FLENSBURG. Die von der GEW angestoßene Debatte um den Sinn von Noten bekommt neue Nahrung – aus der Wissenschaft. Die bisher umfassendste Untersuchung deutscher Examensnoten kommt zu einem Ergebnis, das die Gerechtigkeit von Noten grundsätzlich infrage stellt: Seit den 70-er Jahren werden diese nämlich immer besser. Wenn es aber offenbar nicht einmal an den Hochschulen gelingt, objektive Bewertungsmaßstäbe zu finden und anzuwenden, was sagen Noten denn dann überhaupt aus? „Zensuren sind nicht objektiv“, so hatte GEW-Chefin Marlies Tepe unlängst festgestellt und für die Abschaffung plädiert.
Seit Beginn der siebziger Jahre werden Examensnoten an deutschen Hochschulen immer besser. Zu diesem Schluss kommen Gerd Grözinger, Professor für Sozial- und Bildungsökonomik an der Europa-Universität Flensburg und Volker Müller-Benedict, Professor für Forschungsmethoden und Statistik an der Europa-Universität Flensburg. In einem dreijährigen Forschungsprojekt haben sie die langfristigen Verläufe der Examensnoten für zentrale Fächer und viele Hochschulen untersucht.
„Wir haben in sieben Universitätsarchiven aus 138.000 Prüfungsakten ca. 700.000 Examensnoten zwischen 1960 und 1996 erhoben“, berichtet Volker Müller-Benedict. „Mit Daten der elektronischen Prüfungsdatenbank des Forschungsdatenzentrums im statistischen Landesamts Kiel wurden diese Daten ab 1996 bis 2013 fortgesetzt und auf sämtliche deutschen Hochschulen erweitert. Dazu kamen Gruppeninterviews mit Prüfenden.“
GEW befeuert Debatte um Abschaffung von Ziffernoten – KMK-Chefin Eisenmann stellt sich dagegen
Die bisher umfassendste Untersuchung deutscher Examensnoten kommt zu dem Schluss: „Seit den 70er Jahren gibt es an deutschen Universitäten einen Trend zur Noteninflation“, sagt Gerd Grözinger. „Am meisten verbessern sich die Noten in Deutsch für Lehramt um mehr als eine ganze Note im Durchschnitt (auf der Skala zwischen 4,0 = „gerade noch bestanden“ und „1,0 = ausgezeichnet“), in Biologie am geringsten um immerhin noch 0,6.“
Der Trend zur Notenverbesserung verläuft dabei nicht linear, sondern in Zyklen. Phasen von stärkerer Verbesserung wechseln mit Phasen von schwächerer Verschlechterung ab. Diese Phasen sind für viele Fächer mit den Arbeitsmarktaussichten oder den Studierendenzahlen gekoppelt. „Bei schlechten Arbeitsmarktaussichten werden schlechtere Noten vergeben, das heißt die ‚Guten‘ werden stärker selektiert. In Zeiten starken Studienandrangs werden ebenfalls schlechtere Noten vergeben. Weil jedoch in den Zeiten der Verbesserung der Noten – gute Arbeitsmarktlage oder weniger Studierende – die Höhe der Verbesserung immer größer ausfällt als in der anschließenden Verschlechterungsphase, ergibt sich langfristig der Trend zur ständigen Notenverbesserung“, erklärt Volker Müller-Benedict.
Unterschiede zwischen den Fächern
Die beiden Forscher betonen, dass es über diese prinzipielle Inflation der Noten hinaus zudem erhebliche und dauerhafte Notenunterschiede zwischen den Fächern gibt. So erhalten die meisten Juristen im Durchschnitt seit jeher eine 4,0, während 60 Prozent der Psychologie oder Biologie-Studierenden eine 1 und weitere 35 Prozent eine 2 vor den Kommastellen ihrer Abschlussnote bekamen.
Aber nicht nur zwischen den Fächern gibt es Unterschiede im Notenniveau, auch zwischen einzelnen Universitäten existieren unterschiedliche Prüfungskulturen. „Jedes Fach und in jedem Fach jede einzelne Hochschule praktizieren auf diese Weise eine eigene Prüfungskultur, die wesentlich die Unterschiede in der Notenhöhe zwischen den Fächern und den Hochschulen beeinflusst“, erläutert Gerd Grözinger. Das bedeutet, Studienwillige können schon durch die Wahl der „richtigen“ (besser benotenden) Universität ihre erwartete Abschlussnote steigern, ohne das Studium auch nur angefangen zu haben.
“Noten nicht vergleichbar”
„Noten signalisieren Leistungsdifferenz“, fasst Volker Müller-Benedict die Ergebnisse der Untersuchung zusammen. „Durch die Noteninflation führen sich Noten irgendwann selbst ad absurdum, denn Leistungsdifferenzierung ist irgendwann nicht mehr möglich, wenn sich die Noten im niedrigeren Bereich drängeln. Und wenn Noten aufgrund unterschiedlicher Kulturen nicht vergleichbar sind, führt das auch zu Ungerechtigkeit, zum Beispiel beim Übergang vom Bachelor zum Master. Unsere Ergebnisse stellen daher die Gerechtigkeit von Noten infrage.“
Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, hatte sich unlängst für die Abschaffung von Schulnoten ausgesprochen. „Wir müssen weg von den Noten, hin zu individuellen Berichten, weil sie den persönlichen Lernfortschritten der Kinder viel gerechter werden», sagte sie – und betonte, der Verzicht auf Noten sollte „nicht nur in Grundschulen, sondern in allen Schultypen praktiziert werden“. Es sei wissenschaftlich bewiesen, dass Berichte besser seien. Die Präsidentin des Bayrischen Lehrerinnen und Lehrerverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, sprach sich ebenfalls dafür aus, Schulnoten auch in höheren Klassenstufen durch Lernentwicklungsgespräche zu ersetzen, weil dies motivierender sei. „Wir müssen umdenken in unserem Bildungssystem, dazu brauchen wir eine umfassende Bewertung von Menschen“, sagte Fleischmann. Agentur für Bildungsjournalismus
“Wir müssen weg von den Noten, hin zu individuellen Berichten, weil sie den persönlichen Lernfortschritten der Kinder viel gerechter werden”
Weise ich halt jeder Note einen Textbaustein zu und fertig ist der individuelle Bericht. Mir soll es doch egal sein was die sich da oben auskaspern.
Arbeitszeugnisse sind ja auch solche Textbausteine. Beliebt bei den Mitarbeitern möchte man laut Zeugnis nicht sein …
Grunfschulisch bedeutet dann “Kann mit den einfachen Strichaufgaben gut umgehen” nichts anderes als Addition im Zahlenraum bis 20 geht halbwegs, alles andere (Subtraktion, Multiplikation, Division) nicht.
Ich habe in der Grundschule, in der ich gerade arbeite, sehr gute individuelle Berichte gelesen, die alles andere waren als zusammengestellte Textbausteine. Die Lehrerin hatte ihre Kinder wunderbar im Blick und hat sie sehr differenziert und feinfühlig beschrieben. Jede Note wäre dagegen ein ungehobelter Klotz gewesen.
Die Klasse ist eine DFK-Klasse, nur 11 Kinder lernen dort. In der Größe ist das gut zu schaffen. In größeren Klassen kann es aufgrund der Anzahl der Kinder und der hohen Stundenbelastung der Lehrkräfte (siehe GEW Arbeistszeitstudie Niedersachsen) nur mittels Bausteinen funktionieren, was die Idee der individuellen Berichte ad absurdum führen würde.
Aber das die Klassen viel zu groß sind und es dringend Doppelbesetzungen braucht, wird ja nicht erst seit gestern gefordert.
Ich stelle mir da nur die Frage, ob der Aufwand für die individuellen Berichte, die Elterngespräche mit Fragen wie “Und welchen Noten entspricht der Text?” rechtfertigt. Noten sind schul- oder stadtübergreifend schon kaum miteinander vergleichbar, Berichte, noch dazu komplett individuelle, noch weniger.
Merken Sie etwas, @Georg? 11 Schüler! Da ist das kein Problem und sehr gut machbar. Setzen Sie mindestens 19 weitere Obendrauf und machen das dann nochmal, wie Sie selbst erkannt haben: Zu große Klassen.
@ xxx, da wird sich dann wieder herrlich in der KMK drüber gestritten und am Ende bleibt alles so wie es ist oder es gibt einen Kompromiss: Note + Beurteilungsgespäch, letzteres solllte überigens auch so über all an den Schulen gemacht werden.
@ xxx: Es geht auch weniger darum, Grundschüler mit anderen Schülern zu vergleichen, sondern das sind persönliche Entwicklungsberichte. Welche Fortschritte macht ein Kind, was hat sich verbessert, was nicht? Wo sollte man ansetzen und fördern? Was sind seine Stärken und Schwächen?
Mir geht es um den Übergang an die weiterführende Schule. Der beste einer Klasse zu sein, hat keinerlei Aussagekraft, weil “der Beste” noch lange nicht “gut” zu sein braucht. Das Problem gilt aber ähnlich auch bei Notenzeugnissen. Ich hoffe, Sie verfassen die Zeugnisse nicht positiv, damit die Eltern nicht nach den Schwächen in dem suchen müssen, was nicht im Zeugnis steht (siehe mein Kommentar von 15:03 Uhr).
“Der Beste seiner Klasse” schreibt man ja auch nicht. In Klasse 3 und 4 bin ich auch für Noten plus Verbalbeurteilung. So ist es in BaWü im Jahreszeugnis. Im Halbjahr gibt es “Viertelnoten” ohne Bericht, bisher….
Es gibt Vorgaben, dass Zeugnisse positiv formuliert sein müssen … und SchulleiterInnen die darauf achten.
Vermutlich würden auch Grundschullehrerinnen gerne ab und an etwas anderes schreiben.
So wie Sie es vorhin schon geschrieben haben:
Noten sind nicht vergleichbar.
individuelle Berichte auch nicht
Dann schaffen wir einfach alles ab 😉
Von 30 Schülern Ihrer Klasse haben Sie nach der Zeugnisvergabe also 25 Elterngespräche, um ihnen den Text auf Deutsch und diesen übersetzten Text in Zahlen zwischen 1 und 6 zu übersetzen. Im Extremfall sogar noch mit dem Kind, das als Dolmetscher dienen muss.
Besonders bei der Empfehlung für die weiterführende Schule wird das besonders “lustig”, weil ein Kind ja per se nicht schlecht sein kann, wenn im Zeugnis nur positives steht, und es trotzdem keine gymnasiale Empfehlung bekommt.
@xxx: Nachtrag: Lern- und Sozialverhalten und schulische Leistungen werden beschrieben immer im Hinblick auf die persönliche Entwicklung, um es kurz zu fassen.
@ Ole
ZITAT: “Weise ich halt jeder Note einen Textbaustein zu und fertig ist der individuelle Bericht. Mir soll es doch egal sein was die sich da oben auskaspern.”
Genau. Darauf läuft es dann hinaus und das ist dann alles genauso wenig objektiv wie eine Note – nur 10x aufwändiger.
Wenn die Noten im gleichen Maße besser werden, ist es doch auch wieder gerecht.
Was wäre durch Wortgutachten gewonnen????
Derjenige Prüfer, der eine 1 vergibt, wird auch das bessere Wortgutachten schreiben als der, der für eine ähnliche Leistung eine 2 vergibt. Was ist hier objektiver?
Es gibt bei Vermeidung von Textbausteinen wie bei Arbeitszeugnissen keine Norm, wie ein Prüfer die “1” verbalisieren kann oder muss. Was bei dem einen schon sehr gut ist, ist es bei dem anderen trotz gleicher Wortwahl noch lange nicht.
Bei Noten aber auch nicht, bei Klassenarbeiten auch nicht.
Dafür geht es schneller – oder etwa nicht.
Wenn ich die Wahl zwischen zwei gleich-schlechten Möglichkeiten habe, dann wähle ich diejenige, die sich schneller realisieren lässt.
Übrigens ist der beste Prädiktor für späteren Studienerfolg der Abi-Schnitt. Bisher gibt es keinen besseren Prädiktor.
Beweis? Quelle?
Quellen sind sehr leicht zu finden: Einfach Studienerfolg Prädiktor und Abiturnote als Suchworte eingeben.
Quelle:
http://www.swr.de/-/id=8002092/property=download/nid=660374/1fc642e/swr2-wissen-20110619.pdf
Quelle:
http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/studentenauswahl-ausgesiebt-vor-dem-ersten-semester-1433543.html
und viele mehr
Weitere Quellen:
http://www.pedocs.de/volltexte/2017/12685/pdf/SorgePetersenNeumann_2016_Die_Bedeutung_der_Studierfaehigkeit_fuer_den_Studienerfolg.pdf
http://www.empirische-bildungsforschung-bmbf.de/media/content/BMBF%20Bildungsforschung%2042_barrierefrei.pdf
Seite 167
Danke für die Links. Exemplarisch habe ich den vom SWR kurz quer gelesen. Der Prädiktor basiert wie von mir oben bereits spekuliert tatsächlich auf nur einer Korrelation.
Der sehr gute Abischnitt (3,5) evtl., dass ein Schüler sich durchmogelt. Dazwischen ist Grauzone. Man könnte noch die Noten der Fächer zu Rate ziehen, die am Ehesten mit dem Studiengang übereinstimmen.
Insgesamt sehe ich den Zusammenhang zwischen Abinote und Studienerfolg, wenn es überhaupt einen gibt, eher in Richtung Korrelation als in Richtung Kausalität.
Irgendwie ist der erste Absatz durcheinander geraten, tut mir leid.
Sinngemäß beinhaltete er, dass ein Schüler mit gutem Schnitt (3,5) sich evtl. durchmogelt.
Die Abiturnote in den einzelnen Fächern sind ein schlechterer Prädiktor als der Gesamt-Abi-Schnitt. (siehe obige Quellen, lässt sich aber auch ganz leicht googeln)