem von ihr angeblich akzeptierten Urteil des OVG Lüneburg und missachte damit die aus ihrer verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht folgende Anpassungspflicht bei der Lehrerarbeitszeit.

Audritz unterstrich, dass die Pflicht des Landes, die Arbeitszeit der Lehrer an die der übrigen Landesbeamten anzupassen, nicht dadurch umgangen werden könne, dass es das Land pflichtwidrig unterlasse, die tatsächlichen Arbeitsbelastungen der Lehrkräfte zu ermitteln. Insbesondere könne die Pflicht zur Anpassung der Lehrerarbeitszeit auch nicht dadurch umgangen werden, dass eine Ermittlung der Arbeitsbelastungen beispielsweise durch eine Online-Befragung der Lehrkräfte bzw. durch andere, ähnliche und durch die Landesregierung nicht veranlasste und verantwortete Untersuchungen erfolge und sie sich damit ihrer Pflicht der sachgerechten Ermittlung der tatsächlich Arbeitszeit der Lehrkräfte entziehe.

„Das sture Verharren des Landes, die Arbeitszeit der Lehrkräfte nicht an die gesetzlich festgelegten Normen anzupassen, kommt nicht nur einer bewussten Vereitelung ihrer verfassungsrechtlichen Pflichten gleich, sondern führt auch zu schwerwiegenden Konflikten mit der niedersächsischen Lehrerschaft“, heißt es in einer Pressemitteilung des Philologenverbands.

Audritz erinnerte daran, dass Verstöße des Landes gegen verfassungsrechtliche Grundsätze und gesetzliche Vorgaben schon einmal zu dem für das Land vernichtenden Urteil des OVG Lüneburg vom Juni 2015 geführt hätten. „Wir erwarten“, so Audritz, „dass das Land sich dieses Mal rechtskonform verhält, umgehend eine Untersuchung der Lehrerarbeitszeit durchführt und damit neue gerichtliche Auseinandersetzungen vermeidet.“ Agentur für Bildungsjournalismus

Zum Bericht: Niedersachsens Ministerin Heiligenstadt will Urteil zur Lehrerarbeitszeit akzeptieren

 

Aus dem Gutachten

„Die Ausgestaltung der Lehrerarbeitszeit muss von sachgerechten Gründen getragen werden. Maßstab kann insoweit allein die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitszeit sein.“

„Aus der Fürsorgepflicht nach Art. 33 Abs. 5 GG folgen eine Anpassungspflicht und – dieser vorgeschaltet – entsprechende Ermittlungs- und Beobachtungspflichten des Dienstherrn. Insbesondere bei Veränderungen, die sich auf die Arbeitsbelastung von Lehrkräften auswirken können, besteht eine Veranlassung zur Ergreifung von Maßnahmen zur Ermittlung der tatsächlichen Arbeitsbelastung sowie gegebenenfalls zu deren Anpassung, um die Einhaltung der gesetzlichen Regelarbeitszeit zu gewährleisten.“

„Sollte die Untersuchung zu dem Ergebnis kommen, dass die Arbeitsbelastung der Lehrkräfte in Niedersachsen über die gesetzliche Regelarbeitszeit hinausgeht, müsste die Landesregierung Maßnahmen treffen, um die Einhaltung der Regelarbeitszeit zu gewährleisten.“

 

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GriasDi
7 Jahre zuvor

Tja warum weigern sie sich wohl. 2100 Stunden durchschnittliche Jahresarbeitszeit eines Gymnasiallehrers passen halt nicht zu den bezahlten 1760 Stunden (bei einer 40 Stundenwoche wie für andere Beamte). Also 8,5 Wochen Überstunden, die jeder Gymnasiallehrer jährlich anhäuft.

Palim
7 Jahre zuvor

Warum wird schon wieder über die Aussagen des Philologenverbandes geschrieben, zur Studie der Uni Göttingen im Auftrag der GEW, in der über ein Jahr die tägliche Arbeitszeit von Lehrkräften erfasst und am 1.8. ersten Ergebnisse veröffentlicht wurden, nicht?
Die Äußerung des Philologenverbandes kann als Reaktion auf die Veröffentlichung der Studie gesehen werden.

sofawolf
7 Jahre zuvor

@ GriasDi, haben Sie die Ferienzeit, in der man keinen Urlaub hat, aber doch frei hat (als Ausgleich für die Überstunden in der Unterrichtszeit), in Ihre Rechnung schon miteinbezogen?

Um nicht missverstanden zu werden, ich finde diesen Ausgleich in den Ferien gut, richtig und wichtig und denke, die Arbeitszeituntersuchung untermauert das auch. Gerade an Privatschulen hat man das ja nicht immer!

GriasDi
7 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Ich habe Zahlen des Statistischen Bundesamtes vom Jahr 2006 verwendet. Dieses hat Gymnasiallehrern eine Jahresarbeitszeit von ca. 2100 Stunden bescheinigt.

dickebank
7 Jahre zuvor

Normaler Arbeitnehmer mit 40-Stunden-Woche und 30 Tagen Urlaubsanspruch kommt rechnerisch auf 1840 Arbeitsstunden. Dabei sind die gesetzlichen Feiertage nicht berücksichtigt. In NRW werden das 2017 insgesamt 12 Arbeitstage sein – also 96 Arbeitsstunden weniger. Der „normale Angestellte in der freien Wirtschaft“ kommt also auf eine tarifliche Arbeitszeit von 1744 Stunden.

Eine Lehrkraft, die 25,5 Wochenstunden arbeitet, käme ohne Berücksichtigung von Feiertagen, die nicht ohnehin schon in die unterrichtsfreie Zeit fallen, auf 1530 Arbeitsstunden, wenn man das Deputat mit dem Faktor 1,5 für Vor- und Nachbereitung beaufschlagt und mit 40 Unterrichtswochen multipliziert. Er liegt somit nur rd. 200 Stunden hinter dem Angestellten der freien Wirtschaft.

Verändert man den Faktor für Vor- und Nachbereitung – vor allem um die zusötzlichen Arbeiten in schulischer Verwaltung, Konferenzen, Elternberatungen, Gesprächen mit außerschulischen Partnern, Wanderfahrten etc. zu kompensieren – auf 2, dann ergibt sich folgende Jahresarbeitszeit: 25,5 * 2 * 40 = 2040 Arbeitsstunden. Er liegt also deutlich mit 300 Arbeitsstunden vor dem Beschäftigten der freien Wirtschaft.

Wird der Verrechnungsfaktor für die Zeiten, die nicht vor einer Klassen im Unterricht anzusetzen sind, auf ca. 1,7 festgesetzt, dann sind die Arbeitszeiten identisch.

Es geht immer nur um die Festsetzung des Verrechnungsfaktors in Abhängigkeit von der Wochenstundenzahl, um ein Äquivalent zu schaffen. – Und komme mir bitte keiner mit dem übichen Argument, eine Unterrichtsstunde sei ja gar keine Zeitstunde. Die Wegzeit zwischen verschiedenen Arbeitsplätzen innerhalb einer Firma wird auch auf die Arbeitszeit angerechnet.

xxx
7 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

dummerweise hängt der verrechnungsfaktor von der Erfahrung, von der Quantität und Qualität des heimischen Fundus‘, den Unterrichtsfächern, den Stufen, der Stundenzahl pro Fach und klasse sowie der Selbstausbeutebereitschaft ab. Das land hat also viele Möglichkeiten, die Berechnung so zu gestalten, dass es nichts zu ändern braucht.

dickebank
7 Jahre zuvor

Stiimt, wer länger braucht ist entweder zu dumm oder hat ein schlechtes Zeitmanagement:)

Die durchschnittliche Arbeit eines Lehrers kann jeder Idiot in der dafür vorgesehenen Arbeitszeit erledigen.

Sind eben nicht alles Idioten:)